Eingangtür Des Flickgymnasiums (Quelle: rbb)

- Flick-Gymnasium – Ehrung eines Kriegsverbrechers

Er war Mitglied der NSDAP, trieb die Enteignung von Juden voran und beschäftigte tausende Zwangsarbeiter unter schlimmsten Bedingungen: Der verurteilte Kriegsverbrecher Friedrich Flick. Trotz seines immensen Reichtums verweigerte er nach dem Krieg jegliche Entschädigung und zeigte keine Reue. Dennoch trägt ein Gymnasium in Kreuztal bei Siegen bis heute seinen Namen. Schüler fordern zwar eine Umbenennung. Schulleiter und Politik aber wollen Flick weiter als Namenspatron ehren. Chris Humbs berichtet.

Angenommen, Ihr Kind geht aufs Humboldt-Gymnasium oder auf die Geschwister-Scholl-Oberstufe. Da würden Sie sich als Elternteil vielleicht Gedanken über die Ausstattung oder den Lehrplan machen, aber mit Sicherheit nicht über den Namen der Schule, oder?! Und was wäre, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter auf ein Gymnasium ginge, das nach einem verurteilten Kriegsverbrecher benannt wäre?! Ganz im Westen der Republik gibt es eine solche Schule, die auch im Jahr 2008 noch nach einem Mann benannt ist, der kein Vorbild sein kann. Andrea Böll und Chris Humbs.

Kreuztal, eine Stadt mit 30.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen. Siegerland. Hier gibt es ein städtisches Gymnasium. Es trägt den Namen von Friedrich Flick, den Namen eines in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrechers. Er zeigte weder Reue, noch Mitleid, noch Scham. Darf dieser Mann im Jahre 2008 der Namenspatron eines Gymnasiums sein?

Sein Portrait hängt vor dem Lehrerzimmer. Wir finden nirgends einen Hinweis, dass Flick Mitglied der NSDAP war. Nirgends steht, dass Flick Reichswirtschaftführer war, Kriegstreiber. Auch auf der Homepage der Schule entdecken wir keinen Kommentar zum Namenspatron.

Nichts darüber, dass Hitler aus dem Hintergrund von Flick finanziert wurde. Spenden, die der NSDAP an die Macht verhalfen. Nichts darüber, dass Flick Himmlers SS direkt jährlich 100.000 Reichsmark zukommen ließ und so den Rassenwahn tatkräftig unterstützte.

Der Schulleiter kann nicht nachvollziehen, dass uns dieser Umgang verwundert.

Herbert Hoß, Schulleiter Friedrich-Flick-Gymnasium
„Also wir sind da eigentlich in den vergangenen – ich bin seit sechs Jahren hier Schulleiter - sehr entspannt mit dem Namen umgegangen.“

Dabei dürfte allgemein bekannt sein: Flick war skrupellos.

Flick erkannte früh, dass er mit Hilfe von Arbeitsklaven in seinen Werken viel Geld machen konnte. 10.000, so Historiker, haben sich unter Flick zu Tode gearbeitet. Er ließ es zu, dass sein Leiter im sächsischen Waffen-Werk Gröditz 180 Zwangsarbeiter abtransportierte – zur Erschießung. Sie waren krank. Für Flick nutzlos.

Ein Gymnasium, das den Namen eines abscheulichen Verbrechers trägt – wie lange noch?

KONTRASTE
„Wie stehen sie zu einer Umbenennung?“
Herbert Hoß, Schulleiter Friedrich-Flick-Gymnasium
„Ich bin nicht für eine Umbenennung.“

Der Name Friedrich Flick soll also bleiben. Als Ehrerweisung. Angeblich hatte der verurteilte Kriegsverbrecher auch gute Seiten. Wegen guter Führung saß er nur drei Jahre im Gefängnis. Wurde danach schnell wieder der reichste Deutsche: jonglierte mit Milliarden.

In Kreuztal wurde er geboren, und hier ist er auch begraben. Ein „Sohn der Stadt“, der gibt. Er spendet für die Kirche, unterstützt Vereine. Und seine Firmen stiften Geld für den Bau des Gymnasiums.

Herbert Hoß, Schulleiter Friedrich-Flick-Gymnasium
„Ich denke, dass der Name dieser Schule nach ihm, ja, vergeben worden ist, weil diese Spende es möglich gemacht hat, 3 Millionen damals, die Schule zu bauen.“

Das war 1969. Die 3 Millionen waren eine Anschubfinanzierung für den Bau. Nicht ohne Gegenleistung. Aus dem Stadtarchiv geht hervor: Flicks Firmen drängen die Stadtoberen dazu, für die Spende Bauaufträge an sie zu erteilen – und die Stadt erteilt.

Flick war hemmungslos – wie eh und je. Für letztlich ein paar Groschen erkaufte er sich nach dem Krieg neues Ansehen. Das Gymnasium wurde nach ihm benannt - trotz seiner Verbrechen. Eine Ehrerweisung auf ewig – dafür sollen auch Flick-Stiftungen sorgen, die die Schule fördern. Der Geldfluss wirkt bis heute, auch bei Schülern.

Schüler
„Es ist halt die Frage, ob dann noch mit den ganzen Sponsorengeldern von der Friedrich-Flick-Stiftung, ob die dann auch noch kommen, wenn der Namen geändert wird. Und jetzt haben wir durch diese Stiftung auch viele… zum Beispiel die Physikräume wurden erneuert. Und es ist halt die Frage, ob man auf das Verzichten möchte oder ob man sich dann eher um den Namen kümmert.“

Nach KONTRASTE-Recherchen können und dürfen diese Stiftungen aber die Schule weiter fördern, auch wenn man den Namen ändern würde. Eine Umbenennung ist nicht gleich Verlust.

An der Schule scheint das erstaunlicherweise niemand zu wissen. Trotzdem sind einige Schüler gegen den Namen.

Schüler
„Fakt ist, dass er ein Nazi-Verbrecher war, ein Kriegsverbrecher war. Und dass soll man trotz aller Spenden und trotz alle, das er für die Schule die Stadt Kreuztal getan hat nicht verdrängen.“
„Also ich finde den Namen nicht gut.“
„Ich bin auch für eine Umbenennung.“


Doch plötzlich kommt der Schulleiter auf uns zu und erteilt uns ein Hausverbot an der Schule. Wir würden die „falschen Fragen“ stellen.

Herbert Hoß, Schulleiter Friedrich-Flick-Gymnasium
„Nein, es ist schon zu Ende.“

Wir bauen ein Abspielgerät vor dem Gymnasium auf - außerhalb des Schulgeländes. Ein paar Schüler interessieren sich dafür, was wir ihnen zu Friedrich Flick zeigen wollen.

Wir sind nach Lodz in Polen gefahren, um mit dieser Frau zu sprechen: Genowefa Kowalska, 83 Jahre. Als eine der wenigen noch lebenden Zeitzeuginnen wollte die ehemalige Zwangsarbeiterin den Schülern erzählen, wie es ihr erging unter Flick. Das Interview hätten wir gerne vielen Schülern gezeigt.

Nun sieht es nur eine kleine Gruppe und diese Schüler wollen vorher klarstellen: Sie gehen gerne hier in den Unterricht, es sei eine gute Schule – trotz des Namens. Uns wundert, dass sich kein Lehrer blicken lässt, um diesen Schülern öffentlich den Rücken zu stärken.

Genowefa Kowalska, Flick-Zwangsarbeiterin
„Ich arbeitete in einer Schneiderei. Eines Tages kam eine deutsche Kommission bei uns vorbei und suchte Mädchen aus. Sie zeigten, die, die und die. Ich saß an einer Maschine, als Schneidergehilfin. Wir mussten aufstehen und zu einem Appell in den Korridor gehen. Dann packten sie uns in ein Auto und brachten uns in ein Übergangslager.“

Wenige Tage später kam die 18jährige hierher. An den Stadtrand von Berlin. Ein Ministerialbeamter notiert 1943 über Flicks Werk in Spandau, Zitat:
„Die Ostarbeiter werden verprügelt, in Kerker geworfen und sogar sind Fälle zu verzeichnen gewesen, bei denen Ostarbeiter an den Händen aufgehängt wurden!"

Genowefa Kowalska, Flick-Zwangsarbeiterin
„Das war schreckliches Essen. Immer nur Suppen aus alten Kohlrüben. Ab und zu bekam man blaue, geschmacklose Kartoffeln. Dazu Soße aus Mehl und Wasser. Die Stuben waren sehr groß, vier bis zehn Mann waren drin. Mit Etagenbetten und voller Wanzen.“
KONTRASTE
„Was halten sie davon, dass eine Schule nach Friedrich Flick benannt ist?“
Genowefa Kowalska, Flick-Zwangsarbeiterin
„Das ist nicht korrekt. Ein Mörder, der Menschen folterte und tötete. Sein Name für Schulkinder? Das soll abgeschafft werden.“

KONTRASTE
„Erste Reaktion?“
Schüler
„Schockierend, sehr schockierend.“
„Es ist respektlos diesen Menschen gegenüber, eine Schule so zu nennen. Ich denke, man sollte ein bisschen mehr Respekt haben, und sich in diese Leute hineinversetzen können.“


Doch auch hier hören wir Einwände, die tief in den Köpfen verankert scheinen.

Schüler
„Friedrich Flick ist ja nur ein Mitläufer. Er hat ja den Holocaust nicht verursacht. Er war ja nur ein einfacher Mitläufer. Und wäre er nicht gewesen, dann hätte es jemand anderes gemacht.“

Die Grünen im Stadtrat fordern mehr Aufklärung zur Person Flick und sie wollen eine schnelle Umbenennung der Schule – durch den Stadtrat. Er sitzt der SPD vor, der Partei, die einst die Schule nach Flick benannte. Heute sieht man die Sache anders.

Karl-Heinz Schleifenbaum (SPD), Fraktionsvorsitzender Kreuztal
„Das ist auch die generelle Meinung der SPD-Fraktion, dass Flick keine Vorbildfunktion hat und kein Name für eine Schule sein kann, ich gehe davon aus, dass das Konsens ist in der Partei, in der SPD.“

Werner Müller ist Chef der größten Fraktion im Stadtrat – der CDU. Er fordert einen Schlussstrich.

Werner Müller (CDU), Fraktionsvorsitzender Kreuztal
„Die CDU-Fraktion hat beschlossen, für die Beibehaltung des Namens zu sein.“

Müller ist sich sicher, zusammen mit den anderen kleinen Parteien im Stadtrat kann er eine Umbenennung verhindern. Wenn da nicht der Bürgermeister wäre. Obwohl auch CDU-Mitglied, glaubt er, dass eine Debatte sein muss. Seine Meinung hat Gewicht, auch wenn er nur eine Stimme im Stadtrat hat.

Rudolf Biermann (CDU), Bürgermeister Kreuztal
„Diese Thematik bewegt mich so, dass sie auch zum schnellen Wachwerden, zum Nachdenken aber auch zu Schlaflosigkeit führt. Wer sich diese Thematik leicht macht, oberflächlich und nicht intensiv behandelt, der wird der Sache nicht gerecht.“

Er hat sich entschieden. Wofür will er uns noch nicht sagen. Er will erst, dass eine Umbenennung der Schule breit in der Stadt diskutiert wird: Er will, dass sich die Kirche, die Verbände zu Wort melden. Vielleicht bewegt sich ja doch etwas in Kreuztal, der Stadt im Siegerland.

Nächste Woche wird das Thema im Stadtrat von Kreuztal diskutiert. Ein erster Schritt, doch ob es zu einer Umbenennung kommen wird? Wir halten Sie auf dem Laufenden.