Gekaufte Straßenschilder? -
Der Autozulieferer Brose fordert eine postume Ehrung des Konzerngründers durch die Stadt Coburg. Doch Max Brose war nicht nur dank Rüstungsproduktion ein erfolgreicher Kaufmann, er war NSDAP-Mitglied, Wehrwirtschaftsführer und während der Nazi-Zeit IHK-Präsident in Coburg. Trotzdem kämpft der Enkel und heutige Mitinhaber des global agierenden Unternehmens darum, dass eine Straße nach dem NS-Profiteur benannt wird. Nachdem die Firma Brose Zuwendungen und Spenden an Coburg einstellte, weil die Stadt diese Ehrung ablehnte, geben die Lokalpolitiker jetzt dem Druck des Konzerns nach.
Anmoderation: 70 Jahre nach Kriegsende halten uns die Verbrechen der Nazizeit noch immer gefangen. Verbrechen, die in vielen Familien Spuren hinterlassen haben. Es fällt schwer, sich einzugestehen, wenn etwa der eigene Großvater Schuld auf sich geladen hat – als Täter, Profiteur oder auch nur als Mitläufer. Wie schwer, zeigt die Debatte um den einstigen Firmengründer Max Brose, die gerade im bayerischen Coburg die Gemüter erhitzt. Chris Humbs und Markus Pohl berichten, wie sein Enkel und Nachfolger nicht wahrhaben will, dass Max Brose etwas Unrechtes getan haben könnte – und ihn nun sogar ehren lassen will.
O-TON Michael Stoschek, Gesellschafter Brose GmbH
„Nazi-Mitläufer“, „Profiteur“, „Nutznießer“: Diese Bezeichnungen treffen für Max Brose eindeutig nicht zu.“
Michael Stoschek, einer der reichsten Männer Deutschlands, kämpft mit allen Mitteln um die Ehre seines Großvaters Max Brose. Er war Gründer des Autozulieferers Brose. Und: tief verstrickt in das NS-System.
Trotzdem fordert sein Enkel und Nachfolger als Unternehmenschef eine öffentliche Würdigung: diese Straße am Konzernsitz im fränkischen Coburg soll in Max-Brose-Straße umbenannt werden.
O-TON Michael Stoschek, Gesellschafter Brose GmbH
„Der Mann war ein Vorbild, der Mann hat sich ehrenhaft verhalten und es gibt nicht den geringsten Grund, ihm diese Ehre zu versagen.“
Doch es gibt Widerstand im Rathaus gegen das Diktum des Konzernchefs. Stadträtin Franziska Bartel, von Beruf Historikern, meint, Max Brose tauge nicht als Vorbild.
O-TON Franziska Bartel, SPD, Stadträtin Coburg
„Er war 1933 NSDAP Mitglied. Er war Wehrwirtschaftsführer. Er hatte Zwangsarbeiter beschäftigt. Und ich glaube, dass das Punkte sind, die uns heutzutage davon abhalten, dass wir jemanden in der Form ehren können mit einer Straße.“
Der Wehrwirtschaftsführer Brose war im Dritten Reich IHK-Präsident - und das in einer Nazi-Hochburg Coburg. Denn schon 1930 regierte hier in Coburg ein NSDAP-Bürgermeister. Es war die erste Stadt im Reich, die Adolf Hitler zum Ehrenbürger ernannte - hier ein Foto aus dem Coburger Rathaus.
Der Rüstungsproduzent Brose profitierte enorm vom Vernichtungskrieg, sein Werk lieferte für den Feldzug unter anderem Teile für Panzergeschosse. Für die Fertigung orderte er Zwangsarbeiter.
Michael Stoschek relativiert, zieht Parallelen zu Oskar Schindler, der mehr als 1000 Juden das Leben rettete.
O-TON Michael Stoschek, Gesellschafter Brose GmbH
„Oskar Schindler war Nationalsozialist, Parteimitglied, hat Zwangsarbeiter beschäftigt und war in der Rüstungsindustrie. So. Sie sehen an dem Beispiel, das sagt überhaupt nichts. Oscar Schindler war ein Held."
Reporter: Weil er Juden vor der Vernichtung, der Vergasung gerettet hat!
"Ja. Richtig. Im Gegensatz zu Oskar Schindler gab es in Coburg kein Konzentrationslager in unmittelbarer Umgebung, so dass mein Großvater keine Juden retten konnte. Nur es ist auch erwiesen, dass mein Großvater Zwangsarbeiter gut behandelt hat, soweit es irgendwie möglich ist.“
Angeblicher Beleg: die Entnazifizierungsakte von Max Brose. Darin gibt es entlastende Aussagen, die das Gericht 1949 milde urteilen ließen. Brose sei nur ein Mitläufer gewesen. Die Strafe: 2000 Mark.
Entnazifizierungs-Urteile müssen generell kritisch gesehen werden, betonen Historiker. Statt der Verfolgung von NS-Unrecht stand Ende der 40er Jahre die Einbindung der alten Eliten im Vordergrund. Aussagen von Entlastungszeugen glaubten die Spruchkammern damals nur allzu gerne.
O-TON Tim Schanetzky, Historiker, Friedrich-Schiller-Universität Jena
„Da wird einfach gelogen, dass sich die Balken biegen. Also in fast jeder eidesstattlichen Erklärung finden sie dann eben die Hinweise, dass die Zwangsarbeiter fantastisch versorgt gewesen seien, dass sie nach der Befreiung dankbar gewesen seien. Also fast jeder Unternehmer, der vor einer Spruchkammer steht, bringt solche sogenannten Persilscheine bei, deswegen gehen Historiker da in aller Regel sehr, sehr vorsichtig mit um.“
Hier im Staatsarchiv Coburg liegen die Akten zum Fall Brose. Darin finden sich auch viele belastende Aussagen, etwa über die Misshandlungen von Zwangsarbeitern. In den Akten liegt auch dieser Aufruf, unterzeichnet von Max Brose. Er warnt seine Mitarbeiter bezüglich des Umgangs mit Kriegsgefangenen: „Humanitätserscheinungen sind keineswegs am Platze!“
Moralisch fragwürdig auch der Erwerb dieser Villa durch Max Brose. Sie hatte zuvor dem bekannten Coburger Juden Abraham Friedmann gehört. Er war von Nazi-Schergen gefoltert und aus dem Land gejagt worden. Max Brose nutzte die Gelegenheit, das Anwesen weit unter Wert bei einer Zwangsversteigerung zu kaufen.
In den Augen des Enkels aber bleibt der Großvater untadelig. Michael Stoschek beruft sich auf eine Studie der Universität Erlangen. Sie hat die Verstrickungen Broses aufgearbeitet. Ein Auftragswerk, bezahlt von der Firma Brose. Tenor des Autors: Max Brose ist immer anständig geblieben.
O-TON Michael Stoschek, Gesellschafter Brose GmbH
„Also die Geschichte meines Großvaters ist endgültig und abschließend erforscht. Da gibt es keinen, da gibt es absolut keinen Bedarf mehr an weiterer Erforschung.“
In der Fachwelt wird die Arbeit der Uni Erlangen zurückgewiesen: Unter Historikern gilt das Buch, das ohne eine einzige Fußnote auskommt, als unwissenschaftlich. Es ignoriere den Stand der NS-Forschung, sei einseitig.
O-TON Prof. Dieter Ziegler, Historiker, Ruhr-Universität Bochum
„Ich kann mir keine andere Erklärung vorstellen als die, dass das Ergebnis im Grunde von vornherein feststand, nämlich, dass hier bei dieser Untersuchung herauskommen soll, dass die Person moralisch einwandfrei gehandelt hat."
Reporter: Warum macht man das, als unabhängiger Professor?
"Das wiederum kann ich mir jetzt nicht erklären.“
Der Autor der Studie, Professor Gregor Schöllgen, wollte sich nicht vor der Kamera unseren Fragen stellen.
Mit dem von der Firma Brose bezahlten Buch übt Michael Stoschek nun Druck auf den Coburger Stadrat aus. Denn der hat ihm schon einmal die Gefolgschaft versagt, 2004 eine Max-Brose-Straße abgelehnt. Sehr zum Unmut des Patriarchen.
O-TON Michael Stoschek, Gesellschafter Brose GmbH
„Das war eine Entscheidung, die unseren Firmengründer beschädigt hat und die uns natürlich tief getroffen hat. Und da der Stadtrat die Vertretung der Bürgerschaft ist, haben wir gesagt, ok, wenn die Bürgerschaft so unseren Großvater und Firmengründer beschädigt, ja, dann sind wir auch, als Unternehmen übrigens, nicht mehr bereit, uns öffentlich zu engagieren.“
Der mächtige Brose-Konzern strich Coburg alle sozialen Zuwendungen und Spenden. Und das zeigte Wirkung.
Heute zeichnet sich im Stadtrat eine Mehrheit für die Max-Brose-Straße ab. Auch der SPD-Bürgermeister bereut die ursprüngliche Ablehnung.
O-TON Norbert Tessmer, SPD, Oberbürgermeister Coburg
„Das hat zu einer Verstimmung gesorgt zwischen dem Unternehmen und auch der Stadt Coburg, und ich denke mal, es tut der Stadt gut, wenn das, dieser Streit mal beigelegt wird.“
Am 21. Mai will die Stadt nun die Ehrung von Max-Brose beschließen.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden und selbst in Franken zuhause, hält das angesichts der NS-Geschichte Coburgs für beschämend.
O-TON Josef Schuster, Präsident Zentralrat der Juden in Deutschland
„Es geht nicht darum, Max Brose generell zu verdammen. Nur, es geht da um eine Straßenbenennung, und ich erwarte für eine Straßenbenennung eine Vorbildfunktion in jeder Hinsicht. In der Stadt Coburg, die erste Stadt mit einer braunen Stadtratsmehrheit, in dieser Stadt meine ich, sollte man die Latte besonders hoch legen.“
Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl