-
Bis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit hatte Griechenland, wie die anderen ehemaligen Kriegsgegner, den Deutschen Schulden aus dem II. Weltkrieg gestundet. Doch nach der Wiedervereinigung weigerten sich alle Bundesregierungen mit Griechenland über Reparationen und Schulden aus der Besatzungszeit auch nur zu verhandeln: Nachdem der Krieg Jahrzehnte zurückliege, seien die Forderungen nicht mehr relevant.
Es geht hoch her im Streit um die griechischen Schulden. Der Ton zwischen Deutschland und Griechenland wird rauer. Jetzt geht der griechische Ministerpräsident Tsipras in die Offensive. Er fordert von Deutschland unter anderem die Rückzahlung einer Zwangsanleihe aus dem Zweiten Weltkrieg. Das macht viele in Deutschland angesichts der Schuldendiskussion fassungslos. Doch die Rückzahlungsforderung der Griechen ist nicht neu. Sie belastet weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten die Beziehungen beider Länder. Markus Pohl und Chris Humbs über offene Rechnungen und trickreiche deutsche Politiker.
Deutsche Wochenschau
"Im Tiefflug über das Ägäische Meer."
Propagandabilder der Deutschen Wochenschau – die Eroberung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg.
Deutsche Wochenschau
"Chania steht in Flammen. Straße um Straße muss kämpfend genommen werden. Nach zwölf
Tagen Kampf ist Kreta fest in deutscher Hand. Das Hakenkreuz weht über Kreta.“"
1942 ist ganz Griechenland besetzt. Für die Griechen bis heute ein Trauma, das sie nicht loslässt. Im Kriegsmuseum im Zentrum Athens treffen wir den Historiker Hagen Fleischer. Er erforscht seit Jahrzehnten die Gräueltaten der deutschen Besatzer, die hier dokumentiert werden.
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen
„Es war eindeutig die blutigste Besatzung von allen nicht-slawischen Ländern. Weit über 30.000 exekutierte Zivilisten, darunter auch viele Frauen und Kinder. Systematisch zerstörte Infrastruktur und Wirtschaft. Plünderorgien, vom Raubbau in den Bergwerken, die für die deutsche Seite interessant war, bis hin zum Abtransport von Olivenöl und von Lebensmitteln. Und daraus resultierten die mindestens 100.000 Hungertoten vom ersten Besatzungswinter.“
Die deutschen Besatzer pressten dem ausgeplünderten Land zudem Millionen-Kredite ab. Jeden Monat musste die griechische Nationalbank eine so genannte Zwangsanleihe aufbringen.
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen
„Damit wurden dann vor allem solche Kosten und Ausgaben der Wehrmacht gedeckt, die nicht unter die normalen Besatzungskosten in einem Krieg fallen. Das waren dann die Kosten für die Kriegsführung im östlichen Mittelmeer. Selbst Rommels Nordafrikafeldzug wurde zum Teil von den Griechen mitfinanziert.“
Bemerkenswert ist: Noch kurz vor Kriegsende hatten die Nazis mit der Rückzahlung der Zwangsanleihe begonnen, wie aus Dokumenten hervorgeht, die Hagen Fleischer entdeckt hat. Eine von Nazi-Deutschland selbst berechnete und anerkannte Restschuld von 476 Millionen Reichsmark blieb aber offen.
Heute entspricht das rund 10 Milliarden Euro. Geld, das griechische Regierungen schon seit Jahrzehnten zurückverlangen. Besonders vehement der neue Premier Alexis Tsipras:
Alexis Tsipras, Premierminister Griechenland
"Es ist die historische Pflicht der neuen griechischen Regierung, den Besatzungskredit und Reparationen einzufordern. (Applaus)"
In Athen ist diese Forderung quer durch alle Parteien äußerst populär. Die Griechen fühlen sich von Deutschland gedemütigt. Wegen der Krise erhalten sie permanent Schuldzuweisungen, ausgerechnet aus dem Land, das einst Griechenland ausbeutete, das bis heute seine Kriegsschulden nicht ansatzweise beglichen hat.
Vox-Pops
„Sie haben Schulden, und zwar große. Im Zweiten Weltkrieg sind sie hier nach Griechenland gekommen und haben alles zerstört ohne jeden Anlass. Sie haben alles und alle zerstört, und jetzt sprechen sie schlecht über Griechenland.“
VoxPops
„Der Schaden ist eine Tatsache. Egal wie viele Jahre, diese Wunden bleiben offen.“
VoxPop
„Wir verlangen keine Almosen, und wir betteln auch nicht. Wir verlangen das, was uns zusteht.“
Auch der griechische Außenminister spricht das Thema bei seinem Antrittsbesuch in Berlin an. Obwohl das heutige Deutschland der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ist, sieht man in Berlin keinen Anlass, auch nur einen Cent zurückzuzahlen:
Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesaußenminister
„Wir sind nach wie vor und fest der Meinung, dass alle Reparationsfragen, einschließlich von Zwangsanleihen, rechtlich abgeschlossen geregelt sind.“
Rechtlich abgeschlossen? Diese Haltung ist äußerst umstritten. Denn Griechenland hat zu keinem Zeitpunkt auf seine Ansprüche verzichtet.
Auf der Londoner Schuldenkonferenz von 1952 wurde international vereinbart, dass Reparationen bis zu einer Wiedervereinigung und einem gesamtdeutschen Friedensvertrag zurück gestellt werden – Griechenland musste warten. Die Schulden wurden gestundet, nur so war das deutsche Wirtschaftswunder überhaupt möglich.
Lediglich für NS-Verfolgte - wie die griechischen Juden, die überlebt hatten - zahlte die Bundesrepublik in den 60er Jahren auf großen Druck hin Entschädigungen.
Griechenland ermahnte Westdeutschland aber immer wieder – wie in diesem Memorandum von 1965 – die Zwangsanleihe nicht zu vergessen. Die Reaktion war stets die gleiche:
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen
„Die ganzen Jahrzehnte über wurde in der deutschen Argumentation immer darauf verwiesen, dass es einfach zu früh ist für eine Lösung, da eben das ganze Deutschland den Krieg geführt hat und nicht das halbe Deutschland und das halbe Deutschland eben keinen Abschluss herbeiführen könnte.“
Dann fiel die Mauer. Und somit stand die auf die lange Bank geschobene Regelung der Kriegsschulden wieder auf der Tagesordnung. Aber die Bundesregierung wollte eine Zahlung von Reparationen unbedingt vermeiden. Sie entwickelte einen neuen Plan, wie man sich drücken könnte.
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen
„Genscher hat sämtlichen Botschaften ein geheimes Rundschreiben zugeschickt, wie man die jetzt vermutlich aufkommenden Entschädigungsansprüche abwimmeln sollte.“
Dieses vertrauliche Schreiben an die Deutsche Botschaft in Athen liegt Kontraste in Auszügen vor – darin steht:
„Kommt es nicht zu Verhandlungen über einen formellen Friedensvertrag, so könnten wir darlegen, daß sich (…) keine Notwendigkeit ergibt, die Frage der Reparationen aufzugreifen.“
Genscher trickste also. Beim Vertrag, der 1990 schließlich unterzeichnet wurde, strich man das Wort „Frieden“ einfach. Denn ohne Friedensvertrag keine Reparationen. Der Vertrag hieß nun 2+4-Vertrag – ohne auch nur ein Wort über Entschädigungen und den Zwangskredit zu verlieren. Ausgehandelt hatten das Abkommen die DDR, die BRD und die vier großen Siegermächte – Griechenland durfte nicht mitreden. Die Ansprüche aber sollten aus Sicht der Bundesregierung fortan verwirkt sein.
Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen
„Herr Kohl, als er zum ersten Mal angesprochen wurde, sagt er: „Jetzt? Na jetzt ist es zu spät“. Also das zu früh/zu spät kommt direkt hintereinander und natürlich von griechischer Seite, man merkt die Absicht und man ist verstimmt.“
In einer diplomatischen Note forderte Griechenland 1995 erneut Verhandlungen über die Rückzahlung der Zwangsanleihe, wurde aber kühl abserviert:
„Nach Ablauf von 50 Jahren nach Kriegsende … habe die Reparationsfrage ihre Berechtigung verloren.“
Immer wieder neue Winkelzüge, gegen die es aber wohl keine rechtliche Handhabe gibt. Denn dem zuständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag hat sich Deutschland nur für Streitfälle unterworfen, die nach 2008 entstanden – also ausdrücklich nicht für Ungeklärtes aus dem Zweiten Weltkrieg.
Zwar hat sich mit Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Jahr erstmals ein Politiker im Namen Deutschlands für die Verbrechen in Griechenland entschuldigt. Alle finanziellen Ansprüche aber blockt Deutschland mit dem Recht des Stärkeren bis heute ab.
Die Opposition im Bundestag kritisiert das scharf. Schon lange vor dem Regierungsantritt der heutigen Regierung in Athen, forderten Politiker der Linken Verhandlungen über die Rückzahlung der Zwangsanleihe.
Ulla Jelpke, Die Linke, Mitglied des Deutschen Bundestages
„Es ist letztendlich eine moralisch-ethische Frage, wie Deutschland sich dazu verhält und wie es zu seiner Schuld steht, also zu der Vergangenheit steht und ob man das einfach so abbügelt oder ob man sagt also, das was die Nazis Griechenland genommen haben, darf Deutschland nicht behalten.“
Um der Bundesregierung entgegenzukommen, schlägt der ehemalige-FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis eine diplomatische Lösung vor. Er ist heute griechischer Sonderbotschafter.
Jorgo Chatzimarkakis, Sonderbotschafter Griechenland
„Gefragt ist, dass man dem Land tatsächlich jetzt das Geld zurückgibt, eventuell aber über eine Fondslösung, die ganz konkret Projekte fördert.“
So würde aus einer Reparationsleistung für Griechenland eine Art Wiederaufbauleistung. Das Geld könnte für Infrastrukturmaßnahmen investiert, Griechenland wieder zukunftsfähig gemacht werden.
Vielleicht ja eine Lösung, bei der alle Seiten ihr Gesicht wahren könnten.
Beitrag von Markus Pohl und Chris Humbs