Kriegsverbrecher Engel (Quelle: rbb)

- Kriegsverbrecher Engel blieb unbehelligt - Staatsanwaltschaft Stuttgart versagte

Vor wenigen Wochen enthüllte Kontraste: Ein verurteilter Kriegsverbrecher lebt seit Jahrzehnten unbehelligt in Deutschland. Denn die zuständigen Staatsanwälte konnten ihn nicht finden - weil sie nicht einmal ins Telefonbuch schauten. Und Fahndungslisten beachteten sie offenbar auch nicht.

In unserer letzten Sendung hatten wir über einen Mann berichtet, für den sich deutsche Staatsanwälte mit 50jähriger Verspätung interessieren. Obwohl er bereits für Kriegsverbrechen wegen Massenmordes in Italien verurteilt war. Kontraste hatte Friedrich Engel gefunden, aber nun wollten wir wissen, wie es sein konnte, dass ihn die Ermittler bei uns einfach übersahen.

Rene Althammer und Udo Gümpel zeigen das Unglaubliche: Verbrechen, die bis heute nicht gesühnt sind.


Diese Bilder haben vor sieben Wochen in Italien zu grossem Aufsehen geführt. KONTRASTE zeigte einen 92jährigen bei der Gartenarbeit vor seinem Haus in Hamburg-Lokstedt. Dr. Friedrich Engel.

1999 wurde dieser Mann in Italien wegen seiner Beteiligung an vier grossen Massakern mit über 200 Toten zu lebenslanger Haft verurteilt. Dennoch konnte er in Deutschland bis heute völlig unbehelligt seinen Lebensabend geniessen.

Friedrich Engel:
"Ich fühle mich schlecht, aber unberechtigt, in dieser Weise, in dieser Form, an den Pranger gestellt."

Engel versteht nicht, warum die Vorwürfe erst jetzt erhoben werden, denn deutsche Staatsanwälte wissen spätestens seit 1960, wer er war.

Mailand 1945: Im Hintergrund ist Engel bei seiner Gefangennahme durch alliierte Truppen zu sehen. Bis dahin war er SS- und Polizeichef von Genua. In dieser Funktion war Engel für mehrere grausame Massaker verantwortlich. Dafür wurde er rechtskräftig verurteilt:


für das Massaker von Cravasco mit 17 Toten;
das Massaker von Portofino mit 22 Toten;
für das Massaker vom Passo del Turchino mit 59 Toten und
für das Massaker am Kloster der Benedicta mit 147 Toten.
Ein Mann hat diese Massenerschiessung überlebt - Enio Odino

Enio Odino, Überlebender:
"Das hier ist der Ort, an dem ich eigentlich erschossen werden sollte. Wir waren zu fünft. Vor uns sind hier bereits mehr als 20 Menschen in Fünfergruppen ermordet worden. Ich habe einfach Glück gehabt, dass man mich nicht mit einem Gnadenschuss endgültig erledigt hat. Ich habe einen meiner Kameraden, der zuvor am Knie verletzt worden war, gestützt. Dieser Freund bekam all die Kugeln ab, die eigentlich für mich bestimmt waren. Dann fiel er über mich und begrub mich unter seinem Körper. Ich war überall mit Blut beschmiert. Und so hielt der SS-Mann auch mich für tot."

Turin: hier wurde Engel für diese Massaker verurteilt - 54 Jahre nach Kriegsende. Viel zu spät, meint auch der Staatsanwalt.

Pier Paolo Rivello, Militär-Staatsanwalt:
"Es wäre unendlich viel einfacher gewesen, diesen Prozess gleich direkt nach dem Krieg zu führen. Die Schuld Engels war immer unbestritten. Die ersten alliierten Kommissionen hatten bereits fest gestellt, dass Engel ein Kriegsverbrecher war."

Dass Friedrich Engel als Kriegsverbrecher verdächtigt wurde, ist auch deutschen Behörden schon seit 1988 bekannt.

Ludwigsburg, Sitz der zentralen Ermittlungsstelle für nationalsozialistische Gewaltverbrechen. 1988 hat die Zentralstelle die Kriegsverbrecherlisten der United Nations War Crime Comission der UNO erhalten.

Diese Listen sind das Ergebnis der Ermittlungen der Alliierten gegen Kriegsverbrecher in den ehemals besetzten Gebieten. In der Liste Nr. 52 sind alle Erkenntnisse über deutsche Kriegsverbrechen in Italien zusammengefaßt. Unter der Nummer 115 finden wir dort SS-Obersturmbannführer Dr. Friedrich Engel.

Von Ludwigsburg wandert diese Information im Rahmen eines Sammelverfahrens gegen 88 Verdächtige zur Staatsanwaltschaft Stuttgart. Doch dort werden die Ermittlungen nach fünf Jahren ergebnislos eingestellt.

Damals zuständig: Kurt Schrimm. Heute ist er der Leiter der zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen. Warum hat Schrimm das Verfahren gegen Engel damals eingestellt? Weil er Engel nicht finden konnte!

Kurt Schrimm, Staatsanwalt:
"Ich habe das Landeskriminalamt Baden-Württemberg beauftragt, zu ermitteln, ob die in dem Verfahren genannten 88 Personen erstens ermittelt werden können, zweitens ihnen eine strafbare Handlung nachgewiesen werden kann."
"Und Engel konnte aber nicht einmal ermittelt werden?"
"Engel aber konnte nicht einmal ermittelt werden, laut Auskunft der Hamburger Behörden."
"Aber Engel stand doch im Telefonbuch, ganz normal?"
"Es ist nicht unsere Art und Weise, Telefonbücher zu lesen, wenn wir nach Verdächtigen suchen."

Das hätte Herr Schrimm aber besser tun sollen: Denn Engel lebte seit 1957 in Hamburg und war regulär gemeldet. Doch selbst wenn Herr Schrimm das Hamburger Telefonbuch aufgeschlagen hätte - er hätte Engel gar nicht den Prozess machen wollen, denn:

Kurt Schrimm, Staatsanwalt:
"Herr Engel wurde auch nicht als Beschuldigter gesucht, sondern laut der Liste als Zeuge, so dass ich keine Veranlassung hatte, weiter nach diesem Herrn Engel, der laut Hamburger Behörden nicht auffindbar war, zu suchen."

Doch das ist falsch: Friedrich Engel stand nicht als Zeuge auf der Kriegsverbrecherliste, sondern als Mord-Verdächtiger und wurde von England gesucht. Eingeordnet in die Kategorie A: Kriegsverbrecher.

Doch damit nicht genug: Selbst wenn Engel sich damals freiwillig beim Stuttgarter Staatsanwalt gemeldet hätte, Schrimm hätte nicht einmal gewusst, was er seinen Zeugen fragen soll.

Kurt Schrimm, Staatsanwalt:
"Wenn Sie ihn gefunden hätten, was hätte er bezeugen sollen?"
"Das weiss ich nicht, das weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass er, er wurde nicht von mir als Zeuge gesucht, er wurde auch nicht von Ludwigsburg als Zeuge gesucht, er wurde laut Liste von UK, United Kingdom als Zeuge gesucht."
"Haben Sie denn damals eine Nachfrage damals stellen können in Italien, ob ein Mann dieses Namens für eventuelle Taten ..."
"Es gab keine Veranlassung dazu."

Dass es für Nachfragen keine Veranlassung gab, stößt auf Widerspruch. Heinz Ludger Borgert, Leiter der Aussenstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg, kennt die Kriegsverbrecherlisten genau: Der Tatvorwurf im Fall Engel ist seiner Meinung nach eindeutig.

Heinz-Ludger Borgert, Bundesarchiv Ludwigsburg:
"Er wird wegen des Tatvorwurfes des Mordes dort bezichtigt, aufgenommen aber durch Grossbritannien. Möglicherweise eben vorrückende englische Truppen; in Italien sind denen eben Kenntnisse über oder Vorwürfe gegenüber Engel in Hinblick auf einen Mordvorwurf gegeben worden. Und die haben dann beantragt, ihn in diese Liste aufnehmen zu lassen."

Wenn Staatsanwalt Schrimm sich die Mühe gemacht hätte, in den Archiven oder direkt vor Ort in Genua nach Friedrich Engel zu fragen: ein Prozess gegen Engel hätte schon vor zehn Jahren stattfinden können - hier in Deutschland.

Wie wenig sich deutsche Staatsanwaltschaften für deutsche Kriegsverbrechen bis heute interessieren, das weiss auch Erich Priebke. Er wurde für das Massaker an den Ardeatinischen Höhlen zu lebenslänglich verurteilt und verbüsst die Strafe heute im Hausarrest.

Im Namen Priebkes spricht sein Bevollmächtigter Paolo Giacchini. Er weiss von weiteren Unverfolgten:

Paolo Giacchini, Bevollmächtigter von Erich Priebke:
"Es gibt zwei Kameraden Priebkes, die noch leben: Einer ist der Leutnant Schubernick, der lebt krank in Österreich: Die Italiener lassen ihn in Ruhe, weil sie mit Priebke schon genug Probleme hatten. Und dann gibt es noch einen anderen, der damals auch geschossen hat, den die italienischen Behörden auch kennen."

Ein Mittäter Priebkes, der unbehelligt in Deutschland leben soll - Nachforschungen gegen ihn sind nicht bekannt.

Friedrich Engel:
"Lassen Sie mich jetzt in Ruhe"

Friedrich Engel ist 92 Jahre alt. Seit 1998 ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen ihn. Vielleicht kommt es zum Jahresende zum Prozess. 56 Jahre haben die Opfer auf Gerechtigkeit gewartet, weil deutsche Staatsanwälte angeblich keinen Grund für Ermittlungen sahen.