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Bis heute kämpfen ehemalige Ghetto-Arbeiter um Renten und Entschädigung. Einfacher hatten es da die Angehörigen der SS. Seit den 50er Jahren haben sie Anspruch auf Opferrente und Altersrente, ihre Zeit bei der SS gilt als normale Beschäftigung.
Hitlers treueste Gefolgsleute, das waren die Schergen der Waffen-SS, verantwortlich für Greueltaten und Morde an hunderttausenden Menschen während des Kriegs. Doch wie kann es sein, dass ehemalige Angehörige dieser verbrecherischen Organisation bis heute Rentenzahlungen vom deutschen Staat bekommen?! Und wie kann es sein, dass auf der anderen Seite viele jüdische Überlebende des Holocausts dafür kämpfen müssen, ihre Rente zu bekommen?! Markus Pohl und Chris Humbs mit Hintergründen.
Riga – Lettland – am Sonntag. Hier marschieren ehemalige Mitglieder der SS. Sie gedenken alljährlich der Kameraden, die im Kampf für Nazideutschland und gegen den Bolschewismus gefallen sind.
Begleitet werden die Veteranen der Waffen-SS von Nationalisten und Rechtsextremisten aus ganz Europa.
Einer von Hitlers ehemaligen Rassekriegern schickt einen Gruß nach Deutschland:
Janis Mikelsons
ehemaliger SS-Legionär
„Wer von uns gekämpft hat und verletzt wurde, bekommt von Deutschland eine Rente – da sagt man Dankeschön.“
Ein Foto einer lettischen SS-Rotte von 1943. Darauf zu sehen: Karlis Ciceronoks.
Heute ist er 93 Jahre alt. Der Lette bekommt eine Opferrente, die ein deutsches Versorgungsamt monatlich überweist.
Auf unsere Frage, inwieweit er in seiner Einheit Kriegsverbrechen mitbekommen habe, weicht er aus – mit Details wolle er uns nicht langweilen:
Karlis Ciceronoks
ehemaliger SS-Legionär
„Der Krieg war, wie soll ich das sagen, sehr hart. es wurde sehr hart gekämpft. Sehen sie, ich habe das hier nicht umsonst…“
Sein Unterarm wurde amputiert.
277 € Rente bekommt er. Plus Kuraufenthalte in Deutschland. Auch die Beerdigungskosten werden die deutschen Steuerzahler übernehmen - obwohl der SS-Mann nie in die Rentenkasse einbezahlt hat.
Die Verbrechen der SS in Lettland hatten eine unfassbare Dimension. Gemeinsam mit lettischen Polizeieinheiten erschossen Hitlers Elitetruppen einheimische und vor allem aus Deutschland deportierte Juden. 70.000 wurden allein in Lettland ermordet.
Viele der Polizisten meldeten sich später freiwillig zur Waffen-SS.
Eine der wenigen Überlebenden ist Rute Vaskovica. Sie lebt in Riga – zusammen mit ihrer Katze und ihrem Enkel in einer Einzimmerwohnung.
Als 12jährige kam sie in die Schneiderei im Rigaer Ghetto – dort musste sie Judensterne aufnähen. Ganz regulär wurden für die Arbeit Rentenbeiträge nach Deutschland abgeführt.
Doch die deutsche Rentenkasse verweigert ihr jahrelang die Auszahlung. Der Grund: Kinderarbeit sei nicht versicherungswürdig.
Dank Ihrer Rechtsanwälte bekommt die 85-jährige seit kurzem 280 Euro im Monat – jedoch nicht rückwirkend.
Rute Vaskovica
Überlebende des Rigaer Ghettos
„Für sieben Jahre kommt das raus, ja.“
KONTRASTE
„Sieben Jahre haben sie keine Rente bekommen, obwohl sie eigentlich Anspruch darauf haben?“
Rute Vaskovica
Überlebende des Rigaer Ghettos
„Ja, ich lebe noch, ich brauche das Geld!“
Das Verhalten deutscher Behörden ist für Efraim Zuroff, den Chef des Simon-Wiesenthal-Zentrums unerträglich. Vor den Ruinen der Rigaer Synagoge treffen wir den sogenannten „Nazi-Jäger“. Er ist wegen des Aufmarschs der SS-Veteranen nach Lettland gereist.
Efraim Zuroff
Direktor Simon-Wiesenthal-Center
“Es ist armselig und empörend, dass es für SS-Angehörige Sympathien gibt, dass sie Renten bekommen, während Menschen, die im Ghetto Zwangsarbeit leisteten, kämpfen müssen für das, was ihnen zusteht.“
Die Wut ist groß auf die Versorgungsämter, wie hier in Ravensburg, wo die lettischen SS-Inalidenrentner verwaltet werden.
Zwar werden seit 1998 alle Antragsteller – auch deutsche - überprüft, ob ihnen die Renten wegen Kriegsverbrechen entzogen werden können.
Doch hier in Baden-Württemberg haben die Nachforschungen kaum etwas gebracht.
Ulrich Fink
Landesversorgungsamnt
“Es sind 30 Fälle, die man an Tätern heraus gefiltert hat. Und ich muss grundsätzlich einmal unterstellen, dass die anderen eben keine Täter waren, sondern tatsächlich auch Opfer des Krieges im Rahmen ihrer Dienstvorrichtung.“
Die Angriffskrieger als Opfer. Fast eine Million Soldaten und Hinterbliebene erhielten zum Zeitpunkt der Überprüfung noch eine Opferrente. Bundesweit wurde sie nur in 99 Fällen aberkannt. Mehr Beteiligte an Verbrechen konnte man angeblich nicht ausfindig machen.
Das ist völlig unverständlich für Volker Beck. Der Bundestagsabgeordnete hat sich intensiv für die Überprüfung eingesetzt.
Volker Beck (Bündnis 90/Grünen)
MdB, innenpolitischer Sprecher
„Man hat das offensichtlich sehr oberflächlich und schlampig gemacht. Bei den Tätern guckt man lieber mal weg und gewährt ihnen weiter Ansprüche die sie eigentlich so nach dem Willen des Gesetzgebers aus den 90er Jahren nicht mehr haben sollten.“
Doch nicht nur verwundete SS-Männer bekommen eine Rente. Kaum bekannt: Bis heute gibt es grundsätzlich für die Zeit bei der Waffen-SS eine Altersversorgung.
Dabei hatten die Alliierten die SS-Angehörigen von allen Versorgungsansprüchen ausgeschlossen. Der Militärgerichtshof in Nürnberg stufte die Elitetruppe als verbrecherische Organisation ein, einschließlich der Waffen-SS.
Doch die SS-Veteranen sammeln sich im Nachkriegsdeutschland in der HIAG, der „Hilfsorganisation auf Gegenseitigkeit“. Das Motto: „Meine Ehre heißt Treue“. Für ihren Einsatz im Vernichtungskrieg fordern die Kämpfer nun lauthals Pensionen und Renten als Belohnung.
Kurt Meyer
HIAG-Vorsitzender und verurteilter Kriegsverbrecher (1959)
„Diese Männer, die hier versammelt sind, waren Soldaten und sonst nichts!“
Die politische Lobbyarbeit zeigt Wirkung.
Im Laufe der 50er Jahre gleicht der Bundestag die Versorgungsansprüche der SS-Soldaten weitgehend an diejenigen der Wehrmacht an.
Zu den wenigen Ausnahmen der Rentenregelung zählen: der Dienst im KZ.
Und: Renten kommen „nicht in Betracht, wenn das Ausscheiden (aus der SS) in Unehren erfolgte.“
Das heißt: wer sich nicht im Sinne des Unrechtsregimes verhalten hat, bekommt heute keine Rente.
Ein Fürsorge des Staates für Hitlers Krieger, die für Historiker schwer zu erklären ist.
Jan Erik Schulte
Historiker, Hannah-Arendt-Institut Dresden
„Das Spannende dabei ist, dass offensichtlich diese Pensionszahlungen gewährt worden sind, ohne zu überprüfen, was die Einzelnen tatsächlich gemacht haben in diesen Einheiten, ohne ein Kriterium dafür zu haben, ob die Einheit sich an Verbrechen beteiligt hat.“
Auch für Paul Schröer wurde gesorgt. Mit 17 Jahren meldete er sich freiwillig zur Elite-Truppe. Als einer von wenigen Deutschen kam er als Sturmmann zur kroatischen SS-Division „Handschar“.
Sie galt als besonders rücksichtslos, auch gegenüber Zivilisten.
Paul Schröer
ehemaliger Soldat der Waffen-SS
„Wenn sie von Partisanen angegriffen wurden, welche Einheit hat sich da nicht auch mit brutalen Mitteln gewehrt. Sicherlich sind auch Verbrechen geschehen, ich weiß es nicht…“
Schröers Zeit in der SS findet sich in seinem Rentenbescheid akkurat als militärischer Dienst aufgelistet: Eine Verwicklung in Kriegsverbrechen hat die Rentenkasse nie überprüft. Das gilt bis heute für alle SS-Altersrenten.
Selbst das Sozialministerium gesteht ein…
„dass die Regelungen zu Unverständnis und bei Opfern nationalsozialistischer Gewalt auch zu Empörung führen können.“
Volker Beck (Bündnis 90/Grünen)
MdB, innenpolitischer Sprecher
„Ich wünsche mir, dass die Regierung noch mal alles prüft, was man da konkret ändern kann. Ich finde es skandalös, dass man unbesehen, was die Leute in der Vergangenheit zu verantworten haben, ihnen einfach eine rentenrechtliche Versorgung hinterher wirft.“
Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl