- Unsichere Zukunft – Kein Geld aus Deutschland für KZ-Gedenkstätte Sobibor

Nach der Verurteilung des ehemaligen SS-Freiwilligen John Demjanjuk in München wegen seiner Beteiligung an der Ermordung tausender Juden, wurde das Konzentrationslager Sobibor wieder zu einem Begriff. Doch jetzt musste die Gedenkstätte schließen – aus Geldmangel. Bislang kam Polen allein für den Unterhalt auf. Deutschland beteiligte sich nicht, zur Empörung der Opfer.

Unser Umgang mit der deutschen Geschichte. Im Mai, vielleicht erinnern Sie sich noch, ging in München ein historischer Prozess zuende. Wegen Mordes an tausenden Juden im Vernichtungslager Sobibor wurde der ehemalige SS-Freiwillige John Demjanjuk von einem deutschen Gericht verurteilt. Ins Gefängnis musste der nach der Urteilsverkündung ganz vital wirkende 91-Jährige allerdings nicht, er hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Seitdem ist aber der Name Sobibor wieder in unsere Erinnerung gerückt. Heute ist Sobibor in Polen eine Gedenkstätte, die gepflegt und finanziert werden muss. Eigentlich selbstverständlich, dass sich auch Deutschland daran beteiligt, sollte man denken. Doch als wir in Polen recherchierten, erfuhren wir Erstaunliches: Die KZ-Gedenkstätte wird von Deutschland mit keinem einzigen Cent unterstützt. Jetzt droht die Schliessung. Tom Fugmann.

Marco de Groot ist aus Amsterdam extra nach München gekommen, um die Verurteilung von John Demjanjuk zu erleben. Für ihn ist Demjanjuk ein Mörder, der an der Tötung seiner Eltern beteiligt war.

Marco de Groot, Nebenkläger im Denjanjuk-Prozess
„Das wichtigste ist, dass er schuldig ist. Und das er da gewesen ist. Und dass er mitgetan hat, an die schreckliche Mordmaschine, die zwanzig Verwandte von mir ermordet hat in Sobibor. War unter meine Eltern, meine Mutter war hochschwanger, so auch meine ungeborene Brüder oder Schwestern."

Einige Tage später zurück Amsterdam: Marco de Groot und Mary Richheimer-Leijden waren als Nebenkläger im Prozess. Sie verbindet ein gemeinsames Schicksal. Beide verloren ihre Eltern und einen großen Teil der Familie in Sobibor. Doch nur Marco de Groot hat bislang den Mut aufgebracht, dorthin zu fahren, um seiner ermordeten Eltern zu gedenken.

Marco de Groot, Nebenkläger im Denjanjuk-Prozess

„Ich bin da dreimal gewesen, auf der sogenannten Himmelfahrtsstraße und das ist nun die Gedenkallee. Und auf dieser Gedenkallee habe ich einen Stein gepflanzt, mit dem Text und dem Namen meiner Eltern, wann sie geboren sind, wo sie wohnten, wann sie ermordet sind."

Der Gedenkstein von Marco de Groot und viele andere in der Gedenkallee erinnern an die Menschen, die hier in den Gaskammern ermordet wurden. Damals gab es hier nur Wald und Sümpfe. Die Nazis errichteten das Vernichtungslager im ostpolnischen Niemandsland.

Vom Massenmord an 350.000 Juden aus ganz Europa existieren fast keine Bilder. Lediglich ein amerikanischer Spielfilm vermittelt eine Ahnung davon, wie Männer, Frauen und Kinder in den Tod getrieben wurden. Nur dieses eine Foto zeigt authentisch das Grauen in Sobibor.

Heute erinnert eine Gedenkstätte an das ehemalige Vernichtungslager. 20.000 Menschen aus aller Welt besuchten bislang jährlich diesen Ort. Doch weil der Gedenkstätte für den Erhalt die finanziellen Mittel fehlen, muss Marek Bem jetzt für Besucher schließen.

Marek Bem, Gedenkstättenleiter Sobibor
„Das ist vor allem ein deutsches Kulturerbe. Wir haben es hier vorgefunden und unsere Funktion ist es, diese Gedenkstätte zu erhalten. Wir sind sozusagen der Gastgeber. Unsere Aufgabe ist es, das hier zu pflegen und das Wissen darüber zu vermitteln. In meinen Augen hat die Bundesrepublik lebenslänglich eine Pflicht, für diesen Ort zu sorgen und ihn finanziell zu unterstützen. Und zwar zu 99 Prozent. Schließlich hat Deutschland diesen Ort errichtet."

Doch aus Deutschland kommt keinerlei finanzielle Hilfe für die Gedenkstätte. Dabei benötigt man hier für Personal und Erhalt nur 250.000 Euro jährlich - der Preis einer Eigentumswohnung.  

Marco de Groot, Nebenkläger im Denjanjuk-Prozess
„Ich finde, dass sie da mindestens zu verpflichtet sind. Mindestens. Und es tut mir weh, wenn Deutschland sagt, wir haben da nichts mit zu schaffen."

Auch die Gedenkstätte Majdanek bekommt kein Geld vom deutschen Staat. Im Vernichtungslager nördlich von Lublin wurden während des Zweiten Weltkriegs 78.000 Menschen ermordet. Im letzten Jahr brannte eine Baracke nieder. Ein Teil der historischen Sammlung wurde zerstört. Um das Gebäude wieder aufzubauen, fehlt das Geld.  

Die polnische Öffentlichkeit ist über diese Tatenlosigkeit der deutschen Bundesregierung empört, so Dariusz Pawlos, Vorstandsvorsitzender der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung". Schließlich wurde das Land im Zweiten Weltkrieg unglaublich ausgeplündert. Und jetzt wird zugelassen, dass Erinnerungsorte an den Holocaust schließen müssen.

Dariusz Pawlos, Stiftung "Polnisch-Deutsche Aussöhnung"
„Wir sprechen auch von Polen, wo Kunstschätze, Rohstoffe, Fabriken massenweise nicht nur vernichtet, sondern auch beraubt wurden von das Dritte Reich. Und sehr viele Sachen sind in Deutschland vorhanden. Also, dieses Land war nicht nur ein Reservoir der Sklaven- und Zwangsarbeit, auch das Land wurde verwüstet von das Dritte Reich. Und die Bundesrepublik ist die Nachfolgerin dieses Landes. Und hat davon profitiert."

KONTRASTE wollte vom deutschen Außenminister Westerwelle wissen, warum es keine finanzielle Unterstützung für die Gedenkstätten Sobibor, Majdanek, Belzec und Treblinka gibt. Ein Interview wird verweigert. Erst drei Wochen nach unserer Anfrage kommt eine schriftliche Auskunft. Auf unsere konkrete Frage wird nicht eingegangen. Stattdessen teilt eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes lapidar mit:

Zitat
„Die Botschaft Warschau und auch unsere Generalkonsulate in Polen stehen Gedenkprojekten offen gegenüber. Weiterer Bedarf ist bisher nicht an die Bundesregierung herangetragen worden."

Von eigenen Aktivitäten für Sobibor und Majdanek ist nicht die Rede. Der Gedenkstättenleiter Marek Bem kann solche halbherzigen Bekenntnisse nicht mehr hören.

Marek Bem, Gedenkstättenleiter Sobibor
„Ich verstehe Vieles im Verhalten des deutschen Staates nicht. Zum Beispiel diese Politik des ständigen sich Entschuldigens verstehe ich nicht. Das sind schöne symbolische Gesten und wird auch oft übertrieben. Für mich wären echte Entschuldigungen und eine echte Verantwortung, für so einen Ort wie Sobibor zu sorgen. Damit er keine Beschädigungen hat, damit die Besucher hier eine würdige Gedenkstätte vorfinden. Einfach nur 'ich entschuldige mich' zu sagen, ist zu wenig in meinen Augen."

Heute ist von den Gaskammern in Sobibor nichts mehr zu sehen. Nach einem Aufstand und der Flucht jüdischer Häftlinge brachte die SS die übrig Gebliebenen um und zerstörte alles. Jetzt ist hier ein Ort der Trauer und des Gedenkens.

Marco de Groot, Nebenkläger im Denjanjuk-Prozess

„Das haben die Nazis getan, also hat Deutschland das gemacht. Nun ist da nicht mehr so viel zu sehen, aber ist ein Gedenkplatzfür unsere Verwandten, aber auch ein Gedenkplatz für das, was passiert ist da."

Wie es mit der Gedenkstätte Sobibor weitergeht, ist völlig offen. Wir werden beobachten, was passiert.