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In 16 Bundesligastadien stehen Neonazis auf der Tribüne. Aber die Vereine reagieren darauf kaum. Denn sie haben Angst um ihr wertvolles Image: So wie Borussia Dortmund und Eintracht Braunschweig. Unterdessen sorgt ihr Zögern für eine hartnäckige Verfestigung der rechtsextremen Szene auch außerhalb der Stadien.
Neonazis im Fußball: Erst am Wochenende gab es wieder einen Zwischenfall: Während der Schweigeminute für den verstorbenen Kult-Masseur Rieger des HSV hatte ein mutmaßlicher Fan von Borussia Dortmund mit "Sieg Heil"-Rufen die Trauerbekundung gestört. Ein Fall, der mittlerweile leider zum Alltag gehört in deutschen Fußballstadien: Unverständlich, dass bei den Vereinen nicht längst alle Alarmglocken schrillen. Jo Goll und Olaf Sundermeyer.
Die Fußball-Bundesliga. Eine Glitzerwelt mit Millionen Fans und traumhafter Rendite. Bundesliga-Fußball - ein Markenprodukt, das Spielern, Trainern und Funktionären Millionen-Gagen sichert. Jahr für Jahr. Doch das Markenprodukt Bundesliga hat in den vergangenen Jahren hässliche Schrammen bekommen. Immer mehr Neonazis mischen sich unter die gewaltbereiten Fußball-Fans.
Beispiel Dortmund. Am 1. November 2013 zeigen Neonazis auf der Südtribüne den Hitler-Gruß. Und im Jahr zuvor dieses Banner: Solidarität mit dem NWDO, dem Nationalen Widerstand Dortmund. Eine inzwischen verbotene Nazi-Kameradschaft, aus BVB-Hooligans und rechten Schlägern. Ihre Gewaltbereitschaft zeigen diese Neonazis auch in der Dortmunder Innenstadt.
Nach einem Ruhrpott-Derby gegen Schalke 04 vor zwei Jahren schlagen sie einen jungen Türken zusammen, hauen ihm eine Bierflasche auf den Kopf. Bis heute leidet der junge Deutsch-Türke unter den Folgen des Angriffs. Er selbst will über die brutale Attacke nicht sprechen. Wir treffen seinen Vater, er ist ebenfalls Fussballfan. Er erzählt, dass sein Sohn sich abends nicht mehr alleine in die Stadt traut. Auch ins Stadion geht er nicht mehr.
Murat S.
Vater des Opfers
„Wenn ich meinen Sohn jetzt sehe, es tut mir an der Seele weh, ihn nicht da hin zu bringen, obwohl er BVB-Fan ist. Es tut schon weh.“
Der junge Türke hat immer noch Angst vor Männern wie diesem: Sven K., der mutmaßliche Haupttäter. Denn: Bis heute ist der BVB-Hooligan und mehrfach vorbestrafte Neonazi auf freiem Fuß, das Urteil gegen ihn ist noch nicht rechtskräftig. Er saß bereits fünf Jahre im Gefängnis, weil er 2005 einen Punker erstochen hat.
Zu dieser Zeit entwickelt sich Dortmund zu einem Schwerpunkt der rechtsextremen Gewalt. Ingesamt werden fünf Menschen durch Neonazis getötet. Dutzende zum Teil schwer verletzt. Mehr als in jeder anderen deutschen Stadt.
Gewaltforscherin Claudia Luzar beobachtet die Neonazi-Szene in der Stadt seit Jahren. Sie sagt: Fast alle diese Täter kommen aus der Fanszene.
Claudia Luzar
Gewaltforscherin Universität Bielefeld
„Diese Rechtsextremisten bis auf einen sind auch BVB-Fans, das sind Kinder dieser Stadt. Ohne die Südtribüne und ohne den BVB würde die rechtsextreme Szene nicht so stark sein, wie sie ist.“
Insider wie Dennis bestätigen diese Aussage. Uns gelingt es, mit dem ehemaligen, rechtsextremen BVB-Anhänger zu sprechen. Auch er fand auf der Südtribüne Anschluss an die Szene. Vor zwei Jahren ist er ausgestiegen. Der Verein, sagt er, habe den Nazis im Stadion kaum etwas entgegengesetzt.
Dennis
Neonazi-Aussteiger
„Bis vor ein paar Jahren hat der BVB das alles total locker gehandhabt. Maßnahmen wie Stadionverbote sind nur ganz selten umgesetzt worden. Der BVB hat das Problem nicht ernst genommen und hat das lange schludern lassen.“
Erst vor eineinhalb Jahren habe der BVB begonnen zu reagieren, meint die Gewaltforscherin. Zu spät, denn das Wegsehen hat längst Folgen.
Claudia Luzar
Gewaltforscherin Universität Bielefeld
„Dass die Szene größer geworden ist, dass die Szene die rechtsextreme Szene, auch über den BVB rekrutiert hat, auch über die Fan-Szene, auch mit dem Mittel der Gewalt, was ja für viele Fußball-Fans attraktiv ist.“
Dabei hätte Borussia Dortmund hätte gewarnt sein müssen. Denn schon vor drei Jahren hatte eine Spezialeinheit der nordrhein-westfälischen Polizei mehrere Clubs auf das Problem hingewiesen. In einer internen Liste tauchen damals neben dem BVB namhafte Clubs wie der 1. FC Nürnberg, Werder Bremen, Gladbach und Kaiserslautern auf. Insgesamt 16 Profivereine.
Wir wollen im Dortmunder Stadion drehen, um uns selbst ein Bild zu machen, erhalten dafür aber keine Genehmigung.
Für ein Interview hat BVB-Geschäftsführer Watzke keine Zeit. Wir dürfen uns aber mit dem neuen Fanbeauftragten Daniel Lörcher treffen. Er kommt selbst aus der Fanszene und soll nun dabei helfen, das wertvolle Image des BVB zu retten – mit einem Bündel von Aktionen gegen rechts. Plakate, Flyer Und Fahrten mit jugendlichen Fans nach Auschwitz. Doch kann das jetzt noch helfen?
KONTRASTE
„Kritiker sagen, auch hier in der Stadt, der BVB habe viel zu spät auf das Problem reagiert und es damit erst groß werden lassen.“
Daniel Lörcher
Fanbeauftragter Borussia Dortmund
„Wir müssen uns dieser Kritik stellen grundsätzlich, ich möchte aber viel mehr betonen, dass wir jetzt das Problem erkannt haben und etwas machen. Und dass wir das auch nachhaltig und mit einem unglaublichen finanziellen, logistischen und inhaltlichen Aufwand machen.“
Der BVB hat reagiert – mit viel Geld und in einigen Fällen auch mit Stadionverboten. Aber die Neonazis sind immer noch da. Wie bei anderen Bundesligaclubs auch.
Aus einer Antwort der Bundesregierung vom Januar 2014 auf eine Anfrage der Linken geht hervor, dass es auch heute noch bei 16 Bundesligavereinen Überschneidungen zwischen Teilen der gewaltbereiten Fanszene und dem rechten Milieu gibt.
Wie beim Bundesligaverein Eintracht Braunschweig. Der Club hatte bei seinem sportlichen Aufstieg in die erste Liga offenbar keinen Blick für so genannte Alte Kameraden und andere rechtsextreme Gruppierungen. Für den Geschäftsführer von Eintracht Braunschweig kein Grund zur Beunruhigung.
Soeren-Oliver Voigt
Geschäftsführer Eintracht Braunschweig
„Es gibt kein geballtes Problem für Eintracht Braunschweig, ich möchte das noch mal betonen. Diese Leute, einzelne Personen die Ihnen möglicher Weise bekannt sind die sind uns nicht bekannt. Die haben Sie im Zweifel auch explizit gesucht. Es gibt kein geballtes rechtsradikales Problem bei Eintracht Braunschweig.“
Neonazis im Stadion – also eine Erfindung der Medien? September 2013. Auswärtsspiel in Mönchengladbach. Rechtsextreme Eintracht-Hooligans attackieren linke Eintracht-Anhänger, die sich im Stadion offen gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren.
Alex
Fanclub "Ultras Braunschweig"
„Wir wurden angespuckt, die Leute haben uns rassistisch und antisemitisch beleidigt, es wurden Leute ins Gesicht geschlagen und unser Fan-Beauftragter wurde nach eigenen Angaben in den Rücken getreten.“
Die Reaktion der Vereinsführung: Die linken Fans von Eintracht Braunschweig erhalten als Gruppe Stadionverbot, die Angreifer dagegen dürfen weiterhin kommen. Die Opfer zu Tätern gemacht.
Ignorieren, unter den Teppich kehren, zu spät reagieren: Eintracht Braunschweig, so scheint es, wiederholt die Fehler des BVB in Dortmund. Und redet das Thema Neonazis im Stadion einfach weg. Offenbar gehen immer mehr Clubs so mit dem Problem um.
Experten wie der Fan-Forscher Gerd Dembowski befürchten, dass die Zahl der betroffenen Vereine noch höher ist als bislang angenommen.
Gerd Dembowski
Fanforscher Universität Hannover
„An mich wenden sich zur Zeit ständig Fußball-Fans aus der ganzen Republik, die sagen: 'Wir haben auch ein Bedrohungsszenario' Wir haben auch Ansagen bekommen von anderen Fußball-Fans, von anderen Ultra-Gruppen, von anderen Alt-Hooligans in unserer Fan-Szene: Wenn ihr noch mal ein Banner gegen Rassismus aufhängt, dann bekommt ihr aufs Maul."
Rechtsextremisten bedrohen das Image der Marke Fußball-Bundesliga. Weil die Clubs das Problem nicht entschlossen genug anpacken.
Beitrag von Jo Goll und Olaf Sundermeyer