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Wenn Ärzte pfuschen, ist das nicht immer sofort offensichtlich. Viele verschweigen ihre Fehler. Folge: Die Krankenkassen kommen nicht an die Beweise heran und müssen für den Schaden aufkommen – und damit letztlich der Beitragszahler.
Ein falscher Schnitt, eine Medikamentenverwechselung, eine fehlerhafte Diagnose – ein solcher Irrtum eines Arztes kann dramatische Folgen für den Patienten haben. Schlimm genug, doch dazu kommt, dass der Patient den Ärztepfusch meistens auch noch bezahlen muss! Weil nur die wenigsten Ärzte zugeben, einen Fehler gemacht zu haben, müssen die Krankenkassen anstandslos jede Behandlung bezahlen, auch wenn sie falsch war. Norbert Siegmund über eine Gesetzeslücke, die uns Beitragszahler Milliarden kostet.
Ein schwerer Gang für Ester Rauchholz auch zwei Jahre nach der fragwürdigen Operation. Erstmals wieder vor der Ludwigshafener Klinik, in der sie damals Opfer von Ärztepfusch wurde.
Esther Rauchholz, Patientin
„Mir wurden ohne Grund und ohne mein Wissen Organe entfernt. Das sind schlaflose Nächte. Das ist unheimliche Wut, ausgeliefert zu sein.“
Eigentlich geplant: Ein Routineeingriff. Seit Jahren hat die ehemalige Justizbeamtin Probleme mit dem Darm. Sie leidet immer wieder unter Darmverschluss. Deshalb soll ein Stück des Darms entfernt werden. Doch stattdessen wird die Gebärmutter herausgenommen.
Esther Rauchholz, Patientin
„Der Chefarzt hat mir nach der Operation gesagt, dass er die geplante Dünndarmoperation nicht durchgeführt habe, weil er der Meinung gewesen wäre, sie hätte mir nicht geholfen. Er hat mir erklärt, dass er auf dem rechten Eierstock einen kleinen Tumor gefunden habe. Diesen habe er entfernt. Und er habe erklärt, dass er auf der Gebärmutter ein Myom gefunden habe. Das habe er auch entfernt. Aber dass er die Organe entfernt hat, davon hat er nichts gesagt. Keinen Ton.“
Die Klinik bestreitet, Esther Rauchholz nicht auf die Entfernung der Gebärmutter hingewiesen zu haben. Sie habe im besten Sinne der Patientin gehandelt, auch um ihr spätere Operationen zu ersparen. Zudem sei sie schon vor dem Eingriff auf die Möglichkeit der Entfernung von Nachbarorganen hingewiesen worden, behauptet die Klinik.
Esther Rauchholz will dies anders erlebt haben:
Esther Rauchholz, Patientin
„Ich war bei meiner Frauenärztin. Und die hat mich gefragt, warum ich mir die Gebärmutter und den rechten Eierstock hab entfernen lassen. Und ich hab gesagt: Das hab ich nicht getan. Und als die mir dann sagte: die Organe sind aber nicht mehr da, dann: Ich war schockiert, ich war einfach schockiert. Ich hab mich gefühlt, als ob mir jemand mit dem Hammer auf den Kopf haut.“
Esther Rauchholz erstattet Strafanzeige. Schließlich stellt ein Gutachter im Auftrag der Staatsanwaltschaft fest: alle Tumore und Knoten seien gutartig gewesen. Kein Grund, die Gebärmutter zu entfernen. Das hätte auch die Klinik erkennen können. Auch hätte dieser Eingriff ohne ausdrückliche Zustimmung der Patientin ohnehin niemals erfolgen dürfen, Zitat:
„Das Vorgehen in diesem konkreten Fall hat, was die Entfernung der Gebärmutter betrifft, nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen.“
Die Staatsanwaltschaft sieht einen, Zitat:
„hinreichenden Tatverdacht“
für eine fahrlässige Körperverletzung.
Sie verpflichtet den Arzt der Klinik 3.000,00 Euro an die Geschädigte zu zahlen, als Wiedergutmachungsleistung. Unter dieser Auflage stellt sie das Verfahren vorläufig ein.
Die Krankenkasse der Patientin erfuhr erst zwei Jahre nach dem Eingriff von der unnötigen Organentnahme. Da hatte sie die Rechnung der Klinik längst bezahlt.
Kein Einzelfall, dass die Patienten mit ihren Versicherungsbeiträgen den Pfusch der Ärzte auch noch bezahlen müssen. Denn oft bleiben ärztliche Behandlungsfehler unentdeckt. Oder sie können nicht nachgewiesen werden, selbst wenn Patienten oder Krankenkassen Verdacht schöpfen.
Falsch genagelte Knochenbrüche. Fehlerhafte Implantate. Der Chirurg Michael Schmuck ermittelt im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen. Die schöpfen mitunter Verdacht, wenn sie die Rechnungen der Ärzte prüfen.
Dr. med. Michael Schmuck, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Berlin Brandenburg
„Der Puls steigt. Der Puls steigt und es ärgert einen wirklich sehr, dass mitunter ja doch relativ offensichtlich ein Behandlungsfehler vorliegt, und man hier überhaupt nichts unternehmen kann.“
Laut Gesetz besteht zwar eine Meldepflicht etwa bei Anhaltspunkten für „Körperverletzung, Arbeitsunfall“ oder sogenannte „drittverursachte Gesundheitsschäden“. Ob Kliniken und Ärzte aber auch Ärztepfusch den Krankenkassen melden müssen, lässt der Paragraph offen.
Dr. med. Michael Schmuck, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Berlin Brandenburg
„Es ist so dass für uns pro Jahr einige hundert Fälle nicht bearbeitet werden können im Raum Berlin Brandenburg, weil wir nicht an die erforderlichen Unterlagen herankommen, so dass hier durchaus ein ganz relevanter finanzieller Ausfall für die Kassen aus meiner Sicht zu befürchten ist.“
Bundesweit geht es für die Versicherten um viel Geld. So für die der Barmer Ersatzkasse. Laut Statistik fordert die Barmer bei nachgewiesenen Behandlungsfehlern im Schnitt pro Fall über 20.000 Euro von Kliniken oder Ärzten zurück. Bei bundesweit geschätzt weit über 100.000 unbekannten oder ungeklärten Fällen jährlich könnte der Schaden in die Milliarden gehen. Deshalb fordern Kassen Gesetzesänderungen.
Susanne Uhrig, Barmer Ersatzkasse
„Wir sehen hier in der Tat ein Problem, und deshalb fordern wir auch eine Konkretisierung der Informationspflicht ein. Wir sehen, dass hier auf diesem Gebiet etwas getan werden muss.“
Angesichts von Dunkelziffern und Aufklärungsdefiziten bei Behandlungsfehlern wächst derweil selbst in der Ärzteschaft das Bewusstsein, dass Informationspflichten verbessert werden müssen
Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender d. Konferenz der Gutachter und Schlichtungsstellen der Deutschen Ärztekammern
„Wenn man so einen Beinahefehler oder einen Fehler als Arzt an die Schlichtungsstellen melden müsste, wäre das auch nicht schlecht. Weil es den Patienten letztendlich zugute kommt. Und wir sind als Ärzte dazu da, Leiden zu lindern, Krankheiten zu heilen und Sterbende zu begleiten. Und das ist auch eine ärztliche Aufgabe, Fehler selbst einzugestehen.“
KONTRASTE
„Glauben Sie, dass Sie die Ärzteschaft da hinter sich haben?“
Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender d. Konferenz der Gutachter und Schlichtungsstellen der Deutschen Ärztekammern
„Bei der Forderung nach einer Meldepflicht habe ich die Ärzteschaft nicht hinter mir. Ich habe Teile der Ärzteschaft hinter mir, aber nicht über 50 Prozent.“
Doch 50 Prozent Reformgegner, gerade mal eine halbe Ärztelobby – ist offenbar stark genug, die Politik zu bremsen. Eine Änderung des Gesetzes im Sinne von Patienten und Beitragszahlern steht laut Gesundheitsministerium nicht auf der Tagesordnung.
Beitrag von Norbert Siegmund