Gefährliche Quacksalber -
Seit Jahren wird MMS (Miracle Mineral Solution) von selbsternannten Alternativmedizinern als Wundermittel angepriesen: gegen Malaria, Krebs, Autismus, die Liste ist lang. MMS ist eine ätzende Chemikalie, besser bekannt als Chlordioxid. Immer wieder werden auch Kinder mit MMS behandelt. Dabei hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) das Mittel als nicht zugelassenes und bedenkliches Arzneimittel eingestuft. Wer offen für MMS wirbt und es in Umlauf bringt, macht sich eigentlich strafbar. Doch der Handel und die Werbung gehen weiter - weil die Behörden vor Ort und die Gerichte nicht oder zu lasch reagieren. Jetzt fordert das BfArM erstmalig eine zentrale Zuständigkeit, um den Quacksalbern endlich das Handwerk zu legen.
Können Sie sich vorstellen, ein Desinfektionsmittel zu trinken, mit dem man Bäder säubert? - Nun ja, es gibt Scharlatane, die solch ein scharfes Zeug tatsächlich als Alternativmedizin anpreisen. So wie dieser Mann - Jim Humble. Seine Chemikalie heißt "Miracle Mineral Supplement!" , sie ist ätzend und alles Andere als ein Heilmittel. Trotzdem findet MMS tausende Anhänger in Deutschland. Wir hatten uns schon im vergangenen Jahr in diese Quacksalber-Szene eingeschleust, Doch unsere Autoren Caroline Walter und Christoph Rosenthal mussten feststellen, dass der Wahnsinn weitergeht - und viele Behörden tatenlos zusehen.
Wir sind in der Stadt Regen, in Bayern. Hier veranstalten an diesem Samstag Verschwörungstheoretiker einen Kongress zum Thema Gesundheit.
Medien werden sofort hinausgeworfen – aber ein Teilnehmer spielt uns Aufnahmen zu.
Zwischen Esoterikbüchern wird ein Mittel angeboten – dessen Verkauf in Deutschland verboten ist: MMS nach Jim Humble.
MMS soll ein "Wundermittel" sein, das alle Krankheiten heile. Das behaupten jedenfalls der Amerikaner Jim Humble und seine Anhänger.
MMS – dahinter steckt die Chemikalie Chlordioxid, die ätzend und bleichend wirkt. Trotzdem soll man das trinken, zum Beispiel zur Heilung von Krebs oder Malaria.
Diese Ratschläge gibt auch er - Ali Erhan, führender Kopf der MMS-Szene. Auf der Veranstaltung in Bayern wirbt er offen für das Mittel: Es wirke breitbandig und sei ganz harmlos in den Nebenwirkungen. Deshalb werde es vom "System" bekämpft.
Dass Erhan in Deutschland auftritt, verwundert. Denn im vergangenen Jahr überführte Kontraste ihn – wie er illegal MMS in seinen Workshops verkaufte und falsche Heilversprechen machte.
Die zuständige Behörde in Hannover, das Gewerbeaufsichtsamt, sah das damals als Straftat an. Wir fragen nach, welche Konsequenzen der Fall hatte.
Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
"Herr Erhan hat sich so ein bisschen dem Verfahren entzogen, dadurch entzogen, dass er Deutschland verlassen hat und über seinen Anwalt erklärt hat, dass er in Deutschland nicht mehr gewerblich tätig wird. Und dadurch dass wir jetzt keinen Wohnsitz mehr in Deutschland haben, können wir verwaltungsrechtlich zunächst auch nicht weiter vorgehen."
Die Behörde hat Ali Erhan davon kommen lassen. Eine Strafanzeige wurde bis heute nicht gestellt.
Kontraste
"Es ist schon ein Jahr vergangen, in dem nichts passiert ist…"
Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
"Nein, es ist ja was passiert."
Kontraste:
"Was ist denn passiert?"
Uwe Licht-Klagge, Gewerbeaufsichtsamt Hannover
"Ja, wie gesagt, wir haben das Verwaltungsverfahren durchgeführt, soweit es uns möglich war, wir haben Kontakt mit Herrn Erhan mit seinem Anwalt gemacht, wir haben sozusagen, wie in so ‘nem Tennisspiel Argumente ausgetauscht, diskutiert."
Kein Strafverfahren, deshalb tritt Ali Erhan also wieder auf, bietet im Internet Workshops an und macht Schwerstkranken weiter falsche Hoffnungen.
Ali Erhan:
"Wir haben ja sehr viele Meldungen von Erfolgen mit MMS bei Krebs."
Wie aggressiv die MMS-Verfechter sind, hat Bettina F. selbst erlebt. Ihr volljähriger Sohn ging auf Afrika-Reise. Sie vertrauten beide auf die Versprechen und Erfolgsberichte von MMS – dass es bei Malaria zu 100 Prozent wirke.
Als ihr Sohn dann mit Malaria zurückkam, nahm er MMS und es wirkte überhaupt nicht. Bettina F. brachte ihn ins Krankenhaus. Er schwebte bereits in Lebensgefahr.
Seine Mutter versuchte im Internet, in der MMS-Facebookgruppe, über das Versagen von MMS aufzuklären. Aber dort wollte man das nicht hören.
Bettina F.
"Ich bin aufs Übelste beschimpft worden. Es wurde alles angezweifelt und gesagt, du hast dich wohl nicht ans Dosierungsprotokoll gehalten und wer weiß, ob es überhaupt Malaria ist. Es ist ja dann richtig hochgefahren die Maschinerie gegen mich, in dem Moment als ich Kritik geübt hab."
Die Größen der Szene schwiegen zu dem Fall. Bis auf Andreas Kalcker, selbst ernannter MMS-Forscher: er zweifelte daran, dass für Bettinas Sohn Lebensgefahr bestand.
Bettina F.
"Die negativen Fälle werden von denen einfach nicht veröffentlicht. Die sind ja auch nicht gewünscht, das würde ja das Gefühl, wir haben das Supermittel an der Hand, diese Illusion einfach zerstören. Es ärgert mich maßlos, dass sie einfach so weitermachen."
Die Anhänger vertrauen Andreas Kalcker blind. Rhetorisch geschickt preist er krude Theorien als Wissenschaft an. Gemeinsam mit der Amerikanerin Kerri Rivera behauptet er auch: Autismus bei Kindern sei heilbar. Man müsse nur Einläufe mit der ätzenden Chemikalie MMS machen - um angebliche Würmer und Parasiten aus dem Darm der Kinder zu holen. Bei den Auftritten zeigen beide immer abstoßende Fotos vom sogenannten "Seilwurm".
Doch was hat es damit auf sich? Beim renommierten Berliner Institut für Tropenmedizin erkundigen sich immer öfter Patienten nach MMS. Manche bringen sogar das Resultat ihrer Darmeinläufe zur Untersuchung – wie erst neulich ein Patient. Er wollte von Dr. Dieckmann untersuchen lassen, ob es sich um einen Wurm handelt.
Dr. Sebastian Dieckmann, Institut für Tropenmedizin, Charité Berlin
"Da habe ich nichts weiter feststellen können, außer dass es eine amorphe Masse war, eben Schleim, irgendwelche Proteinansammlung und zusammengedrückte Schleimpfröpfe."
Kontraste:
"Könnte es ein toter Wurm gewesen sein?"
Dr. Sebastian Dieckmann, Institut für Tropenmedizin, Charité Berlin
"Nein, ein toter Wurm war das ganz sicher nicht."
Der Mann wollte dem Arzt nicht glauben, er holte das Buch Autismus heilen mit MMS heraus und pochte darauf, es sei der "Seilwurm".
Dr. Sebastian Dieckmann, Institut für Tropenmedizin, Charité Berlin
"Der Begriff Seilwurm oder rope worm, wie es dann häufig im Englischen heisst, ist mir nicht bekannt. So etwas gibt es gar nicht. Das halte ich für eine Erfindung."
Wir wollen den selbst ernannten Wurm-Experten Andreas Kalcker auf die Probe stellen.
Dazu kaufen wir ein Fischfilet, eine Scholle, schneiden sie in Stücke und legen sie ein. Danach machen wir ein Foto. Wir schreiben Kalcker, wir hätten dieses "Ding" durch einen MMS-Einlauf bei unserem Sohn herausgeholt – ob er wisse, um welchen Wurm es sich handelt.
Prompt kommt die Antwort: Das ist rope, funis vermis! Also: angeblich der Seilwurm. Und er schreibt: Autismus ist heilbar. Das sei Fakt.
Aber: es war eben nur ein Schollenfilet – das ist wirklich Fakt.
Bei unserer Recherche fällt uns der Heilpraktiker Rainer T. auf – ein glühender Anhänger von Kalcker. Auf seiner Internetseite führt er eine Unmenge von Krankheiten auf, die MMS vermeintlich heilen soll.
Wir schicken eine Testpatientin zu ihm – die ein Kind hat, das an Autismus leidet. Er erzählt, dass er seiner Tochter auch Chlordioxid gegeben habe, es sei ihr übel geworden. Trotzdem rät er:
Rainer T.
"Das wäre 'ne ganz tolle Sache bei ihrem Sohn das anzuwenden. Das ist ein heißes Eisen, das dürfen sie niemanden sagen, wenn sie das machen - sonst kommt das Jugendamt."
Völlig absurd – er weiß offenbar um die ätzende Wirkung von Chlordioxid.
Rainer T.
"Es macht weisse Flecken in die Kleidung, es bleicht, es tut Metall angreifen."
Am Ende schlägt er der Mutter vor: die Chlordioxidlösung selbst herzustellen – mit einem abenteuerlichen Versuchsaufbau wie diesem – bei dem giftige Gase entweichen können.
Rainer T.
"Wir können einen Kurs machen, das kann ich ihnen zeigen, wie man das selbst herstellt."
80 Euro soll der Kurs kosten.
Ein Heilpraktiker – der unbemerkt von den Behörden Patienten in Gefahr bringt.
Unbemerkt lief es auch bei Familie Löwe ab. Aber ganz anders.
Ihre 12-jährige Tochter kam wegen ständiger Bauchschmerzen in diese Klinik in Bayern, die sich alternativer Heilmethoden rühmt. Dort gerieten die Eltern an eine Ärztin, die diesen Therapieplan für das Kind erstellte: MMS-Einläufe mit Verweis auf Jim Humble. Was MMS ist, erklärte sie nicht.
Anett Löwe
"Die stellen einen Therapieplan auf, sagen, dass sind MMS-Tropfen, die helfen gegen Parasiten, obwohl nie welche nachgewiesen waren, das war uns ja schon merkwürdig vorgekommen. Aber es wurde dann ja gesagt, die würden sich verstecken, und es gebe zu viele Arten, die könnte man alle gar nicht nachweisen. Der Klinik werfen wir eben vor, dass sie uns in keinster Weise aufgeklärt haben, was MMS-Tropfen sind."
Zwei Einläufe mit MMS wurden bei dem Kind in der Klinik gemacht. Der Therapieplan sah vor, dass die Einläufe zuhause mehrere Wochen weitergehen sollten, mit höherer Dosierung der MMS-Tropfen. Das als Arzneimittel verbotene Chlordioxid hat die Klinik den Eltern sogar mitgegeben.
Anett Löwe kam zuhause gleich der scharfe Chlorgeruch suspekt vor. Zufällig sieht sie im Fernsehen unseren damaligen Kontraste-Bericht über die schädlichen Folgen von MMS-Einläufen. Sie bricht die Therapie bei der Tochter sofort ab.
Anett Löwe
"Ich saß wirklich auf dem Sofa und hab geweint, weil ich dachte, was habe ich meiner Tochter angetan, ich wollte ihr helfen und dann wird man so hintergangen. Am liebsten wäre ich sofort losgefahren in die Klinik und hätte die zur Rede gestellt, was die überhaupt gemacht haben mit einem Kind."
Die Eltern beschweren sich bei der Spezialklinik Neukirchen. Doch die Klinikleitung redet die MMS-Gabe herunter, auch uns gegenüber – es sei ja nur eine homöopathische Dosis verabreicht worden. Der uns vorliegende Therapieplan sagt etwas anderes aus. Wir lassen den Toxikologen Dr. Guido Kaiser die vorgesehene Dosis für die Einläufe mischen.
Dr. Guido Kaiser, Toxikologe Universitätsmedizin Göttingen
"Wir sehen hier schon deutlich die gelbe Farbe, das heißt, der Stoff ist in einer relativ hohen Konzentration da drin, wir können hier auch den Geruch deutlich wahrnehmen. Das würde ich nicht als homöopathische Dosis bezeichnen. Das würde ich jetzt keinem Kind in den Darm verabreichen wollen, dort haben wir die empfindliche Darmschleimhaut, das wird mit großer Wahrscheinlichkeit Schäden anrichten."
Die Löwes melden den Vorfall Ihrer Krankenkasse, die die gefährliche Therapie bezahlt hat. Die AOK Plus prüfte und konnte keinen Behandlungsfehler erkennen. Ihrem Gutachter lag offenbar der Therapieplan der Ärztin nicht vor. Ein Interview dazu verweigert die Kasse.
Anett Löwe
"Ich finde das einfach fahrlässig, auch von der Krankenkasse, dass sie es einfach so hinnehmen, bis irgendwann mal ein Kind zu Schaden kommt."
Auch der Leiter der Spezialklinik Dr. Ionescu will uns kein Interview geben. Stattdessen wird uns mit rechtlichen Schritten gedroht.
Die gefährliche MMS-Szene macht skrupellos weiter. Demnächst veranstaltet sie in der Stadthalle von Kassel einen großen Kongress. Die lokalen Ämter schaffen es nicht, das zu verhindern.
Überforderung vor Ort und Wirrwarr an Zuständigkeiten. Mit der Situation ist auch die Arzneimittelbehörde des Bundes, das BfArM, unzufrieden. Zwar hat sie ein Verbot von zwei konkreten MMS-Produkten erlassen, aber die Verfolgung der Quacksalber ist Aufgabe der Länder. Erstmals fordert der Präsident des Bundesinstituts eine zentrale Zuständigkeit.
Prof. Broich, Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte
"Der Föderalismus hat seine Vorteile, aber bei solchen Dingen, wo eben konkret Patientensicherheit in Gefahr ist, würden wir uns schon manchmal wünschen, da stärker auch selber tätig werden zu können."
Dass es eine zentrale Zuständigkeit gibt, dafür muss jetzt die Politik sorgen - damit die Machenscahften der Quacksalber endlich konsequent verfolgt werden!
Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal