- Goldgrube Altersmedizin - Wie Krankenhäuser mit Geriatrie Kasse machen

Wenn alte Menschen ins Krankenhaus kommen, benötigen sie mehr Pflege, Hilfe und Zuwendung als jüngere. Für diese Leistungen zahlen die Krankenkassen je nach Zustand des Patienten höhere Tagessätze. Doch wie KONTRASTE-Recherchen ergaben, rechnen viele Kliniken Leistungen ab, ohne sie zu erbringen.

Unsere Gesellschaft wird immer älter. So wie es Kindermedizin gibt, gibt es mittlerweile auch Altersmedizin. Alte werden nämlich anders krank als Junge, denn sie leiden oft gleich an mehreren Krankheiten. Viele Kliniken haben inzwischen spezielle Abteilungen für ältere Patienten. Das ist vernünftig, aber: Wie gut ist die Qualität der Behandlung hier eigentlich? Caroline Walter und Gregor Witt.

Dem Rentner Werner Prehm geht es heute wieder gut, er kann mit seinem Sohn im Park die Sonne genießen. Vor einigen Monaten ging es ihm sehr schlecht. Ein Krankenhausaufenthalt hat ihn fast zum schweren Pflegefall gemacht. Sein Sohn ist empört, schließlich lag sein Vater in der Geriatrie einer Klinik, die auf ältere Patienten spezialisiert ist.

Joachim Prehm
„Sie bringen ihren Vater in die geriatrische Abteilung, und sie kriegen ihn wieder in einem Zustand, der katastrophal ist. Er konnte vorher laufen, konnte selbstständig essen und trinken. Und all das war nicht mehr möglich."

Sein 85-jähriger Vater ist zwar dement, konnte aber noch viel alleine machen. Wegen einer Harnwegsinfektion kam er auf die Geriatriestation einer Berliner Klinik. Dort sollte er eigentlich besondere Pflege und viel Bewegungstherapie erhalten, damit er nicht abbaut. Doch stattdessen habe man ihm Beruhigungsmittel verabreicht, berichtet der Sohn, und seinen Vater ständig im Bett liegen gelassen.

Joachim Prehm
„Man hat gesagt: ,Ihr Vater hat keine Lust.‘ Und das war's. Also, es wurden auch keine Versuche gemacht, ihn jetzt da aus dem Bett herauszubekommen, und es war auch keine Zeit dafür da, hatte ich so den Eindruck. Also, Dinge wie Bewegen, oder eben auch beim Essen dabei sein, ihm Zuwendung geben, das ist überhaupt nicht erfolgt."

Mit diesen Vorwürfen konfrontieren wir das Vivantes-Klinikum in Berlin. Dort streitet man ab, etwas falsch gemacht zu haben.

Eigentlich soll Geriatrie - so wie hier - verhindern, dass alte Patienten, die an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden, durch einen Klinikaufenthalt ihre Fähigkeiten verlieren. Sie sollen vom ersten Tag an intensiv trainiert werden - durch ein ganzes Team von Ärzten, Pflegern und Physiotherapeuten. Das ist sinnvoll, auch wenn es teuer ist.

Doch wir stellen fest: Beschwerden über die Behandlung in Geriatrien häufen sich.

Wir gehen einem Hinweis nach. Bilder aus einer Klinik in Hamburg. Die geriatrische Station wirkt wie verlassen, die Patienten müssen zu Bad und Toilette über den Flur. Dieser Schlaganfallpatient beklagt, dass er hier schlecht versorgt wird.

Patient
„Ich krieg kein Training für meine gelähmte Hand. Und beim Duschen und Abtrocknen - da hilft einem niemand. Es ist nicht gut hier. Zu wenig Pfleger hier."

Trotz solcher Missstände rechnen die Kliniken teuer ab. So wird Geriatrie in Zeiten des Kostendrucks zur lukrativen Einnahmequelle. Das bestätigt uns diese Insiderin. Sie will nicht erkannt werden, denn sie arbeitet in einer Klinik und ist zuständig für Abrechnungen mit den Krankenkassen.

Insiderin (Stimme nachgesprochen)
„Mit Geriatrie kann man wirklich Geld machen, wenn der personelle Aufwand gering ist. Und das ist möglich, indem Personal eingespart wird. In Krankenhäusern wird insbesondere auch in der Geriatrie Personal eingespart."

Kann das sein? Wir fragen Prof. Dieter Lüttje vom Bundesverband Geriatrie. Als Chef einer geriatrischen Klinik kennt er die Probleme im System und sieht bedenkliche Fehlentwicklungen.

Prof. Dieter Lüttje, Bundesverband Geriatrie e.V.
„Geriatrie muss wirklich intensive Therapie entsprechend den Bedürfnissen des Patienten anbieten. Leider erleben wir aber diese Entwicklung, dass es in dem einen oder anderem Bereich doch abgerechnet wird, ohne dass Geriatrie drinsteckt. Das nennen wir dann eine ‚Türschild-Geriatrie'."

Wie Kliniken mit alten Patienten Kasse machen, musste Georg Sauer erleben. Er hatte eine akute Lungenentzündung und sollte danach in der Geriatrie eine Frühreha bekommen. Doch tatsächlich wurde nur ein Standardprogramm abgespult. Und an mehreren Tagen bekam er gar keine Therapie. Nach der Entlassung hatte das schlimme Folgen.

Karin Sauer
„Nach diesen drei Wochen in der Frühreha-Maßnahme hatte mein Mann noch sehr starke Atembeschwerden, und das war ja so schlimm, als er so richtig eine Krise hatte, da bin ich mit ihm nochmal zum Arzt. Dort ist mir dann gesagt worden, dass er eben nicht genug Physiotherapie hatte, um eben auch seine Lunge wieder entsprechend zu trainieren."

Seine Frau forderte die Patientenakte von der Klinik an und stieß auf eine Merkwürdigkeit. Gleich bei Aufnahme in der Geriatrie stufte man ihren Mann selbst in alltäglichen Dingen als sehr hilfsbedürftig ein - für sie unerklärlich.

Karin Sauer
„In dieser Patientenakte musste ich dann lesen, dass er sich nicht im Bett umdrehen konnte alleine, dass er sich nicht alleine aus- und anziehen konnte, dass er Hilfe brauchte beim Waschen und sogar Hilfe beim auf's Klo gehen. Und all das stimmt nicht."

Eine Manipulation mit eindeutigen Absichten - erklärt uns die Insiderin.

Insiderin (Stimme nachgesprochen)
„So ein Patient muss bei Aufnahme in die Geriatrie möglichst schlecht eingestuft werden, hilfsbedürftiger als er in Wirklichkeit ist, damit kann gegenüber der Krankenkasse gerechtfertigt werden: Die geriatrische Behandlung ist erforderlich und darf abgerechnet werden."

Karin Sauer, selbst Medizinerin, ist in der Klinikabrechnung noch mehr aufgefallen: Es wurden sogar Therapien und Leistungen abgerechnet, die ihr Mann nie erhalten hat. Aber das ist schwer zu beweisen. Kliniken müssen zwar ihre Tätigkeit dokumentieren und der Krankenkasse vorlegen. Aber was sagt die Dokumentation tatsächlich aus? Wir fragen die Insiderin.

Insiderin (Stimme nachgesprochen)
„Die Kliniken haben gelernt, ihre Aufzeichnungen in der Krankenakte lückenlos zu machen. Dass der Patient aber vielleicht zehn Therapieeinheiten überhaupt nicht erhalten hat oder sie vielleicht auf zehn Minuten verkürzt wurden, das fällt der Kasse nicht auf. Da werden also Leistungen abgerechnet, die nicht erbracht wurden. Streng genommen ist das Abrechnungsbetrug."

Abrechnungsbetrug, der von den Kassen oft nicht entdeckt wird. Stichproben in Kliniken sind bisher nicht möglich. Die Kassen können nur auf dem Papier kontrollieren, und das erst wenn der Patient schon zuhause ist. Für die Prüfer vom Medizinischen Dienst der Kassen liegt hier das Problem.

Dr. Axel Meeßen, Medizinischer Dienst Berlin-Brandenburg
„Wenn es den Kliniken gelingt, perfekt zu lügen in der Dokumentation, dann haben wir keine Chance."
KONTRASTE
„Was müsste dringend passieren?“
Dr. Axel Meeßen, Medizinischer Dienst Berlin-Brandenburg
„Wir brauchen an dieser Stelle die Möglichkeit, Stichprobenprüfungen in den Kliniken schon während der Behandlung durchzuführen, genauso wie wir es in Pflegeeinrichtungen ja bereits heute tun. Dazu brauchen wir aber eine gesetzliche Änderung und die ist dringend notwendig, damit wir nicht erst im Nachhinein prüfen, wenn eh alles zu spät ist."

Für Werner Prehm brachte der Aufenthalt in der Geriatrie mehr Schaden als Nutzen. Er hätte beinahe das wenige an Lebensqualität verloren, was er noch hat.

Also: Für Stichproben brauchen wir also eine Gesetzesänderung, aber danach sieht es leider überhaupt nicht aus. Das Bundesgesundheitsministerium hat uns auf Anfrage mitgeteilt: Man sehe keinen Handlungsbedarf.