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Krankenhausflur | Bild: rbb

- Infektionsrisiko Krankenhaus – Gefahr durch tödliche Keime

In Deutschlands Kliniken lauert ein gefährlicher Keim: MRSA. Er ist gegen fast alle Antibiotika resistent und fordert viele Todesopfer pro Jahr. Die Krankenhäuser schweigen. Und die Gesundheitspolitik wartet ab, statt endlich zu handeln.

Stellen Sie sich vor, ein Familienmitglied kommt wegen einer Routine-Operation ins Krankenhaus. Doch statt nach zwei Tagen wieder nach Hause zu kommen, stirbt der Angehörige an einer Krankenhaus-Infektion, verursacht durch einen tödlichen Keim. Genau das hat eine unserer Autorinnen erleben müssen. Anfangs glaubte sie, dass es nur an diesem einen Krankenhaus lag. Sie begann zu recherchieren und: stieß auf einen Skandal: Ein tödlicher Keim mit dem Namen MRSA breitet sich seit Jahren in deutschen Kliniken aus und kaum ein Patient ahnt die Gefahr. Die Gesundheitspolitik weiß keine Abhilfe. Caroline Walter, Andrea Böll und Alexander Kobylinski über ein totgeschwiegenes Problem.

Es ist Samstag. Wir gehen mit Olaf und Marianne Wunder auf den Friedhof, ans Grab des Familienvaters. Vor vier Monaten verstarb er – an einer Infektion, die er sich im Krankenhaus holte.

Olaf Wunder
„Die Vorstellung, dass jemand ins Krankenhaus kommt, um dort geheilt zu werden, aber dann dort erst so krank wird, dass er stirbt, das ist schon der Hammer.“

Wilhelm Wunder kam mit Atembeschwerden ins Krankenhaus. Die wurden besser. Doch dann wurde er mit einem hochgefährlichen Krankenhauskeim infiziert, mit MRSA. Dieser Keim führte zu einer Blutvergiftung, einer Sepsis, und kein Medikament half.

KONTRASTE
„Wussten Sie, wie schlimm dieser Keim ist?“
Marianne Wunder
„Nein, überhaupt nicht …Entschuldigung (weint) … Nein, gar nicht, ich wusste das nicht, ich hatte davon noch nie gehört.“

So wie Familie Wunder geht es den meisten Menschen. Dass der Keim MRSA in Kliniken weit verbreitet und eine Gefahr ist, erfahren sie nicht. Ein Tabuthema. Das merkte auch Olaf Wunder, als er die Klinik damit konfrontierte.

Olaf Wunder
„Dass die Klinik das gerne runterspielen wollte, war ziemlich klar. Es war auch noch sehr merkwürdig, dass der Chefarzt mir zwar sagte, im Totenschein meines Vaters steht MRSA Sepsis, aber eigentlich wäre er dann doch wohl nicht an MRSA gestorben. Das hat er mir nicht so richtig erklären können, woher dieser Widerspruch kommen soll.“

Wir recherchieren, was ist MRSA für ein Keim, den die Kliniken lieber verschweigen?

Gefährlich ist er für frisch operierte oder immungeschwächte Patienten. Dringt der Keim in eine Wunde oder über einen Katheter in den Körper ein, löst das Bakterium schwere Entzündungen aus, bis hin zur Blutvergiftung. Dieser Keim ist resistent gegen die meisten Antibiotika. Sie wirken nicht mehr.

In Deutschland werden seit Jahrzehnten Antibiotika in großem Stil verordnet – oft ohne Not. So konnte der Keim immer resistenter werden und sich vor allem in Kliniken dramatisch ausbreiten.

10.000 bis 15.000 Todesfälle pro Jahr verursacht MRSA, schätzen Experten. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher, weil Ärzte oft eine andere Todesursache angeben. Die meisten Kliniken nehmen die MRSA-Verseuchung einfach in Kauf.

Wir fahren in die Niederlande. Dort, so hören wir, gibt es so gut wie kein MRSA. Die Patienten würden davor geschützt.

Wer hier auch nur im Verdacht steht, MRSA zu haben, wird sofort bei der Einlieferung darauf getestet und bleibt isoliert. Nur wenn das Ergebnis negativ ist, darf er Kontakt zu anderen Patienten haben.

Ron Hendrix, Klinikum Enschede, Niederlande
„Tatsächlich haben sich einige Leute damit beschäftigt Anfang der 80iger Jahre und die haben verstanden, wie sich der MRSA verbreitet und haben Maßnahmen begonnen. Und die Maßnahmen haben wir bis jetzt beachtet und die werden auch überprüft.“

Die holländischen Kliniken werden strikt überwacht durch eine unabhängige Kontrollbehörde. Wenn eine Klinik gegen die Regeln verstößt, wird das öffentlich gemacht. Jeder Patient kann es nachlesen.

Zurück in Deutschland. Hier hat der tödliche Keim leichtes Spiel. Denn die meisten Kliniken verzichten auf einen Eingangstest auf MRSA. Obwohl ein Patient eine ganze Station verseuchen kann.

Dabei gibt es eine Richtlinie vom obersten Gesundheitsinstitut, welche Hygiene bei MRSA nötig ist. Aber: die Richtlinie ist nicht verpflichtend. Ob eine Klinik MRSA ernst nimmt und etwas dagegen tut, bleibt ihre Entscheidung. Viele scheuen den Aufwand.

Bei uns meldet sich ein Insider. Der Krankenpfleger arbeitet in einer Klinik in Baden-Württemberg und ist dort eine Fachkraft für Hygiene.

Um seinen Job nicht zu verlieren, will er nicht erkannt werden. Er und viele Kollegen seien frustriert. Sie dürften nur beraten und müssten oft zusehen, wie die Hygiene-Empfehlungen zu MRSA einfach ignoriert werden.

Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene
„Es gibt tatsächlich Kliniken, die es praktisch überhaupt nicht testen, auch wenn der aufzunehmende Patient zum Risikoklientel gehört. Damit entgehen sie natürlich dieser Notwendigkeit, einen Patienten zu isolieren oder gewisse Aufwendungen zu machen. Es ärgert einen dann, wenn man sieht, es kommt im Anschluss, dadurch dass das Personal nicht Bescheid weiß, zu Übertragungen auf andere Patienten.“

Wenn Ärzte und Pfleger MRSA-Patienten behandeln, müssen sie besonders penibel auf die Hygiene achten. Denn durch sie finden die meisten Übertragungen statt. Oft werden nicht einmal die Hände richtig desinfiziert. Viele Ärzte seien hier kein Vorbild, erzählt der Krankenhauspfleger.

Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene
„Dann wird beobachtet, wie ein Arzt kommt zum Verbandswechsel und keine einzige Händedesinfektion durchführt, weder vor dem Verbandswechsel noch danach, um die Patienten, die er noch nachher versorgt vor den multiresistenten Keimen zu schützen. Er gefährdet mehr oder weniger mutwillig andere Patienten.“

Alexandra Wirth hat erlebt, wie verantwortungslos mit der Hygiene umgegangen wird. Auch ihr Vater ist an MRSA gestorben. Er hat unglaubliche Qualen ertragen müssen, die Blutvergiftung hatte alle Organe geschädigt.

Zwar wurde der Vater eingangs auf MRSA getestet, aber statt ihn zu isolieren bis das Ergebnis da war, lag er tagelang mit frisch Operierten im Drei-Bettzimmer. Als er endlich isoliert wurde, ging die Schlamperei weiter.

Alexandra Wirth
„Die Schwestern, die kamen teilweise ins Zimmer, haben meine Vater zur Magenspiegelung oder zum Röntgen abgeholt, hatten dann selber keine Mütze auf, selber keinen Mundschutz, selber keinen Kittel und keine Handschuhe. Mein Vater wurde dann auch so, wie er war, mit dem Bett durchs Krankenhaus gefahren.“

So wurden andere Patienten unnötig gefährdet.

Die Kliniken sparen seit Jahren am Pflegepersonal, unter dem enormen Arbeitsdruck bleibt die Hygiene oft auf der Strecke.

Alexandra Wirth
„Es ist ein sinnloser Tod, es ist eine sinnlose Qual. Man weiß eigentlich, man könnte das in den Griff kriegen, aber man bemüht sich nicht. Es wird sich von keiner Seite her bemüht, dem Abhilfe zu schaffen oder das in den Griff zu kriegen. Es wird einfach so hingenommen, dass die Leute im 21. Jahrhundert, heute hier in Deutschland in unseren ach so peinlich sauberen Krankenhäusern an diesen Bakterien elendig versterben.“

Wir fragen uns, warum die Politik nicht handelt und schreiben alle Bundesländer an, was sie gegen die MRSA-Verseuchung in den Kliniken unternehmen. Die Antworten ähneln sich:
Man habe, Zitat: „keine rechtsverbindliche Richtlinie zur MRSA-Bekämpfung“.
Und, Zitat: „Natürlich tragen die Krankenhäuser selbst die Verantwortung.“
Bei anderen heißt es, es sei, Zitat: „ein Netzwerk geplant“.

Man plant und doktert herum, während weiter Patienten an vermeidbarer MRSA-Infektion sterben.

Wir treffen den Bundestagsabgeordneten Frank Spieth. Seit Jahren setzt er sich für eine Verschärfung der Gesetze ein. Immer wieder hat er Anträge dazu im Bundestag gestellt. Ohne Erfolg.

Frank Spieth (Die Linke), Bundestagsabgeordneter
„Auf Freiwilligkeit zu setzen, auf die Selbstbindung der Krankenhäuser zu setzen, auf die Länder zu warten, die offenkundig pennen, das ist nach meiner Auffassung nicht verantwortliche Gesundheitspolitik. Da ist der Bund, da ist auch die Gesundheitsministerin in der Verantwortung.“

Wir haben beim Bundesgesundheitsministerium um ein Interview gebeten. Aus Zeitgründen ginge es nicht. Man teilte uns mit, das Ministerium habe ein Strategiepapier entwickelt. Das soll helfen, die Antibiotika-Resistenzen abzubauen und MRSA zu bekämpfen. Hauptsächlich sollen weiter jahrelang Daten gesammelt werden. Hier und da gibt es Projekte. Schaut man aber genauer hin, ist das alles Stückwerk.

Bei einem ist die, Zitat: „Frage der Qualitätskontrolle offen“, bei anderen gibt es, Zitat: „keine kontinuierliche Datenerfassung“ und beim nächsten ist die, Zitat: „Finanzierung der Netzwerke ungeklärt“.

Das Ministerium verweist auch auf die neue MRSA-Meldepflicht.

Doch die Hygienefachkraft weiß, dass Kliniken die umgehen können, indem sie einfach nicht alle Verdachtsfälle testen. Die staatlichen Kontrollen funktionierten nicht.

Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene
„Die Meldepflicht bringt da nicht viel. Man gewinnt ein paar Zahlen, aber ob die dazu herhalten können, das zu verhindern, das glaube ich nicht. Für mich steht da die Überwachungspflicht der Gesundheitsämter im Vordergrund. Die müssen da in die Pflicht genommen werden. Es wird zu wenig kontrolliert. In meinen Augen versagt da die Politik völlig und in ganzer Länge.“

Und die Folgen dieses Versagens tragen Menschen wie Kornelia Lange. Sie hat MRSA knapp überlebt. Eine Knie-Op sollte ihr helfen, endlich wieder schmerzfrei zu laufen. Doch in der Klinik holte sie sich MRSA, der Keim fraß sich in ihr Bein. Zwölf Operationen folgten. Fast hätte sie ihr Bein verloren. Heute ist sie schwer behindert.

Kornelia Lange
„Was mir fehlt, ich bin früher gerne gereist. Ich war viele Male am Gardasee, Mensch da heul ich jetzt (weint), und das kann ich eben nicht mehr. Das geht nicht mehr, so was trau ich mir nicht mehr zu, solche Sachen, aber ich bin gerne verreist.“

Jetzt bleibt ihr nur ein Leben mit Schmerzen und Tabletten.

Frank Spieth (Die Linke), Bundestagsabgeordneter
„Wir wissen eigentlich alles über diese Infektionen. Wir wissen, wie man sie bekämpfen kann. Das kann man nicht der Zufälligkeit überlasse, ob irgendein Politiker in irgendeinem Land bereit ist, das zu machen. Das muss durch den Bundesgesetzgeber zwingend geregelt werden.“

Mit diesem Thema beschäftigt sich auch eine spannende Dokumentation am kommenden Montag hier im Ersten, der Film „Killerbrut“ um 21 Uhr.

Beitrag von Alexander Kobylinski und Caroline Walter