Arzneimittelversorgung gefährdet - Pharmakonzerne und Händler machen Geschäfte auf Kosten der Patienten

Metoprolol retard, ein Betablocker, ausverkauft! Ein wichtiges Antibiotikum soll in der kommenden Woche wieder voll verfügbar sein. Lieferengpässe bei Arzneimitteln, sie gehören inzwischen zum Alltag in Deutschland. Demnächst wird der Bundesrat über ein neues Gesetz befinden, das diesem  Mangel abhelfen soll. Doch daran gibt es Zweifel. Dabei haben die Pharmaunternehmen und Großhändler schon heute einen Sicherstellungsauftrag, dem sie offensichtlich nicht nachkommen.

Anmoderation: Wir leben in recht schwierigen Zeiten. Alte Gewissheiten verschwinden, das zeigt sich sogar im Bereich der Arzneimittel: Dass wir in die Apotheke gehen und Medikamente, die wir dringend brauchen, auch bekommen, das ist mittlerweile nicht mehr selbstverständlich! Immer häufiger gibt's in Deutschland, ausgerechnet bei Arzneimitteln, Lieferengpässe! Dahinter steckt ein Riesendilemma: Auf der einen Seite muss es  Versorgungssicherheit bei Medikamenten geben! Auf der anderen zeigt sich, dass es den Herstellern um Profite geht wie bei jeder anderen Ware auch. Jetzt soll ein neues Gesetz Abhilfe gegen dieses Dilemma schaffen. Andrea Everwien und Susanne Katharina Opalka.

Anonym

"Guten Tag, ich bräuchte bitte einmal Metoprolol."

Apotheker

"Von der AOK, ja?"

Anonym

"Ja."

Apotheker

"Ja, ich schaue sicherheitshalber mal nach – es ist so, dass das Präparat, was sie bekommen – von der Firma -  nicht lieferbar ist."

Präparat nicht lieferbar? Das gab es doch früher nicht. Doch wer heute Blutdruckmittel oder Schilddrüsentabletten braucht, kennt das Problem schon länger.

Anonym

"Ja, Und dann brauche ich demnächst das Schilddrüsenmedikament."

Apotheker

"Das ist mal wieder nicht in ausreichender Menge gekommen vom Großhandel."

Die Stadtapotheke in Bad Wilsnack in Brandenburg. Seit etwa fünf Jahren wird es für Apotheker Christian Richter immer schwieriger, seine Kunden mit den notwendigen Medikamenten zu versorgen.

Kontraste hat nicht nur hier, sondern auch bei anderen Apotheken, etwa in Berlin, nach Lieferengpässen gefragt. Das Ergebnis: Innerhalb einer Woche waren rund 50 verschreibungspflichtige Arzneien an verschiedenen Orten nicht lieferbar. Darunter Impfstoffe, Blutdrucksenker, Mittel gegen Diabetes, Multiple Sklerose, Parkinson oder Migräne. Das dürfte nicht sein.

Anonym

"Na eigentlich, wenn ich zur Apotheke gehe, muss auch immer alles da sein!"

In der Tat: Das  Arzneimittelgesetz verlangt von Herstellern und Händlern, die

Zitat  

" angemessene und kontinuierliche Bereitstellung"

von Arzneimitteln. Wenn es also eine Lieferpflicht gibt – wieso kommt es dann trotzdem immer wieder zu Engpässen? Eine Spurensuche.

Apotheker Christian Richter hat eine Vermutung.

Christian Richter, Apotheker

"Besonders prägnant ist es geworden, seitdem es diese Rabattverträge gibt."

Ein Beispiel: Metoprolol retard, ein Blutdrucksenker. Mit den Herstellern Hexal, Aliud und Ratiopharm hatte die AOK Rabattverträge abgeschlossen.

Mittlerweile handeln fast alle Kassen mit Pharmaunternehmen solche Verträge aus, um   die Ausgaben zu begrenzen. So kostet dann etwa die Packung eines Medikaments statt vorher 10 Euro nur noch 8 Euro. Dafür bekommt der Hersteller aber die Zusage, dass alle Versicherten einer Kasse das Medikament im Bedarfsfall nur bei ihm beziehen werden. Schön für die Hersteller: ihr Absatz ist gesichert. Schön für die Versicherten: ihre Beitragssätze steigen nicht ins Unendliche.

Ein Blick in den Computer des Apothekers zeigt aber: die Rabattvertragspartner in Sachen Metoprolol retard, Ratiopharm und Aliud können zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nichts anbieten.  

Auch der dritte Partner im Rabattvertrag – Hexal – räumt gegenüber Kontraste Lieferengpässe bei dem Blutdrucksenker ein. Hängen diese damit zusammen, dass die Firmen durch die Rabattverträge weniger Geld verdienen?

Nein, sagt Hexal -  die Gründe seien eine "erfreulich hohe Nachfrage", daraus folgende "Kapazitätsengpässe", wegen derer man "Änderungen in den Produktionsabläufen" habe vornehmen müssen.

Offenbar ist damit die Ansiedlung eines Teils der Produktion in Polen gemeint: Beim Hersteller Lek, der wie Hexal zum Sandoz Konzern gehört, wird neuerdings Metohexal produziert - der Beipackzettel belegt es.

Der Pharmakologe Ulrich Schwabe hat als Verfasser des "Arzneiverordnungsreports" jahrzehntelang den Pharmamarkt analysiert. Er meint: mit einer Verlegung der Produktion ins Ausland versuchen Firmen in der Regel, ihre Herstellungskosten zu senken.

Prof. Ulrich Schwabe, Arzneiverordnungsreport

" ... Dass die Rabattverträge die Hersteller veranlasst haben, die Produktion in preisgünstigere … produktionsgünstigere Länder zu verlagern … Ich glaube das ist eine Binsenweisheit. Das wissen wir und das gilt für sehr viele Arzneimittel."

Sorgen sinkende Preise dafür, dass es zu Lieferengpässen bei Medikamenten kommt?

Prof. Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover erlebt es so. Mit seinem Team führt er die Hälfte aller Lungentransplantationen in Deutschland durch. Welte ist empört, weil bewährte Antibiotika für seine schwerkranken Patienten nicht mehr zuverlässig zur Verfügung stehen.

Prof. Welte, Medizinische Hochschule Hannover

"Wenn man das zusammenfasst, ist das sicher keine Lappalie, sondern eher eine Katastrophe."

In diesem Fall liegt es daran, dass aufgrund des Preisverfalls dieses Antibiotikums sich Hersteller aus der Produktion zurückgezogen haben und die verbliebenen Hersteller - momentan nur noch ein einziger -  nicht in der Lage waren, diese Lücke zu füllen. Das ist in diesem Fall ein durch Wirtschaftlichkeits-Erwägungen hervorgerufenes Problem."

Sinkende Preise  in Deutschland - angeblich führen sie zur Verknappung von Arzneien, die hier dringend benötigt werden.

Etwa der Diskus "viani". Vor rund 15 Jahren eine Revolution in der Asthmatherapie: Der Diskus ist besonders einfach zu handhaben – deswegen haben viel mehr Patienten als zuvor regelmäßig ihre Arznei inhaliert.

Prof. Welte, Medizinische Hochschule Hannover

"… ich bin 30 Jahre im Beruf. In meiner früheren Assistentenzeit hat man jede Woche zwischen drei und fünf schwere Asthmaanfälle in den Notaufnahme gesehen, jetzt sieht man nur noch fünf im Jahr. Das ist ein Verdienst dieser Medikamentengruppe.

Inzwischen ist der Diskus in manchen Dosierungen nicht mehr zu erhalten.

Prof. Welte, Medizinische Hochschule Hannover

"Als diese sogenannten Kombinationspräparate in den Markt gekommen sind, haben die Pharmazeutischen Firmen Milliarden verdient, inzwischen ist der Preis ist ins Bodenlose gefallen und damit sinkt natürlich auch das Interesse für solche Medikamente."

Der Hersteller räumt Lieferprobleme ein. Diese seien auch der Tatsache geschuldet, dass es in Deutschland

Zitat  

" einen der niedrigsten europäischen Preise"

für den Diskus gebe. So könne "das Preisgefälle dazu führen, dass für deutsche Patienten vorgesehene Ware ins Ausland" fließe.

Ähnlich scheint es beim Diabetesmittel Forxiga zu sein: Der Geschäftsführer der Herstellerfirma zur Ursache für  Lieferengpässe:  hierzulande sei das Medikament zu preiswert im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.

Dirk Greshake, Geschäftsführer AstraZeneca Deutschland

"50 Prozent liegen wir hier unter dem europäischen Preisdurchschnitt und in Großbritannien ist die Situation besonders prekär, da kostet Forxiga tatsächlich das Doppelte."

Doch sei es nicht der Hersteller, der das Medikament ins Ausland verkaufe, betont der Geschäftsführer.

Dirk Greshake, Geschäftsführer AstraZeneca Deutschland

"wir haben deutlich mehr, deutlich raus geschickt und mit den Zahlen rausgedrückt, bis zu 70 Prozent mehr Tabletten hier von Wedel aus in den Großhandel geschickt als tatsächlich dann verbraucht wird. Da kann was nicht stimmen. Die einzige Erklärung die ich tatsächlich dann habe ist, dass ein Teil der Ware in den Export geht."

Soll heißen: Der Hersteller vermutet, dass Pharmagroßhändler die Ware exportierten, die eigentlich für Apotheken in Deutschland bestimmt seien.

Doch der Verband der Großhändler, Phagro, weist das zurück. Selbstverständlich exportiere man, aber

Zitat

"niemals zu einem Zeitpunkt, zu dem Anfragen aus dem deutschen Markt" bestehen.

Offenbar lässt sich die Verantwortung für die Lieferengpässe hier nicht klären. Hinzu kommt: es gibt bisher nicht einmal einen genauen Überblick über das, was fehlt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt etwa eine Liste aktueller Lieferengpässe. Aber hier sind nur Arzneimittel aufgeführt, die "zur Behandlung lebensbedrohlicher und schwerwiegender Erkrankungen bestimmt" sind. Und nicht einmal diese Liste ist vollständig. Die Meldung solcher Lieferengpässe ist keine Pflicht.

Professor Bernhard Wöhrmann, Onkologe und Hämatologe an der Berliner Charité, kennt wichtige Arzneimittelengpässe, die nicht im Register auftauchen.

Prof. Bernhard Wöhrmann, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie

"… der für uns zuletzt kritische Arzneimittelengpass bei einem Medikament für die Transplantation war uns bekannt, war in den Apotheken schon ein Problem, bevor es auf der Liste des BfArm auftauchte."

Der Arzt hofft auf die Unterstützung des Gesetzgebers. Sein Maßnahmenkatalog:

Prof. Bernhard Wöhrmann, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie

"Wir fordern ein verpflichtendes Register in dem alle Lieferengpässe registriert werden, wir fordern darüber hinaus, dass es eine Vorratshaltung für unverzichtbare Arzneimittel gibt. Und wir fordern die frühzeitige Installation von Plänen, Konzepten, die im Falle eines nicht vermeidbaren Engpasses greifen."

Forderungen, die der Bundestag jetzt in ein neues Gesetz einbringen könnte: das Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung. Doch die Vorstellungen der Mediziner finden sich hier nicht wieder. Was aber vor allem fehlt: Sanktionen, mit denen die Behörden die gesetzliche Lieferpflicht der Hersteller durchsetzen könnten.

Gern hätten wir Bundesgesundheitsminister Gröhe zu dem neuen Gesetz befragt – doch leider gab es dazu  keine Gelegenheit.

Abmoderation: Alle angefragten Hersteller haben uns übrigens erklärt: ab Heute seien die Medikamente, über die wir berichtet haben, wieder lieferbar!  Wär schön, wenn das künftig auch ohne eine Nachfrage durch die Presse klappen könnte!

Beitrag von Andrea Everwien und Susanne Opalka