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Mit Eiswasserduschen schwerkranken Menschen helfen, die Spendenaktion für ALS-Kranke hat weltweit Schlagzeilen gemacht. Allein die Berliner Charité hat bislang 1,6 Millionen Euro Spendengelder erhalten. Für den an ALS erkrankten Journalisten Benedict-Maria Mülder ist der zuweilen ausgelassene Eventcharakter der Aktion Grund sich zu ärgern: Zu wenig Aufklärung über die tödlich verlaufende Krankheit, zu viel Selbstdarstellung der Spender kritisiert er.
Tausende Menschen haben sich in diesem Sommer eimerweise Eiswasser über den Kopf geschüttet. – weltweit. Sie wollen auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam machen und dafür Spenden sammeln. Auch unser Kollege Benedikt Maria Mülder ist an ALS erkrankt. Seit 2008. Als Journalist hat er sich jetzt zu Wort gemeldet. Scharf greift er die Aktion mit dem Eiswasser an. Iris Marx berichtet.
Tausende Menschen schütten sich in diesem Sommer eimerweise Eiswasser über den Kopf – weltweit. Sie wollen auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam machen und dafür Spenden sammeln.
Was sicher mit guten Motiven begann, wurde im Netz schnell zu einem regelrechten Hype. Viele Videos beschränken sich auf die Selbstdarstellung. Informationen zur Krankheit fehlen.
Inzwischen ist der Hype abgeebbt. Doch was bleibt nun von der Aktion, an der zuletzt auch unzählige Halb-Prominente und Bikini-Girls teilgenommen haben?
Für Benedict Maria Mülder ist die Antwort klar: Nichts. Er leidet selbst seit sechs Jahren an ALS.
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Hat diese Ice-Bucket-Challenge noch irgendwas mit der Krankheit zu tun?“
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„NEIN!“
Denn…
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Aber Ohne Aufklärung die fehlt“
...bringe so eine Aktion überhaupt nichts.
Benedict vermisst Informationen darüber, wie es ist, mit ALS zu leben – das sei kein Thema in den Videos.
Ihm ist es kaum möglich, seine Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Er ist in einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Krankheit. Alle Sinne sind noch da, aber die Muskeln versagen. Er kann nicht mehr selbständig atmen. Er muss sich über seine Augenbewegungen mitteilen. Sein Assistent versucht sie mit einem Sprachcomputer oder einer Sprechtafel in Worte zu übersetzen – das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Der PC funktioniert nicht immer wie ich es möchte.“
Benedict Maria Mülder ist Journalist. Er ist Gründungsmitglied der Tageszeitung die taz und arbeitete später auch als Autor für unsere Redaktion.
Er macht seinen Job weiter und will aufklären – immer noch! Trotz Krankheit: Er arbeitet so gut es eben noch geht.
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Ich versuche am Ball zu bleiben. Ich versuche am Ball zu bleiben.“
Mit Unterstützung seines Helfers schrieb er zuletzt einen Artikel im Tagesspiegel über die Ice-Bucket-Challenge und seine Krankheit. Über den Hype ärgert er sich, obwohl in Deutschland dadurch etwa die ALS-Ambulanz der Berliner Charité über 1,6 Millionen Euro Spenden bekommen hat.
Heiligt der Zweck also die Mittel? Für den Patienten Benedict Maria Mülder: Nein! Und das sei auch verständlich, sagt der Medizinethiker Prof. Giovanni Maio.
Prof. Giovanni Maio
Medizinethiker, Universität Freiburg
„Es geht ja darum, dass die Menschen sich auf diese Weise selbst inszenieren und diesen Anlass dazu nutzen, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Im Grunde geht es darum, dass durch diesen Fun Effekt, den ja diese Initiative bewirkt, im Grunde auch eine Bagatellisierung der Krankheit vollzogen wird.“
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Narzissmus und reiner Event.“
Benedict kann nicht einmal mitteilen, wenn er etwas nicht möchte, so etwa – wie hier – als der Pfleger seine Arme unter die Decker packt.
Pfleger
„Er möchte buchstabieren … Arme auf die Decke“
Was hier nach einem kurzen Moment aussieht, dauert in Wirklichkeit mehrere Minuten, bis der Pfleger Benedicts Willen erkennt, dass er seine Arme lieber auf der Decke haben will.
In so einer Situation, sind die Spaßbilder der Ice-Bucket-Challenge sehr weit weg.
Prof. Giovanni Maio
Medizinethiker, Universität Freiburg
„Es kann hier ganz sicher nicht darum gehen, zu sagen, dass ist ethisch verwerflich, dass es diese Initiative gab. Man muss nur immer die Perspektive des Patienten im Blick haben und der Patient selber, der kranke Mensch, der möchte eigentlich nicht benutzt werden für irgendeinen Effekt.“
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Die wichtigen Dinge geraten aus dem Blick. Ebola braucht auch dringend Geld.“
Was Benedict meint ist, dass durch den Medienhype viele andere Projekte in Vergessenheit geraten könnten. Neben so medienstarken Event-Aktionen haben sie es immer schwerer, sagen auch Spendenexperten.
Burkhard Wilke
Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen
„Wir beobachten vermehrt solche eventgeprägten Aktionen, die dem Spender auch eine unmittelbare Emotion zurückgeben und das macht es immer schwieriger für Organisationen mit eher unspektakulärer wichtiger Daueraufgabe ihre Finanzierung zu finden.“
Und was bleibt auf Dauer von der Aktion?
Prof. Giovanni Maio
Medizinethiker, Universität Freiburg
„Selbst wenn sie jetzt Milliarden hätten, würde das ja nicht bedeuten, dass sie dadurch diese Krankheit besiegen. Mit so einem Medienhype, wie es momentan läuft, wird es eine Eintagsfliege bleiben.“
Für Benedict Maria Mülder ist die Ice-Bucket-Challenge daher einfach nur eine:
Benedict Maria Mülder, ALS-Patient
„Wasserverschwendung!“
Eine klare Position.
Beitrag von Iris Marx