Hand umfasst eine Herzkurve, Quelle: rbb

Sterbehilfe durch Ärzte - Todkranke fordern Recht auf Freitod

Im November wird der Bundestag über fünf Anträge zur Zukunft der Sterbehilfe entscheiden. Die meisten Abgeordneten, wenn auch nicht die Mehrheit, fordern jetzt, die ärztlich assistierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Aber ist ein selbstbestimmtes, würdevolles Sterben nicht auch ein Menschenrecht? Palliativmedizin und Sterbebegleitung sind schließlich nicht in allen Fällen ein Ausweg. Schwerstkranke, Juristen und Politiker fordern, dem selbstbestimmten Freitod einen gesetzlichen Rahmen zu geben.  

Anmoderation: Eine höchst schwierige Gewissensfrage: Wenn Sie sterbenskrank wären, Schmerzen und Qualen leiden müssten, keinen Sinn mehr im Weiterleben sehen - würden Sie einen Arzt darum bitten, Ihnen todbringende Mittel zu geben? Die Mehrheit der Deutschen spricht sich in Umfragen regelmäßig FÜR eine solche Sterbe-Beihilfe aus. Der Mensch müsse die Autonomie haben, über den eigenen Tod entscheiden zu dürfen, meinen Viele. Das Parlament ist in diesem Punkt allerdings deutlich verhaltener. Im Herbst müssen die Abgeordneten über neue gesetzliche Regelungen abstimmen. Wie sollen wir, wie wollen wir sterben? Axel Svehla.

O-Ton Stefan Daniel
Also da ich ja mittlerweile weiß, wohin und wozu die MS führen kann, dass dazu auch kommt zum Beispiel Blindheit oder der Sprachverlust, wenn das eintreten würde, das wäre für mich ein Grund zu gehen.

Der 52-jährige Stefan Daniel ist unheilbar krank. Er leidet an Multipler Sklerose. Bei klarem Verstand und nach Abwägung aller Möglichkeiten hat er sich für den Freitod entschieden. Niemand - nicht Freundin, nicht Staat, nicht Kirche - soll ihm da noch hinein reden. Er spricht vom Freitod als einem Akt der Würde - und nicht von Selbstmord.

O-Ton Stefan Daniel
Ich wähle den Weg ja, wenn es mir noch schlechter geht als jetzt und dann möchte ich auch bitte schön meine Würde behalten.

Frage: Sie haben einen Arzt gebeten, Ihnen beim Freitod zu helfen?

O-Ton Stefan Daniel
Ja, ich habe meinen Arzt gebeten, mir zu helfen aus dem Leben zu scheiden.

Frage: Und hat er zugesagt?

O-Ton Stefan Daniel
Ja, er hat seine Zustimmung gegeben.

Für den Vorsitzenden der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, ist ärztliche Beihilfe zum Freitod eine Zumutung.

O-Ton Frank Ulrich Montgomery, MoMa v. 17.6.2015
Wir wollen eben in der Stunde des Todes dabei sein, und dem Patienten helfen, ihn begleiten aber nicht ihn nicht umbringen.

Was die Menschen wollen, die sich in der Lage von Stefan Daniel befinden, scheint Montgomery nicht zu interessieren. Er ignoriert, dass ein Großteil der Bevölkerung über sein Lebensende selbst bestimmen möchte. Und dabei käme den meisten die Hilfe eines Arztes sehr gelegen. Doch der Suizid ist ein Thema, über das man nicht offen spricht. Es sei denn, ein Prominenter nimmt sich auf spektakuläre Weise das Leben. Trotzdem: der Suizid soll nicht auch noch gesellschaftlich akzeptiert werden, ihm ist nichts Gutes abzugewinnen. Deshalb will Bundesgesundheitsminister Gröhe künftig die Beihilfe zum Suizid kriminalisieren

O-Ton Gesundheitsminister Hermann Gröhe, 13. November 2014
Eine Verklärung der Selbsttötung, gleichsam als Akt wahrer menschlicher Freiheit lehne ich ab. Und deswegen setze ich mich als Abgeordneter für die Strafbarkeit organisierter Beihilfe zur Selbsttötung ein.

O-Ton Stefan Daniel
Also wenn das unter Strafe gestellt werden würde, dass ein Arzt mir hilft beim Freitod, dann muss ich mir natürlich andere Methoden überlegen, zum Beispiel die Halsschlagader aufritzen.

In einem Gesetzentwurf, der bislang die größte Zustimmung der Abgeordneten findet, heißt es:

Zitat:
"Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Geschäftsmäßig - das klingt nach Gewinnstreben, meint aber nur: die wiederholte Tat. Damit rückt der Arzt, der ein zweites oder drittes Mal beim Freitod hilft, ins Visier des Staatsanwaltes. Patrick Sensburg vom konservativen Flügel der Union fordert sogar fünf Jahre Haft.

O-Ton Patrick Sensburg, CDU
Der Staat muss, glaub ich, dafür sorgen, dass wenig Menschen den Freitod wählen, dass alles dafür getan wird, um dies zu vermeiden und nicht ein Angebot schaffen, dass es im Grunde mehr Menschen ermöglicht, hier einen Ausweg zu sehen.

Seit Monaten wird über eine gesetzliche Neuregelung dieser Frage gestritten, denn bislang ist der ärztlich assistierte Suizid straffrei. Geht es nach diesen Abgeordneten, soll der Staat per Strafgesetz vorschreiben, wo die Selbstbestimmung ihre Grenzen findet. Peter Hintze von der CDU hingegen stemmt sich gegen die geplante Entmündigung des Bürgers.

O-Ton Peter Hintze, CDU
Die Menschen wollen selbstbestimmt leben, das ist der Kern der Menschenwürde und sie wollen auch in der schlimmsten Situation ihres Lebens, im Sterbeprozess, entscheiden, ob sie das noch ertragen können oder ob sie den Arzt bitten können, ihm beizustehen, friedlich zu entschlafen, was jeder Mensch will.

Michael de Ridder, Palliativmediziner und Befürworter des ärztlich assistierten Suizids unter bestimmten Bedingungen, hält ein Verbot für fatal:

O-Ton Michael de Ridder, Palliativmediziner
Wenn der Staat glaubt, hier in paternalistischer Weise vorgehen zu können oder zu dürfen und das Selbstbestimmungsrecht des Menschen außer Kraft setzen würde, dann käme das aus meiner Sicht einem Verfassungsbruch bzw. einer Menschenrechtsverletzung gleich.

Der Freitod ist keine abstrakte Angelegenheit. Wer in dieser Frage Rat und Beistand sucht, der hat es schwer. 10.000 Menschen bringen sich jährlich in Deutschland um. Sechsmal so viele werden in Mitleidenschaft gezogen: Angehörige, Partner, Unbeteiligte. Auch manche der unheilbar Kranken erhängen sich, legen sich auf Schienen, oder springen von Hochhäusern. Stefan Daniel waren solche Gedanken auch nicht fremd.

O-Ton Stefan Daniel
Also meine Überlegung, mich auf einen LKW-Parkplatz zu stellen, um zu warten, dass mich ein 15-Tonner so überrollt. Ich finde das absurd, mich zusätzlich zu diesem qualvollen Leben noch 'ner stärkeren Qual aussetzen zu müssen.

Davon bleiben jedoch jene unbeeindruckt, die die ärztliche Sterbehilfe kriminalisieren wollen. Denn sie befürchten einen Dammbruch, eine gesellschaftliche Nötigung zum Suizid.

O-Ton Kerstin Griese, SPD
Wir wollen keine Normalisierung des assistierten Suizids. Wir haben Sorge, wenn das Normalität wäre, der Druck auf Menschen in verzweifelten Situationen steigt und dass aus der Angst, jemanden zur Last zu fallen, zu schnell der Wunsch nach dem Tod wird.

Michael de Ridder hält das für Panikmache.

O-Ton Michael de Ridder
Wir haben eine Vielzahl von Absicherungsmechanismen, das ist der richtige Weg. Bei 30 Kindern, die jährlich Haushaltschemikalien zu sich nehmen und schwere Vergiftungen davon tragen, ja was machen wir? Wir verbieten nicht die Chemikalien, sondern machen kindersichere Verschlüsse und so ähnlich muss es hier auch sein, wir brauchen natürlich im weitesten Sinne ein Regelwerk und wir brauchen Kontrolle.

Beispielsweise durch eine ergebnisoffene Beratung. Gerade auch für jene, denen durch schmerzlindernde Palliativversorgung nicht geholfen werden kann. Aristide Proksch leitet einen Palliativdienst und weiß aus eigener Erfahrung, dass es eben auch solche Menschen gibt.

O-Ton Aristide Proksch, AWW Hospiz Berlin
Bei 150 Menschen, die wir begleitet haben, waren es insgesamt fünf, die gesagt haben, 'ich möchte aber Hilfe'. Die waren in palliativer Versorgung, die waren auch gut versorgt und dennoch wollten sie aus dem Leben scheiden, bevor es ganz schlimm wird.

Er gehört zu den wenigen aus der Hospizbewegung, die die Grenzen palliativer Versorgung offen zugibt. Deshalb schlägt er einen grundsätzlichen neuen Weg vor, der die Wünsche der Sterbenskranken ernst nimmt.

O-Ton Aristide Proksch, AWW Hospiz Berlin
Wenn explizit mehrfach gefragt wird, dass wir dann auch eine Beratung ergebnisoffen führen und die Erfahrung zeigt auch, dass bei manchen Menschen eine Beruhigung eintritt, wenn sie um die Möglichkeit wissen, dass sie nicht nach die Schweiz fahren müssen oder nach Belgien, sondern dass sie auch in Deutschland die Möglichkeit haben, dass ihnen geholfen wird.

Beratung also statt Kriminalisierung - das fordern jene ausdrücklich, die mit dem Leid der unheilbar Kranken tagtäglich zu tun haben.

O-Ton Michael de Ridder, Palliativmediziner
Also eine solche Beratung wäre auf jeden Fall sinnvoll und wichtig, sie sollte ergebnisoffen geführt werden, d.h. dass ein Patient, der hierhin kommt, muss auch die Möglichkeit haben, einen Arzt zu finden, der seine Suizidabsicht unterstützt bzw. ihm hilft.

O-Ton Stefan Daniel
Mich hat das sehr erleichtert, dass, wenn es meinem Ende näher geht, dass dann ein Arzt kommt und mir beim Sterben hilft. Na klar ist das eine große Erleichterung, das zu wissen.

Abmoderation: Eine schwierige Entscheidung, vor der die Abgeordneten des Bundestages nun stehen. Anfang November müssen sie beschliessen, welche Regeln künftig beim Thema Sterbehilfe gelten sollen. Ohne Fraktionszwang. Insgesamt vier Entwürfe liegen vor. Eine Gewissensentscheidung.

 

Beitrag von Axel Svehla