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- Todmüde – Streit um zu lange Flugzeiten von Piloten

14 Stunden im Cockpit im Dienst – nicht nur auf Langstreckenflügen wird den Piloten einiges abverlangt. Immer öfter klagen sie über gefährliche Erschöpfungszustände. Schon vor Jahren berichtete KONTRASTE über die Sicherheitsrisiken, die davon ausgehen. Obwohl jetzt auch wissenschaftliche Gutachter kürzere Dienstzeiten fordern, bleibt die Politik tatenlos.

Wann sind Sie zuletzt mit dem Flugzeug geflogen? Haben Sie sich da mal die Frage gestellt, wie lange Ihr Flugkapitän eigentlich schon im Einsatz ist und wann er sich zuletzt hat? Kaum vorstellbar, aber: 13 Stunden Dienstzeit ohne Pause, ist der Normalfall für deutsche Piloten. Mitunter müssen sie sogar 16 Stunden am Stück fliegen, ohne dass sie abgelöst werden. Beängstigend! Was, wenn die Konzentration nachlässt, der Pilot müde wird?! Schon 2001 haben wir bei Kontraste auf diesen skandalösen Umstand aufmerksam gemacht. Jetzt haken wir erneut nach. Meine Kollegen Axel Svehla und Tim van Beveren haben recherchiert.

Täglich sind Millionen Menschen mit dem Flugzeug unterwegs. Alle fünf Sekunden startet oder landet irgendwo auf der Welt ein Linienflug. Wegen der hohen Sicherheitsstandards gilt Fliegen nach wie vor als sicher.

Die Garanten dieser Sicherheit, denen jeder Fluggast sein Leben anvertraut, sind in erster Linie die Piloten.

Aber: trotz hoher Standards und gut ausgebildeter Piloten kommt es immer wieder zu katastrophalen Zwischenfällen und Abstürzen.

Unfallermittler stellen fest: Der größte Risikofaktor ist der Mensch.

Und: eine entscheidende Rolle spielt bei solchen Unfällen Übermüdung und Erschöpfung.

Jörg Handwerg, Flugkapitän, Vereinigung Cockpit
„Das Gefährliche an der Übermüdung oder der Erschöpfung ist, dass man sie nicht wirklich bewusst wahrnimmt. Sondern sie ist ähnlich wie beim Alkoholkonsum, sie tritt eigentlich schleichend ein und sie engt die Konzentrationsfähigkeit auf ganz wenige Dinge ein: Man bekommt einen Tunnelblick, man verliert den großen Überblick übers Cockpit, über die Situation. Und das steigert sich dann solange bis man sich auch auf diese eine Sache dann nicht mehr konzentrieren kann.“

Diese Gefahren sind seit langem bekannt: Schon vor acht Jahren hat KONTRASTE einen Langstreckenflug begleitet und ausführlich darüber berichtet:

KONTRASTE-Beitrag, 4.1.2001
„Flugpläne werden weltweit immer enger, Flugzeuge immer moderner. Piloten fliegen bis zur völligen Erschöpfung. 10, 12, 14 Stunden gelten als normal. Ja sogar 16 und 18 Stunden fliegen Piloten ohne Unterbrechung.“

Damals begleiteten wir Lufthansa-Flugkapitän Peter Dehning. Sein Arbeitstag war außergewöhnlich lang.

Peter Dehning, Flugkapitän a.D.
„Ja um halb Sieben klingelte der Wecker, und ich denke dass wir nicht vor Mitternacht wieder ins Bett kommen werden.“

Das heißt: 1 Stunde Anfahrt, 2 Stunden Vorbereitung, dann ein 12stündiger Flug, - 15 Minuten Nachbereitung und anschließend Fahrt ins Hotel. Insgesamt: 17 Stunden, kein Einzelfall.

Schon damals forderten Dehning und viele andere Piloten neue gesetzliche Regelungen: vor allem kürzere und humanere Arbeitszeiten… Hat sich daran inzwischen etwas geändert?

Flughafen Frankfurt, vergangene Woche: Wir treffen Kapitän Dehning. Seit einem Jahr ist er pensioniert. Jetzt darf er offen mit uns reden. Der 63jährige denkt mit großer Sorge an seine aktiven Kollegen, denn aus seiner Sicht hat sich bisher nichts verbessert.

Peter Dehning, Flugkapitän a.D.
„Ich bin der Meinung es ist wirklich an der Zeit, dass diese maximal möglichen Arbeitszeiten reduziert werden, weil auch durch die Verengung der Einsatzpläne die Belastung sehr viel höher geworden ist, als sie zu meiner Zeit war.“

Und es geht vor allem um die Sicherheit.

Zürich, 24. November 2001: nur zehn Monate nach unserer damaligen Sendung ereignet sich ein weiterer, tödlicher Unfall: Ein Crossair Flug von Berlin nach Zürich fliegt im Landeanflug 200 Meter zu tief und zerschellt an einem Berg.

Bilanz: 24 Tote und 5 Schwerverletzte, nur 4 Menschen überleben leicht verletzt die Katastrophe.

Zwei Jahre später heißt es im offiziellen Unfallbericht der Schweizer Untersuchungsbehörde:
Zum Zeitpunkt des Absturzes war der Kommandant „13 Stunden und 37 Minuten“
im Einsatz. Er zeigte „deutliche Anzeichen von Übermüdung“.

Wie lange Piloten am Steuerknüppel sitzen dürfen, dass bestimmt inzwischen die Europäische Kommission in Brüssel.

KONTRASTE fragt beim Hohen Kommissar für Verkehr nach.

Doch trotz schwerer Unglücke im Luftverkehr lässt man sich hier vor allem Eins: Zeit!

Fabio Pirotta, Pressesprecher EU-Kommissar für Verkehr
„Wir warten auf eine Auswertung der Europäischen Flugsicherheitsbehörde. Damit und auf dieser Grundlage wäre die Kommission dann in der Lage zu handeln und zu sehen, was als Nächstes zu tun ist.“

Doch den Piloten dauert das viel zu lange. Schon seit Mitte der 90iger Jahre werden sie vertröstet.

Sie klären die Passagiere auf und wenden sich an die Öffentlichkeit.

Am 5. Oktober findet deshalb auf Flughäfen in europäischen Metropolen ein Protesttag statt, wie hier in Frankfurt. Von der EU fordern die Piloten endlich Taten:

Jörg Handwerg, Vereinigung Cockpit
„Wir haben überhaupt keine Signale bisher bekommen, dass man sich wirklich um diese Problem bemüht. Im Gegenteil, man schiebt es auf die lange Bank und lässt eine Diskussionsrunde nach der anderen stattfinden, die aber ergebnislos ausgeht.“

Eigentlich ist eine Diskussionen nicht nötig. Denn längst gibt es ein – sogar von der EU Kommission selber in Auftrag gegebenes Gutachten um das Thema Flugdienstzeiten in den Griff zu bekommen.

Der so genannte „Möbus-Bericht“.

Darin empfehlen zehn renommierte Wissenschaftler der EU unter anderem:

Statt der geltenden, europäischen Regelung, die Flüge am Tag von bis zu 14 Stunden vorsieht, sollten die Einsatzzeiten weniger als 13 Stunden betragen.

In der Nacht erlaubt die EU Dienstzeiten von 11 Stunden und 45 Minuten. Die Studie sagt: das ist „unangemessen“, es sollte nicht mehr als 10 Stunden geflogen werden.

Doch davon wollen weder die Billigflieger noch Linen-Airlines etwas wissen. Denn per Gesetz reduzierte Arbeitszeiten bedeuten für sie mehr Personaleinsatz. Und das ist teuer.

Deshalb verteidigen sie die bisher gültigen Regelungen.

Über ihre Lobbyisten wirken sie auch auf die EU-Kommission ein und stellen den für sie unbequemen Möbus-Bericht grundsätzlich in Frage.

Ulrich Schulte-Strathaus, General-Sekretär Verband Europäischer Airlines (AEA)
„Dieser Möbus Bericht ist nicht wissenschaftlich fundiert. Dass hier Wissenschaftler zu einem bestimmten Ergebnis kommen, nehme ich zur Kenntnis, aber es gibt andere Wissenschaftler, die kommen zu anderen Ergebnissen. Und ich halte es nicht für gerechtfertigt, dass von den Gewerkschaften hier der Eindruck öffentlich propagiert wird, als sei Luftfahrt unsicher und dementsprechend würde ich auch davon abraten, dass die Politik jetzt sich in eine solche Diskussion in dieser Weise einbringt.“

Was der Airline-Lobbyist für belanglos erklärt, hat für den unabhängigen Flugsicherheitsexperten Siegfried Niedek höchste wissenschaftliche Relevanz. Für KONTRASTE bewertet er den Möbus-Bericht.

Siegfried Niedek, Flugsicherheitsexperte
„Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sagen ganz klar: Wenn man während der Nacht fliegt: unbedingt die Flugdienstzeiten verkürzen. Wenn man Kurzstrecken fliegt: nicht mehr so viele Kurzstrecken. Und wenn man zum Beispiel den Dienst morgens um vier antritt, oder um zwei, dann muss die Ruhezeit zwischen dem letzten Flug und diesem Flug unbedingt verlängert werden. Das sind ganz wichtige Punkte um eben Erschöpfung, respektive Müdigkeit, zu verhindern.“

Und damit auch Unfälle. Denn die Möbus-Studie belegt auch, dass das Unfallrisiko mit dem Grad der Ermüdung zunimmt. Piloten wissen, warum diese Erkenntnisse von den Airlines angezweifelt werden.

Jörg Handwerg, Vereinigung Cockpit
„Der Grund, warum man versucht, die Studie zu diskreditieren kann aus unserer Sicht eigentlich nur in wirtschaftlichen Interessen liegen. Es ist nicht im Interesse der Fluggesellschaften eventuell anders zu planen als sie jetzt planen müssen und es könnte auch an der ein oder anderen Stelle dazu kommen, dass man eventuell etwas finanziellen Mehraufwand hat und das scheut man wie der Teufel das Weihwasser.“

In Brüssel zeigt der Druck der mächtigen Airline-Lobby seit Jahren Wirkung. Denn ein Gesetz zur Verbesserung der Flugdienstzeiten wird bislang nur diskutiert, nicht aber verabschiedet. Auch auf Nachfrage von KONTRASTE weigert sich die Kommission sich festzulegen und bricht das Interview ab.

KONTRASTE
„Wann wird es soweit sein? 2010, 2011, 2012?“
Fabio Pirotta, Pressesprecher EU-Kommissar für Verkehr
„Ich werde darauf nicht antworten, die Frage ist unfair.“

Keine guten Aussichten für die Passagiere in Europa und diejenigen, die sie befördern, meinen die europäischen Piloten.

Das demonstrieren sie mit diesem Video: Nach einer 60 Stunden Woche kann man sich müde fühlen… Todmüde…


Beitrag von Tim van Beveren und Axel Svehla