Leben im Schatten -
Keine Papiere, keine Ansprüche, kein Schutz: Sie leben unter uns, "Illegale", "sans papiers" wie sie in Frankreich heißen. Selbst wenn sie mit viel Fleiß ihren Lebensunterhalt mit Schwarzarbeit erwirtschaften und sich keine Straftaten zuschulden kommen lassen: Sie haben als "Wirtschaftsflüchtlinge" in Deutschland keine Chance auf eine nachträgliche Legalisierung ihres Aufenthaltes.
Anmoderation: Zuwanderung - das ist eines der grossen emotionalen Wahlkampfthemen in diesem Jahr, quer durch alle Parteien. Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz kocht hoch. Wir haben mal die Perspektive gewechselt und uns gefragt: Wie sieht denn aktuell die Lage für Zugewanderte aus, die als so genannte Wirtschaftsflüchtlinge illegal hier leben und arbeiten. Andrea Everwien hat herausgefunden: es gibt sie zu Tausenden. Und während die Politik noch streitet, hat sich längst eine Schattenwirtschaft etabliert.
Diesen Mann gibt es eigentlich nicht – er ist ein Geist in unserem Land. Martin - das ist natürlich nicht sein richtiger Name - Martin ist ein sogenannter "Illegaler". Im Französischen heißt es treffender: "sans papiers" - einer ohne Papiere.
Woher er kommt? Tut nichts zur Sache, vielleicht aus Albanien oder Nordafrika, vielleicht auch aus Pakistan oder Lateinamerika.
Jedenfalls ist Martin ein Wirtschaftsflüchtling – und er sagt von sich:
'Ich bin ein glücklicher Mensch'.
O-Ton Martin
"Ich habe einen Job, ich gehe putzen, davon lebe ich ganz gut - und ich kann sogar meiner Familie noch Geld davon nach Hause schicken.
In seinem Herkunftsland, gibt es für ihn weder Arbeit noch Zukunft. Arbeit hat er in Deutschland gefunden – aber nur in der Schattenwirtschaft.
Rund 1.000 Euro bringt das im Monat. Für 40 bis 45 Stunden Schufterei die Woche. Mit gut 6 Euro bekommt er nicht mal den Mindestlohn. Außerdem muss er noch dafür zahlen, dass er überhaupt arbeiten kann.
Martin
"Dann muss ich ja auch noch meinen Landsleuten Geld geben – die haben mir den Job organisiert und darüber bin ich sehr froh. Also muss ich ihnen natürlich was bezahlen."
Landsleute bezahlen – für einen Job? Beim Verein "Xochicuicatl" kennt man solche Geschichten vom informellen Arbeitsmarkt. Hier erhalten Migranten mit und ohne Papiere Rat und Unterstützung.
Claudia Tribin, Xochicuicatl e.V.
"Es gibt so Personen, die machen eine Zwischenagentur zwischen den Arbeitgebern und diesen Landsleuten und dann müssen die – die nehmen so einen Teil – oder: ah, ich vermittle, ich finde einen Job für dich, und da bezahlt man die."
Martin
"Meine Landsleute haben eine legale Aufenthaltsgenehmigung. Die leihen sie mir, damit ich offiziell mit meinem Arbeitgeber einen Vertrag machen kann. Und dafür muss ich ihnen eben Geld geben."
So zahlt er jeden Monat für sein illegales Leben drauf.
Doch wenn es zum Streit kommt sind Menschen ohne Papiere Menschen ohne Rechte.
Claudia Tribin, Xochicuicatl e.V.
"Und das ist das gute Geschäft – weil eine Person ohne Rechte und die immer in dieser Angst ist, ich werde erwischt – ich bin hier – irgendwo muss ich immer unter dem Tisch sein – es ist eine Person, die sehr schwach ist."
Trotz alledem: für Martin ist alles gut – solange es eben gut geht. Aber was, wenn er sich doch einmal verletzen sollte? Die ehrenamtliche Hilfsorganisation "Medibüro" in Berlin-Kreuzberg sieht täglich Menschen ohne Papiere, die irgendwann doch zum Arzt müssen – und es eigentlich nicht können, weil sie ja Geister sind, nicht existieren und natürlich auch keine Krankenversicherung haben.
Im "Medibüro" finden sie unentgeltlich Hilfe – die Mitarbeiter denken, Gesundheit ist ein Menschenrecht, das nicht vom aufenthaltsrechtlichen Status abhängen sollte.
Flaminia Bartolini, Medibüro Berlin
"Wir haben ein Netzwerk von ungefähr 120, 130 Ärztinnen und Ärzten, und Krankenhäuser, Apotheker, Hebammen, die unentgeltlich für das Medibüro arbeiten."
Hilfsmittel und Medikamente werden aus Spenden finanziert – die fließen aber gerade nicht sehr reichlich. Deswegen hoffen die Unterstützer auf die Einführung eines anonymen Krankenscheins für alle – aber Martin will solche staatlichen Leistungen eigentlich gar nicht in Anspruch nehmen. Genau so wenig, wie er auf die Idee käme, um Asyl zu bitten.
Martin
"Nein, das ist nichts für mich, ich bin jung, ich bin zuversichtlich und stark, ich brauche kein Geld vom Staat."
Angst vor der Zukunft? hat Martin nicht. Angst hat er nur davor, seine Arbeit zu verlieren. Er hat gesehen, wie andere dann aus Not kriminell wurden und etwa anfingen, Drogen zu verkaufen.
Martin
"Mit Drogen will ich nichts zu tun haben. Die machen dich fertig, die machen krank – ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren."
Wieso kann dieser Mensch eigentlich nicht legal hier leben, von dem, was er selbst erarbeitet? Deutschland gibt ihm keine Chance für eine nachträgliche Legalisierung seines Aufenthaltes. In anderen europäischen Ländern ist das dagegen wohl möglich.
Beitrag von Andrea Everwien