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Quer durch die Parteien ist es Konsens: für die Integration von Kindern nichtdeutscher Herkunft an den Schulen muss mehr getan werden. Doch im konkreten Alltag mangelt es Schulen in sozialen Brennpunkten oft an Geld. Sozialarbeiter erhalten nur monateweise Honoraraufträge. Und wenn Lehrer krank werden, fällt der Förderunterricht aus.
Zwangsverheiratungen in Deutschland sollen in Zukunft stärker bekämpft werden. Das hat gestern die Bundesregierung beschlossen. Den sogen. Integrationsverweigerern soll es an den Kragen gehen. Fragt sich nur: Wer verweigert hier vernünftige Integration? Schließlich beteuern uns die Politiker immer wieder, dass vor allem die BILDUNG der Schlüssel für Integration sei, angefangen bei den Kindern. Und? Was tun Bund und Länder hier, um bessere Rahmenbedingungen zu schaffen? Die Antwort ist ernüchternd, das zeigt der Alltag in vielen deutschen Schulen. Andrea Everwien mit einem Beispiel.
Andrea Freiberg ist Lehrerin mit Leib und Seele - seit 33 Jahren. Zwölf Nationen sind in ihrer Klasse versammelt: Kinder aus der Türkei, aus Tschetschenien, aus Polen und Angola. Auf Deutsch können sie sich oft kaum miteinander verständigen.
Kein Wunder, dass ihre Sprache nicht perfekt ist. Viele Eltern, das weiß die Schulleiterin, haben selbst kaum schulische Bildung.
Manduela Krüger, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Viele Mütter vor allem können nicht lesen und nicht schreiben. Wir haben Eltern, die unterschreiben Elternbriefe mit drei Kreuzen.“
KONTRASTE
„Auch nicht in einer anderen Sprache.“
Manduela Krüger, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Sie können tatsächlich nicht lesen oder schreiben. Das erste, was sie dann in Deutschland lernen, ist, ihren eigenen Namen zu schreiben.“
Viele Kinder hier hatten vor Schuleintritt kaum Kontakt zu Deutschen - Schule macht ihnen Angst.
Dennoch glaubt die Schulleiterin fest an die Bildungschancen der Kinder.
Manduela Krüger, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Wenn hier Kinder kommen, um eingeschult zu werden, dann sehe ich, dass sie wissbegierig sind, das sind lauter kleine Schwämme, die alles aufsaugen, was man ihnen bietet. Und da besteht die große Chance, da müssen wir investieren, da müssen wir reingehen und dann wird sich das auch lohnen."
Aber Schule machen heißt hier offenbar: Mängel verwalten. Am guten Willen fehlt es nicht: Immer wieder entwickelt die Schule Zusatz-Projekte, um die Kinder wegen ihrer schlechten Voraussetzungen besonders zu fördern - und immer wieder fehlt es an Geld.
Diese zehn Kinder konnten beim Schuleintritt vor wenigen Wochen kein Wort Deutsch. Für sie gibt es die so genannten Starterklassen. Spielerisch üben sie erst einmal das richtige Hören.
Innerhalb eines Jahres müssen sie fit werden für den Regelunterricht Doch sobald irgendwo ein anderer Lehrer krank wird, wird die Sprachlehrerin als Aushilfe benötigt. Die Rektorin muss dann die Förderung ausfallen lassen.
Manduela Krüger, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Es darf niemand krank werden, das ist klar. Wenn jemand krank wird, dann muss vertreten werden und diese Vertretung organisiere ich aus meinen Sprachförderstunden."
Sprachförderstunden als Verschiebemasse - wie sollen die Kinder da den Anschluss an den Regelunterricht finden? Denn selbst wenn sie Grundkenntnisse in Deutsch haben, ist ihr Wortschatz oft gering und undifferenziert. Deswegen können sie dem Fachunterricht - zum Beispiel in Naturkunde - nicht wirklich folgen.
Andrea Freiberg, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Bestimmtes Umweltwissen ist noch nicht so, dass man sagen kann, das ist toll, damit kann man richtig arbeiten. Für viele Kinder ist der Vogel eben ein Vogel eben ein Vogel, obwohl es unterschiedliche Vögel gibt. Also, es gibt Tauben, es gibt Meisen, es gibt Amseln, das können die Kinder kaum unterscheiden."
Armut und Sprachlosigkeit machen die Kinder nervös und aggressiv. Lehrerin Andrea Freiberg unterrichtet deshalb seit kurzem ein neues Fach: „Soziales Lernen."
Über Gefühle sprechen lehren - ein Versuch, der steigenden Aggressivität der Kinder zu begegnen.
Manduela Krüger, Gesundbrunnen-Grundschule Berlin
„Wir haben im letzten Jahr vor allem ein hohes Maß an Gewalttätigkeit unter den Kindern festgestellt. Ob das verbal oder tatsächlich körperlich war, als das war ganz unterschiedlich."
Die Aggressionen der Kinder sprengen manchmal den Unterricht komplett. Dann schicken die Lehrer sie zu Kristina Golisch, der Sozialarbeiterin. Nancy kam im letzten Jahr oft zu ihr: Ein anderes Mädchen hatte sie geschlagen, weil sie sich von ihr beleidigt fühlte.
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Ok, Nancy, lies mal bei der nächsten Frage weiter."
Nancy, Schülerin
„Was meinst du, denkt die andere Person über den Konflikt?"
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Was meinst du, was denkt Sabrina jetzt?"
Nancy, Schülerin
„Weiß ich nicht."
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Weißt du nicht?"
Nancy muss noch lernen, sich die Gefühle des anderen Kindes vorzustellen - die Sozialarbeiterin gibt ihr Zeit und Gelegenheit, darüber nachzudenken.
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Meinst du sie war glücklich? ‚Mensch, die beleidigen mich, das ist ja schön?‘"
Nancy, Schülerin
„Nee.“
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Sondern? Im Gegenteil, ne?“
Nancy, Schülerin
„Sie war wütend.“
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Genau."
Solche Gespräche sind neu für viele Kinder. Konflikte durch Worte zu lösen - das haben die meisten zuhause nicht gelernt.
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Ich merke, dass die Kinder oft keine Möglichkeit haben, viel über ihre Situation zu sprechen, dass auch wenig darüber gesprochen wird, was in der Schule passiert, was draußen passiert, und die Kinder viel mit Strafen zu tun haben, die sie bekommen, für Noten, für Ärger, den sie draußen bekommen haben.“
KONTRASTE
„Was passiert dann?“
Kristina Golisch, Sozialarbeiterin
„Ja, meistens gibt es Schläge."
Schule als Sozialstation. Doch nicht einmal die Stelle der Sozialarbeiterin ist sicher finanziert: Auch für sie gibt es bisher immer nur Honorarverträge über ein paar Monate.
Welche Chancen haben diese Kinder? Sie haben die Chancen, die die Schule ihnen bietet. Auf die Eltern kann man nicht warten. Wer aber diese Kinder jetzt nicht integriert, sollte sich über zukünftige Parallelgesellschaften nicht beklagen.
Autorin: Andrea Ewerwien