Touristenort vs. zerbombte Stadt - muslimische Flüchtlinge unter Generalverdacht (Quelle: rbb/Kontraste)

Von einem Extrem ins andere - Muslimische Flüchtlinge unter Generalverdacht

Lange ließen Politik und Sicherheitsbehörden Kriminelle aus Tunesien, Algerien und Marokko fast ungehindert gewähren. Jetzt werden Flüchtlinge, vor allem muslimischen Glaubens, unter Generalverdacht gestellt. Wir schauen genau hin - sprechen mit Flüchtlingsmännern, die sich gegen verbreitete Vorstellungen von ihrem Frauenbild wenden. Und wir treffen straffällige Nordafrikaner, die offen aussprechen, warum sie die deutschen Gesetze missachten.

Anmoderation:  Biedermänner und Brandstifter, sie heizen ungeniert die Stimmung auf. Wie, das können wir insbesondere seit den Übergriffen zu Silvester in Köln beobachten. Die Folgen bekommen v.a. Muslime zu spüren: "Am Kölner Dom werden wir euch aufhängen…", "Nicht nur eure Moscheen werden brennen, auch eure Frauen, und ihr werdet dabei zugucken. …", ihr dreckigen Moslemschweine" - solche offenen Morddrohungen gehen jeden Tag bei muslimischen Verbänden und Medien ein. Weil viele der Tatverdächtigen von Köln aus Nordafrika stammen, stehen alle muslimischen Flüchtlinge jetzt unter Generalverdacht. Caroline Walter und Christoph Rosenthal zeigen, wie Flüchtlinge selbst die Ereignisse von Köln sehen. Überraschende Ein- und Ansichten.

In dieser Berliner Turnhalle leben hunderte männliche Flüchtlinge auf engstem Raum, vor allem Muslime. Friedrich Kiesinger leitet seit fünf Monaten die Unterkunft. Er hatte anfangs erst große Bedenken. Doch er wurde positiv überrascht.

O-TON Friedrich Kiesinger, Leiter Asylunterkunft
"Die Erfahrungen sind, dass wir keine großartigen Streitereien hatten. Dass die Männer hilfsbereit waren, dass die Männer die Frauen, die von uns eingesetzt sind, ehrenamtlich oder professionell, also zu 99,5 Prozent achten."

Insgesamt waren hier rund 23.000 Flüchtlinge untergebracht. Die vielen weiblichen Helfer wurden bisher weder begrapscht noch belästigt. Susanne, die ehrenamtlich das Bettzeug in der „Männerhalle“ ausgibt, fühlt sich hier sicher, sie hat nie Angst gehabt.

Ehrenamtliche Susanne
"Ich hatte hier schon viele, schöne herzliche Begegnungen. Und tatsächlich gibt es auch Sachen, die ich an deutschen Männern vermisse. Also, ich kann hier nichts tragen, ohne dass mir das sofort jemand abnimmt. Es sind viele Gentlemen dabei."

Wir wollen mit muslimischen Flüchtlingen über die Vorfälle in Köln diskutieren. Statt der erwarteten fünf sind fast 50 Männer gekommen – das Thema bewegt sie sehr, besonders die Behauptung, die sexuellen Übergriffe hätten mit dem Islam und seinem Frauenbild zu tun.

Syrischer Flüchtling
"Diese Leute, die das gemacht haben, sind nicht normal. Dieser ganze Mob hat mit dem Islam nichts zu tun. Wir als Araber und Muslime verachten diese Typen und wollen sie weder hier noch bei uns haben."

Denn die Kriminellen hätten Alkohol getrunken, gestohlen und fremde Frauen angefasst – das alles sei im Islam nicht erlaubt.

Dieser Syrer erinnert uns an den Fall des Flüchtlingsjungen Mohamed – ein Deutscher hatte das Kind entführt und umgebracht.

Syrischer Flüchtling
"Der Deutsche, der Kinder vergewaltigt und getötet hat - würdest du da betonen, das war ein deutscher Christ? Nein, das hat eben nichts mit Religion zu tun."

Die Männer in der Runde fordern alle harte Strafen für die Täter der Silvesternacht.
Als wir ihnen Bilder von leicht bekleideten deutschen Frauen zeigen, sind sie amüsiert über unser Vorurteil, sie würden ihre Frauen unterdrücken.

Wie selbstbestimmt seine Ehefrau ist, das hat er gerade erlebt.

Syrischer Flüchtling
"Meine Frau hat in Syrien ein Kopftuch getragen und in Deutschland hat sie gesagt, ich will jetzt keins mehr tragen und jetzt hat sie kein Kopftuch mehr. Ich liebe sie aber immer noch und hänge sehr an ihr."

Später will er uns seiner Frau vorstellen. Aber sie läuft weg – vor die Kamera traut sie sich doch noch nicht.

Auch die Frauen in der Asylunterkunft beschäftigen die sexuellen Übergriffe an Silvester.

Randa
"Was in Köln passiert ist, finden wir furchtbar, wie jeder, weil dieses Verhalten ist wirklich schlecht. Und auch in Syrien ist das ein Verbrechen."

Randa ist eine moderne Syrerin aus Damaskus. Sie fühlt sich durch den Islam nicht in ihren Rechten eingeschränkt.

Randa
"Ich bin Muslima und habe keine Probleme. Ich kann alles studieren, was ich will. ich kann überall hin reisen, auch alleine. Ich habe gearbeitet. Nur der Krieg hat alles verändert."

Auch Anud ist aus Syrien und genauso emanzipiert – trotz Kopftuch. Sie hat als Lehrerin gearbeitet.

Anud
"Es ist meine Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, ich mag es einfach. Ich mach mir auch nichts daraus, was andere dazu sagen."

Alle am Tisch erzählen, dass Frauen auf den Dörfern ihrer Heimat weniger Freiheiten haben als sie – und vor allem dort, wo radikale Islamisten das Sagen haben.

Wir fahren nach Sachsen – hier leben viele muslimische Asylbewerber aus Nordafrika, über die jetzt alle reden. Sie fallen verstärkt durch kriminelles Verhalten auf – schon seit langem.

Peter Rausch leitet eine Asylunterkunft in Bautzen mit viel Engagement. Der Großteil der Flüchtlinge macht keine Probleme, aber 10 bis 15 Prozent kosten Rausch den letzten Nerv – sie werden straffällig und randalieren im Heim. Doch das wollte bisher keiner hören.  

O-TON Peter-Kilian Rausch, Leiter Asylunterkunft
"Mich ärgert es, dass man jetzt nach den Vorfällen von Köln plötzlich alle auf den Trichter kommen, dass die Tunesier und Marokkaner – man muss es leider Gottes sagen – nicht nur Gutes im Schilde führen. Da braucht man keine Statistik, was die Kriminalität betrifft. Da hätte man mich vor einem Jahr schon fragen können, ohne Experte zu sein."

Mohamed kommt aus Tunesien, ist 27 Jahre alt. Er hat schon einige Straftaten begangen – Ladendiebstahl, Betrug und Beleidigung. Sexualdelikte waren nicht dabei. Er ist auf Bewährung und muss eine Strafe in Raten abbezahlen. Er habe Fehler gemacht, sagt er. Seine Erklärung dafür ist absurd.

Tunesier Mohamed
"Der Syrer bekommt nach drei, vier Monaten seinen Aufenthalt, Arbeit und Wohnung – dann muss der auch nicht klauen. Aber einer wie ich, der kriegt das alles nicht."

Dass man als Tunesier hier fast keine Chance auf Asyl hat, anders als Kriegsflüchtlinge, will er nicht akzeptieren.

Mohamed
"Schau mal was in Tunesien abgeht: Jungs mit 18, 20 Jahren, die können nicht mal lesen und schreiben, die sind arbeitslos und kennen nur Korruption -  und du erzählst mir, in Tunesien ist alles gut? Tunesien ist kaputter als Syrien."

Er würde lieber arbeiten, meint er, statt seit 1,5 Jahre nur herumzusitzen. Wenn Frust und Alkohol zusammenkommen, rastet er manchmal aus.

Heimleiter Rausch hat gerade Neuzugänge bekommen. Dieser Tunesier will aber nicht hier bleiben, es gefällt ihm nicht. Er plant schon, den nächsten Bus zu nehmen.

Die Pflicht, sich ständig in dem Landkreis aufzuhalten, wo man untergebracht ist, wurde abgeschafft. Das hat Folgen – gerade bei kriminellen Asylbewerbern.   

Peter-Kilian Rausch, Leiter Asylunterkunft
"Residenzpflicht aufheben war mit – für mich persönlich – mit der grösste Fehler. Sie haben überhaupt keine Kontrolle mehr, wer wo ist. Auch wenn die Polizei kommt und sagt, wo ist XY? Ja, was soll ich sagen. Ich hab keine Ahnung, die Residenzpflicht ist aufgehoben, der kann sich in Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder Bremen aufhalten. Ich weiß es nicht. Die Polizei weiß es auch nicht."

Der Tunesier Fauzi gehört auch zu denen, die Probleme machen. Er ist schon zwei Jahre hier. Gleich am Anfang war er an einer Körperverletzung beteiligt. Er und zwei andere Tunesier gerieten am See mit einem Deutschen in Streit. Dabei hat ein Tunesier mit einer Flasche zugeschlagen. Weil Fauzi dabei war, muss er sich vor Gericht verantworten. Doch erst jetzt – fast zwei Jahre nach dem Vorfall - findet der Prozess gegen ihn statt. Mittlerweile hat Fauzi noch weitere Anzeigen kassiert, wie er uns zeigt. Wegen Beleidigung, zigmal Schwarzfahren und Ladendiebstahl.  

Fauzi
"Meine Anzeigen, das sind zu 80, 90 Prozent nur kleine Diebstähle: Essen, Zigaretten, Kleidung. So eine Jeans kostet 70 bis 100 Euro. Selbst wenn du ein Jahr hier bist, kannst du dir das nicht leisten."

Auch Fauzi redet sich damit heraus, dass es die Syrer besser hätten als er.

Fauzi
"Ich hab mir die Realität ganz anders vorgestellt. Nicht als ob ich hier ins Paradies komme, aber ich hab gehofft, wenigstens das Recht zum Arbeiten zu bekommen."

Er müsse ja auch noch Geld nach Hause schicken. Dass andere Flüchtlinge in derselben Situation sind und ohne zu stehlen mit dem Asylgeld auskommen – darauf hat er keine Antwort. Gegenüber seiner muslimischen Familie in Tunesien ist er nicht ehrlich.   

Reporter
Wissen Ihre Eltern, dass sie hier Straftaten begangen haben, dass es einen Gerichtsprozess gibt?

Nein, das wissen sie nicht.

Reporter
Wie würden Ihre Eltern reagieren?

Sie wären sehr traurig.  

Angst vor der Abschiebung hat er nicht. Denn er besitze ja keinen Pass. In Europa hat er schon in vielen Ländern illegal gelebt.

Fauzi
"Ich gehe nicht nach Tunesien zurück, selbst wenn sie mich dahin zurückschicken, nach ein, zwei Wochen bin ich wieder hier."

Fauzi will sich jetzt an die Gesetze halten. Immerhin hat er sich offen unseren Fragen gestellt.

Heimleiter Rausch kann nicht nachvollziehen, warum Straftaten nicht schnell vor Gericht landen – die träge Justiz verhindert so hartes Durchgreifen.  

O-TON Peter-Kilian Rausch, Leiter Asylunterkunft
"Die Leute, die ganz viel Dreck am Stecken haben, werden nicht abgeschoben, denn da ist ja irgendein Prozess anhängig, der irgendwann im Jahr 2029 dann irgendwann mal kommt, und solange das läuft, werden sie nicht abgeschoben."

Und so bringen wenige Kriminelle, die man gewähren lässt, alle anderen Flüchtlinge in Misskredit.

Abmoderation:  Dass die Ereignisse in Köln nichts mit den Grundsätzen des Islam zu tun haben und in der arabischen Welt ebenso scharf verurteilt werden wie bei uns - das ist die Position der Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus. Das Interview, das wir mit ihr geführt haben, können Sie sehen und hören auf unserer Homepage www.kontraste.de

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal