Streit um Schweigegebot -
Wann soll über die Nationalität eines Straftäters berichtet werden und wann nicht? Im Pressekodex des Presserates heißt es: Nur in Ausnahmefällen soll genannt werden, woher ein Straftäter stammt. Das gilt schon lange, aber in Zeiten von "Lügenpresse-Rufen" ist ein Streit um die hehre journalistische Selbstverpflichtung entbrannt. Die einen halten es für Bevormundung der Leser und Zuschauer, andere wollen damit verhindern, dass Fremdenfeindlichkeit geschürt wird. Doch was sagen die Zuschauer selbst?
Anmoderation: Es ist mittlerweile Alltag für uns Journalisten geworden: als Lügenpresse beschimpft zu werden, egal bei welchem Thema. Da wird unterstellt, es gäbe eine Order von oben, Dinge zu verschweigen. Viele Bürger haben das Vertrauen in die Medien verloren. Immer wieder kommt dabei die Frage auf: Sollen Journalisten, wenn sie über Straftaten berichten, die Herkunft eines Täters nennen - oder nicht? Haben Sie dazu eine klare Haltung? Caroline Walter und Christoph Rosenthal haben Meinungen gesammelt, die unterschiedlicher nicht sein können.
Dresden. Eine Frau wird auf dem Heimweg ins Gebüsch gezerrt, mit einer Glasscherbe verletzt und zum Oralsex gezwungen. Der Täter wird gefasst: Es war ein Asylbewerber aus Marokko.
Manche Zeitungen berichten danach, woher der Täter kommt. In anderen erfährt man lediglich: "Sexverbrecher verhaftet." Doch spielt seine Herkunft eine Rolle? Wir fragen Leser, was sie wissen wollen?
Reporter
Wenn Sie sich diese Nachricht hier durchlesen. Fehlt Ihnen da eine Information?
Passantin
"Na ja, das Typische halt was fehlt."
Reporter
"Was fehlt denn?"
Passantin
"Welche Nationalität es war."
Reporter
"Warum spielt das für Sie eine Rolle?"
Passantin
"Weil das in letzter Zeit immer sehr häufig so war, dass es halt niemand Deutsches mehr war und deswegen denke ich schon, dass das die Leute interessiert."
Passant
"Es gibt deutsche Verbrecher, es gibt ausländische Verbrecher. Das nützt mir nichts, ob ich weiß, dass es der war oder der, also von der Nationalität her."
Passantin
"Die Straftat zählt und nicht, woher der kommt. Ich bin selber Halbrussin, das ist doch egal, ob das jetzt ein Deutscher ist oder Marokkaner."
Passant
"Die Information fehlt einfach. Warum sagt man nicht, welche Nationalität er hat?"
Über diese Frage streiten auch wir Journalisten. Dabei gibt es eigentlich eine klare Richtlinie: Die Herkunft eines Straftäters soll nicht genannt werden – nur in Ausnahmefällen, wenn sie mit der Tat zu tun hat.
Diese Regel haben Journalisten in den 70er Jahren selbst eingeführt – denn es kam gehäuft zu rassistischer Diskriminierung von farbigen US-Soldaten in deutschen Zeitungen.
Seit den Vorfällen an Silvester ist die Debatte jedoch neu entbrannt: Immer öfter nennen Medien jetzt die Herkunft und halten sich nicht mehr an die Selbstverpflichtung. Müssen wir Medienmacher umdenken?
Der Presserat sagt Nein. Er ist für die Selbstkontrolle der Zeitungsbranche zuständig und beanstandet immer wieder Artikel.
Lutz Tillmanns, Geschäftsführer Deutscher Presserat e.V.
"Mit dieser Regel, mit dieser ethischen Norm, wollen wir vermeiden, dass Vorurteile geschürt werden, dass plakativ einer ganzen Gruppe negative Charakteristika zugeschrieben werden, die aber eigentlich nur einem Einzelnen durch Fehlverhalten zugeschrieben werden dürften."
Prof. Horst Pöttker forscht über Diskriminierung in den Medien. Die strenge Richtlinie - Informationen über die Herkunft wegzulassen – findet er falsch.
Prof. Horst Pöttker, Medienforscher
"Ich würde das für ein Schweigegebot halten, das in gewisser Weise der journalistischen Aufgabe widerspricht. Wenn wir überlegen, verträgt das Publikum diese oder jene Information, kann man dem Publikum diese oder jene Information zumuten, dann können wir uns nicht mehr darauf verlassen, dass die Journalisten die Welt so öffentlich machen, wie sie tatsächlich ist."
Viele Bürger fühlen sich bevormundet.
Reporter
"Es gibt einen Grundsatz vom Presserat, der sagt, wir sollen die Herkunft nicht nennen, wenn es keine Rolle spielt."
Passant
"Irgendwo muss es ja herkommen mit der Lügenpresse. Also ich bin noch in Ost-Zeiten groß geworden. Wir sind genauso beschissen worden. Jetzt ist es aber noch schlimmer."
Passant
"Ich denke mal, nicht hundertprozentig kommt die Wahrheit ans Licht und wird in Medien dann preisgegeben."
Passant
"Weil sie es nicht dürfen, weil es politisch nicht gewollt ist."
Reporter
"Meinen Sie, wir haben einen Maulkorb?"
O-Ton Passant
"Ja."
Auch Erwin Klingspon misstraut den Medien. Er hat einen brutalen Überfall auf seine Tankstelle erlebt. Ein Asylbewerber aus dem Irak schlug mit einer Eisenkette nach der Mitarbeiterin und wütete im Laden. Herr Klingspon hat das Überwachungsvideo sofort im Internet veröffentlicht.
Erwin Klingspon
"Die Medien vertuschen das und ich wollte, dass die Leute, dass auch wissen, dass das war ein sogenannter Gast aus Irak."
Auf das Video folgten viele fremdenfeindliche Kommentare – zum Beispiel, dass man alle Asylbewerber über dem Meer abwerfen sollte.
Die Lokalzeitung berichtete über den Tankstellenraub und bekam prompt Ärger mit dem Presserat. Die Zeitung nannte nämlich die Herkunft des Täters.
Kai Struthoff, Chefredakteur Hersfelder Zeitung
"Die Information hat hier schon die Runde gemacht. Wir sind als Journalisten nicht mehr die Einzigen, die Nachrichten verbreiten, sondern inzwischen ist jeder ein kleiner Redakteur, ein kleiner Reporter. Wenn wir diese Informationen, also nur um den Richtlinien des Presserates zu folgen, verschweigen würden, dann würden wir uns damit - glaube ich - in den Augen unserer Leser unglaubwürdig machen."
Ganz anders sieht man das bei der Tagesschau. Gerade wird beraten, welche Nachrichten es in die 20-Uhr-Ausgabe schaffen und welche nicht. Hier hält man sich strikt daran, in den meisten Fällen die Herkunft von Tätern nicht zu nennen – so zum Beispiel nach der Bluttat in Reutlingen.
Ausschnitt Tagesschau
"In Reutlingen in Baden-Württemberg hat ein Mann eine Frau mit einer Machete angegriffen und getötet."
Gleich darauf beschimpften Zuschauer die ARD-Redaktion auf Facebook, es würde etwas verschwiegen, von Zensur ist die Rede. Denn selbst in der New York Times stand zeitgleich, dass der Täter ein syrischer Asylbewerber ist.
Kai Gniffke, Chefredakteur ARD-aktuell
"Die Tagesschau hat die Aufgabe, wichtig von unwichtig zu trennen. Und die Frage, wo dieser Täter herkam war in diesem Moment keine wichtige Information, weil sie für eine Beziehungstat keine Rolle gespielt hat und deshalb war es in der Meldung nicht drin."
Reporter
"Führt das nicht zu einer Art Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust?"
Kai Gniffke, Chefredakteur ARD-aktuell
"Ich glaube nicht, dass wir unser Vertrauen damit verspielen, wenn wir unsere Standards halten ganz im Gegenteil."
Hier in Dresden probt man jetzt den Aufstand gegen die Norm. Die Sächsische Zeitung nennt seit kurzem bei jeder Straftat Ross und Reiter. Auch wenn es ein Deutscher ist.
Redakteur Tobias Wolf findet das nur konsequent.
Tobias Wolf, Redakteur Sächsische Zeitung
"Wer unsere Zeitung liest, wird eine Spalte mit Polizeiberichten bekommen, in der er alle versammelt sieht. Da haben Sie dann vielleicht drei Deutsche, die eine Straftat begangen haben, ein Auto geklaut, irgendwo eingebrochen oder mit Crystal erwischt worden. Und dann haben Sie vielleicht noch einen Fall, wo zwei Antänzer aus dem Maghreb irgendwie versucht haben, einen auszurauben. Das ist aber alles auf einer Seite. Ich denke, das spiegelt zumindest die Realität der etwas wichtigeren Straftaten durchaus wider."
Erst das Weglassen – so die Sächsische Zeitung – befeuere die Gerüchteküche. Die neue Transparenz soll Vorurteilen entgegenwirken.
Aber ist es wirklich so einfach? Lese ich zum Beispiel über einen Algerier, der eine Frau vergewaltigt hat, ertappe ich mich sich selbst dabei – dass ich Männern aus dem Maghreb mit Angst begegne – sie unter Generalverdacht stelle.
Wie sehr die Berichterstattung Vorurteile verstärken kann, zeigt ein Test.
Reporter
Wie hoch schätzen Sie, ist denn der Ausländeranteil bei Drogenstraftaten in Sachsen?
Passant
"70, 80 Prozent werden es bestimmt sein."
Passant
"60 Prozent."
Passantin
"50 Prozent."
Reporter
"Die Polizeistatistik sagt 15,5 Prozent!"
Passantin
"Oh, ja?"
Reporter
"Der Rest sind Deutsche."
Reporter
"Woher kommt, dass man gerade bei Drogen so hoch schätzt?"
Passantin
"Weil man es in den Medien sieht. Es werden ja nur die Personen gezeigt, die Schwarzafrikaner."
Die Nennung der Herkunft: Sie bleibt eine Herausforderung für uns Journalisten – in jedem Einzelfall aufs Neue.
Abmoderation: Und was denken Sie darüber? Schreiben Sie uns gerne über facebook oder über Email auf unserer Homepage: www.kontraste.de. Ihre Meinung interessiert uns!
Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal