- Zuwanderung als Schreckgespenst: Wie Kommunalpolitiker die Ängste vor Rumänen und Bulgaren schüren

Sie wollen nichts als Sozialhilfe, leben in heruntergewirtschafteten Häusern, werfen ihren Dreck in den Hinterhof: Diese Bilder bestimmen die Debatte um die Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren.

In Berlin-Neukölln zeigen wir, dass diese Bilder hausgemacht sind. Die Politik weigert sich, gegen unzumutbare Wohnverhältnisse vorzugehen, welche die chaotischen Zustände produzieren.

"Wer betrügt, fliegt", mit dieser dumpfen Parole hat die CSU die Debatte um Armuts-Zuwanderung nach Deutschland angeheizt. Wir meinen dagegen: "Wer Ängste schürt, der soll fliegen". Denn mit ihren Warnungen vor dem Zuzug vermeintlich bettelarmer, verwahrloster Menschen aus Rumänien und Bulgarien liegt die CSU nicht nur daneben, sondern bestärkt auch Fremdenfeindlichkeit. Zwar zeigt der neue Migrationsbericht der Bundesregierung, dass tatsächlich immer mehr Zuwanderer aus Osteuropa kommen, doch nur die wenigsten beziehen bei uns Hartz-IV-Leistungen. Trotzdem müssen viele unter fragwürdigen Umständen bei uns leben. Warum, zeigen Ute Barthel und Axel Svehla.

Hilfe, die Rumänen kommen! Und alle wissen ja, was das bedeutet: wo sie hausen, herrscht das Chaos. Müll, Dreck und Verwahrlosung. So weit das verbreitete Vorurteil. Was ist da eigentlich dran?

Wir fahren nach Berlin-Neukölln. Dort sollen viele Rumänen wohnen in sogenannten Schrottimmobilien. Diese Häuser sind nicht schön. Aber von außen sehen sie nicht verkommen und abbruchreif aus.

Wir versuchen mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Ein Dolmetscher soll uns dabei helfen. Doch mit der Kamera lässt uns niemand in seine Wohnung. Sie haben Angst vor dem Vermieter. Nur ohne Kamera erzählen sie, wie es hinter den Fassaden aussieht: in den meisten Wohnungen sind überbelegt, vieles sei marode, die Mieten überhöht.

Im selben Haus lebt Herr Ibrahim. Wenn der libanesische Familienvater mit seinen kleinen Kindern nach Hause kommt, dann betritt er in Bruchbude. Er zeigt sie uns: So viel er auch lüftet, gegen den Schimmelbefall im Bad kommt er nicht an, gegen die Mäuse in seiner Küche versucht er es mit einer Klebefalle. Vergeblich, wie er uns erklärt. An anderer Stelle sickert Wasser durch. 500 € Miete kostet die Wohnung, sagt er. Wofür eigentlich?

Herr Ibrahim
“Die Wohnung ist voller Kakerlaken, die Wände sind feucht. Überall ist Schimmel. Wenn meine Kinder schlafen, mache ich ihnen Ohrstöpsel in die Ohren, damit die Kakerlaken nicht in die Ohren krieche.“

Dass viele rumänische und bulgarische Zuwanderer in menschenunwürdigen Wohnverhältnissen leben, ist dem Bezirksamt Neukölln schon lange bekannt.

Franziska Giffey (SPD)
Bezirksstadträtin für Bildung

“Wir gehen davon aus, dass wir im Bezirk über 30 solcher sogenannter Schrottimmobilien haben, in denen von schlechten Wohnverhältnissen und Überbelegungen auszugehen ist, wo Leute eben auch Geld mit verdienen, dass sie eine Dreizimmerwohnung an zwanzig Leute verdienen. Und zwar nicht die Wohnung sondern die Matratze, den einzelnen Schlafplatz. Und das sind Zustände gegen die wir versuchen vorzugehen und wo wir als Bezirk ganz schnell an unsere Grenzen kommen.“

Kann der Bezirk wirklich nichts tun Benjamin Marx von der Aachener Wohnungsbaugesellschaft kennt sich aus mit der Sanierung von Schrottimmobilien. Solche Unterkünfte für Roma dürften vom Bezirk nicht geduldet werden, dagegen gäbe es Vorschriften.

Benjamin Marx
Aachener Siedlungs - und Wohnungsgesellschaft

“Ganz wichtig ist, dass der Sumpf der Schrottimmobilien trockengelegt wird. Also wenn ein Haus nicht bewohnbar ist, dann muss die Bauaufsicht das als unbewohnbar erklären. Also, wenn Wohnungen vermietet werden, in denen keine Toiletten sind, dann sind die nicht bewohnbar, wenn Wohnungen nicht beheizt werden können, dann sind die nicht bewohnbar.“

Dieses Haus in der Harzer Straße war bis vor wenigen Jahren noch als das Müllhaus von Neukölln berühmt und berüchtigt. Benjamin Marx hat es im Auftrag einer katholische Wohnungsbaugesellschaft gekauft und gemeinsam mit den Roma saniert.

David Stavarache ist einer von ihnen. Mit seiner Frau und sieben Kinder lebt er hier in einer Dreizimmerwohnung. Obwohl das Haus saniert und die Müllberge verschwunden sind, trifft er im Alltag noch immer auf Vorurteile.

David Stavarache
„Es ist dieser Gedanke, sie sind ein Dieb, ein Bettler, kommt nur um zu gucken und zu klauen. Und deswegen viele, viele Auftraggeber geben nicht mehr Arbeit."

Viele Kinder aus der Harzer Straße gehen in die benachbarte Hans-Fallada-Schule. Knapp ein fünftel der Schüler sind Rumänen und jedes Jahr kommen neue hinzu.
Deshalb gibt es hier kleine Lerngruppe für Kinder, die kein deutsch können. Die Schule hat zwei rumänische Sprach -und Kulturvermittler, die hier besondere Unterstützung leisten.

Die ersten Erfolge zeigen sich bei den Schülern, die schon ein paar Jahre hier sind. Es kommt also auf die Rahmenbedingen an, ob es mit der Eingliederung klappt oder nicht. Wo und wie die Zuwanderer aber wohnen, das nimmt der Bezirk einfach hin. Schlimmer noch.

Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der in zahlreichen Talkshows gerne und viel über Integration redet, möchte uns zum Problem der Schrottimmobilien kein Interview geben. Stattdessen lässt er uns schriftlich wissen:
“Es ist sicher richtig, dass es bei dem ungesteuerten Zuzug zu Mängeln mit der Wohnraumversorgung gekommen ist und wohl leider auch vermutlich weiter kommen wird. Die Menschen machen sich eben vorher keine Gedanken, wo sie denn wohnen werden.“

Der gedankenlose Zuwanderer ist also an seiner Misere selbst Schuld. Zynischer kann man es nicht sagen. Die Bildungsstadträtin ist die Einzige, die uns Rede und Antwort steht. Ihr Rechtfertigungsversuch - ein sozialpolitischer Offenbarungseid.

Franziska Giffey (SPD)
Bezirksstadträtin für Bildung

“Wenn Sie sagen der Bezirk schöpft seine Möglichkeiten nicht aus, muss ich dazu sagen, dass wir die Möglichkeiten abwägen müssen. Und wenn sie 100 oder mehrere 100 Obdachlose hier draußen haben im Winter, dann ist das die Abwägung. Wir räumen, aber wir können sie nicht wirklich unterbringen. Und wenn wir sie unterbringen würden, dann würde es so viel kosten, dass wir es gar nicht aufbringen können.“

Was sie dabei anscheinend in Kauf nimmt: Die miserablen Wohnbedingungen grenzen die Zuwanderer immer weiter aus. Ghettobildung ist die Folge. Benjam Marx versteht nicht, warum der Bezirk seinem Beispiel nicht folgt.

Benjamin Marx
Aachener Siedlungs - und Wohnungsgesellschaft
"Was hier geschehen ist, ist schon ein gangbarer Weg, den auch andere übernehmen könnten, insbesondere städtische oder landeseigene Gesellschaften im ganzen Bundesgebiet. Die haben schon die Verantwortung, diese Menschen mit zu integrieren. Warum sollte eine Stadt eine Wohnungsbaugesellschaft haben, wenn sie .keinen sozialpolitischen Auftrag daraus erkennt?"

Diesen Auftrag nehmen der Bezirk und der Senat nicht wirklich wahr. Solange wird es bei den Vorurteilen bleiben: Hilfe, die Rumänen kommen!

 

Beitrag von Ute Barthel und Axel Svehla