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Die Amokläufe von Erfurt, Winnenden und zuletzt Lörrach schockierten die Öffentlichkeit. Bei jeder schrecklichen Bluttat wird der Ruf nach schärferen Waffengesetzen laut. Doch KONTRASTE zeigt auf, dass selbst das bestehende Recht von den Behörden mangelhaft kontrolliert wird. Auch die Täterin von Lörrach hätte keine Waffen besitzen dürfen.
Seit dem Amoklauf von Lörrach wird es wieder heftig diskutiert - das Thema Waffen in Privatbesitz und deren sichere Aufbewahrung. Fast reflexhaft wird nun wieder einmal eine Verschärfung des Waffenrechts gefordert. Dabei wurden die Gesetze bereits verschärft, jeweils nach den Amokläufen von Erfurt und Winnenden. Wir wollten wissen: Warum konnte das verschärfte Waffenrecht die Bluttat von Lörrach dennoch nicht verhindern? Reichen die Gesetze nicht aus? Detlef Schwarzer und Lars Winkelsdorf sind dieser Frage nachgegangen.
Lörrach. Vergangener Montag. Zwei Wochen nach dem Amoklauf. Immer noch Fassungslosigkeit, stilles Gedenken. Vor der Tür des Hauses der Amokschützin Sabine R. steht noch der Wagen ihres Ehemannes, den sie erschoss. Darin die Spielsachen ihres fünfjährigen Sohnes, den sie erstickte. Ihre Wohnung, die sie in Brand setzte, immer noch zerstört. Die Markierung der Blutflecken und Patronenhülsen noch auf dem Pflaster vor dem Elisabethenkrankenhaus. Dort tötete sie einen Pfleger. Die Pistole, die sie benutzte, hätte sie nach KONTRASTE-Recherchen gar nicht besitzen dürfen. Die Behörden haben es nicht gemerkt.
Sabine R. besaß vier Waffen – hatte sie gekauft, nachdem sie 1995 eine waffenrechtliche Erlaubnis erhalten hatte, weil sie aktives Mitglied eines Schützenvereins war. Damit konnte sie ein sogenanntes „Bedürfnis“ nachweisen, Waffen besitzen zu dürfen.
Aus dem Schützenverein ihres damaligen Wohnortes trat sie allerdings bereits 1998 aus, KONTRASTE liegt exklusiv der letztmalige Eintrag des Schützenverbands Nordbaden vor. Danach hätten ihre Waffen eigentlich eingezogen werden müssen. Doch geschehen ist nichts.
An ihrem neuen Wohnort Lörrach führte das zuständige Landratsamt sogar noch 2009 eine waffenrechtliche Überprüfung bei ihr durch, warum fiel den Kontrolleuren nichts auf?
Zwar wurden, wie vom Waffengesetz vorgeschrieben, Zuverlässigkeit und persönliche Eignung überprüft. Das Amt besorgte sich das Führungszeugnis. Und fragte Sabine R., ob sie einen Waffenschrank habe. Es gab keine Beanstandungen. Ob sie aber die Waffen, auch die Tatwaffe, überhaupt noch besitzen darf, die simple Frage also, ob sie noch dem Schießsport nachgeht, das sogenannte Bedürfnis hat, stellte das Amt aber nicht.
Völliges Unverständnis darüber selbst beim Deutschen Schützenbund.
Jürgen Kohlheim, Deutscher Schützenbund
„Wenn die Waffenbehörde in Lörrach 2009 Sabine R. auf Zuverlässigkeit und Eignung überprüft hat, so hätte es nahe gelegen, auch zugleich das Bedürfnis weiter zu überprüfen. Denn dann hätte man feststellen können, dass Frau R. seit 1998 keinerlei Kontakt mehr zum Schießsport gehabt hätte, und dann wäre die Waffenbesitzkarte zwingend zu widerrufen gewesen.“
Wären die Waffen eingezogen worden, hätte der Amoklauf von Lörrach wohl so nicht stattgefunden. Gibt es eine Mitschuld am Tod von vier Menschen? Das Landratsamt streitet das vehement ab und meint: Seit 2003 gibt es ein neues Waffengesetz. Und nur für Waffen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes angeschafft wurden, müsse das Bedürfnis mit überprüft werden. Sabine R. hatte ihre Waffe aber bereits 1995 gekauft, sei damit ein Altfall, bei dem es keine Bedürfnisprüfung geben musste.
Walter Holderried, Landratsamt Lörrach
„Vor 2003 war das Bedürfnis sozusagen nicht in der turnusgemäßen Wiederholungsprüfung drin, und deswegen wurde es nicht überprüft. Wir hatten auch keinerlei Kenntnis davon, dass Frau R. nicht mehr aktiv den Schießsport ausübt.“
KONTRASTE
„Aber nachgefragt, ob das so ist, haben Sie aber auch nicht?“
Walter Holderried, Landratsamt Lörrach
„Das Gesetz sieht es nicht vor!“
KONTRASTE
„Und damit ist es erledigt?“
(Kopfnicken).
Der renommierte Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza sieht das ganz anders und macht der Behörde schwere Vorwürfe. Denn das Waffengesetz regle auch den möglichen Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis. Wörtlich:
Zitat
„Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.“
Das Landratsamts hätte - so Pestalozza - selbst ermitteln müssen, ob alle Vorraussetzungen für die waffenrechtliche Erlaubnis von Sabine R. noch bestehen, also auch, ob das Bedürfnis des Waffenbesitzes noch vorhanden ist.
Prof. Christian Pestalozza, Staats- und Verwaltungsrechtler
„Ohne Ermittlungen geht es nicht. Also muss überprüft werden, ob Zuverlässigkeit, Eignung aber auch das Bedürfnis nach wie vor gegeben sind. Das sind Dauervoraussetzungen für die Erlaubnis. Die Erlaubnis ist ein Dauerverwaltungsakt. Und deswegen: Solange die Erlaubnis da ist, müssen auch die Voraussetzungen gegeben sein.“
Das Landratsamt legt das Gesetz anders aus: Es hätte nur Ermittlungen aufnehmen müssen, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Sabine R. vorgelegen hätten.
Walter Holderried, Landratsamt Lörrach
„Aber da brauchen Sie eben zuerst Kenntnis darüber, dass das ein oder andere nicht vorhanden ist. Und nachdem wir nicht in Kenntnis waren, dass das Bedürfnis von Frau R. nicht mehr da war, konnte man aufgrund dieser Basis auch nicht tätig werden.“
Ein grotesker Streit um die Auslegung des Waffengesetzes mit fatalen Folgen. Als Lehre aus Lörrach fordert der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach: das Gesetz so klar zu fassen, dass es jeder gleich versteht.
Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender Innenausschuss Bundestag
„Gerade der tragische Fall von Lörrach macht doch deutlich, dass wir klare gesetzliche Vorschriften brauchen, die auch bei den zuständigen Behörden konsequent angewandt werden. Es gibt Behörden, die hier relativ streng und konsequent prüfen, es gibt Behörden, die die Prüfungsmöglichkeit nicht besonders ernst nehmen. Und deswegen ist es ja wichtig, dass wir zu einem gleichmäßigen Vollzug der Verwaltungsvorschriften kommen.“
Sabine R. kein Einzelfall. Wir treffen Herbert Gemmrich. Er wurde gerade vom Landratsamt Waiblingen angeschrieben, ob er noch das Gewehr seines Vaters habe. Nur: Der Vater starb bereits vor zehn Jahren.
Herbert Gemmrich, Waffenbesitzer.
„Vor zehn Jahren ist der Vater gestorben, vor zwei Jahren die Mutter. Und in den ganzen zehn Jahren hat sich keine Behörde gemeldet wegen einer Prüfung oder sonst irgendetwas.“
Zehn Jahre lang wusste niemand, wo die Waffe war, Herbert Gemmrich musste sie erstmal suchen. Eigentlich sind in zehn Jahren mehrere Überprüfungen vorgeschrieben. Die Behörde erlaubte ihm nun, das Gewehr zu behalten, wenn er es funktionsunfähig macht. Überprüft hat sie das bisher nicht.
Oder Helmut K. in Berlin. Er zeigt uns sein Großkaliber-Gewehr, das er vor vier Jahren legal angeschafft hat. Er will nicht erkannt werden, fürchtet den Unmut der Waffenbehörde. Denn eine Kontrolle, ob er das Gewehr überhaupt noch besitzen darf, also ob er den Schießsport noch aktiv ausübt, hat es nie gegeben.
Helmut K., Waffenbesitzer
„Man hätte mich spätestens 2009 erneut überprüfen müssen, ob dieses Bedürfnis noch vorhanden ist. Das ist bisher nicht passiert.“
Nach dem Amoklauf von Lörrach wird wieder nach schärferen Gesetzen gerufen – dabei müssen die bestehenden nur klarer gefasst werden, und die Waffenbehörden das tun, wozu sie da sind: richtig kontrollieren.
Und dazu gehört auch, mal über die Ausbildung der Waffenkontrolleure nachzudenken: Unsere Autoren fanden Zeitungsanzeigen, in denen Behörden Waffenkontrolleure suchten – und zwar auf 400-Euro-Basis. Erforderliche Qualifikation: Keine!