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Wie sich die Lage in der arabischen Welt entwickeln wird, ist noch völlig offen. Viele haben Sorge, dass die Islamisten erstarken könnten und dass das dem Terror neuen Zulauf bringen könnte. Wie schwierig es ist, den Terror zu bekämpfen, zeigt uns der Afghanistankrieg - und damit schauen wir jetzt in eine andere Krisenregion der Welt. Die USA setzen hier im Hightech-Krieg gegen den Terror unter anderem eine spektakuläre, aber auch höchst umstrittene Methode ein: die gezielten Tötungen mit Hilfe von Drohnen, ferngesteuerter Fluggeräte. Ein Verdacht reicht aus, um mutmaßliche Terroristen per Beschuss hinzurichten, ohne Festnahme, ohne Gerichtsverfahren. Und die deutsche Politik schweigt dazu – bisher, denn jetzt ist erstmals auch ein Deutscher durch eine US-Drohne getötet worden.
Der Deutsch-Türke Bünyamin E. war erst 20 Jahre alt, als er am 4. Oktober in Pakistan getötet wurde. Landwirt Friedrich Bleckmann und seine Frau Liliane kannten Bünyamin sehr gut. Was sie kurz nach dessen Tod lesen, können sie kaum fassen.
Friedrich Bleckmann, Landwirt
„Wir waren sehr betroffen und wir haben um ihn sehr getrauert, und er war diese Trauer wert. Das muss man ehrlich sagen."
Auf dem Hof von Bleckmann hatte Bünyamin E. oft geholfen, er war bekannt als netter, zurückhaltender, hilfsbereiter Junge, wohlerzogen. Doch im Juli 2010 folgte Bünyamin seinem Bruder in das pakistanisch-afghanische Grenzgebiet und soll dort in Terrorcamps ausgebildet worden sein. Und: Anschlagsplanungen unterstützt haben.
Am 4. Oktober traf ihn und andere Terrorverdächtige beim Gebet der leise Tod, eine Rakete, abgefeuert von einer amerikanischen Drohne. Immer mehr dieser ferngelenkten Waffen werden von den Amerikanern eingesetzt, um die eigenen Truppen zu schonen. Gesteuert 12.000 Kilometer weit entfernt aus den USA - praktisch wie ein Videospiel, nur dass die Toten echt sind. Die Drohnen sollen mutmaßliche Terroristen treffen, getötet werden aber auch unbeteiligte Zivilisten.
Landwirt Bleckmann hat Zweifel, ob Bünyamin wirklich ein Terrorist war. Bünyamins Familie schweigt seit dessen Tod.
Friedrich Bleckmann, Landwirt
„Wo ist da das Recht, welches Verbrechen hat er begangen, dass er daran sterben musste? Wenn man die deutschen Gesetze als Maßstab nimmt, sehe ich da nicht, wo er schuldig wurde, schon gar nicht mit Todesstrafe."
Bünyamin war Deutscher, genießt deshalb den Schutz des deutschen Staates. Doch er wurde getötet von Amerikanern, ohne Ankündigung, ohne Nachweis irgendeiner Schuld, ohne Gerichtsverfahren.
Wenn ein Deutscher getötet wird, muss die deutsche Staatsanwaltschaft ermitteln, gegebenenfalls den Schuldigen anklagen. Das meint Wolfgang Neskovic, ehemaliger Bundesrichter und Bundestagsabgeordneter der Linken. Bünyamin sei ein Zivilist unter Terrorverdacht gewesen, der Anspruch auf ein faires Verfahren hatte.
Wolfgang Neskovic (Die Linke), MdB
„Nach deutschem Recht ist ein Terrorist ein Straftäter. Und er muss wie ein Straftäter behandelt werden, man muss versuchen ihn festzunehmen und dann muss im Gerichtssaal geklärt werden, ob er wirklich ein Straftäter ist, ob es auch nur einen solchen Verdacht gibt. Und dann steht am Ende ein Urteil, das Urteil ist mit Sicherheit kein Todesurteil. Denn in deutschen Gerichtssälen ist der Tod nicht zu Hause, wir haben die Todesstrafe abgeschafft. Das ist die Grundlage im Grundgesetz und deswegen kann jemand nur als Terrorist vor Gericht verurteilt werden, aber nicht ermordet werden.“
So sehen das auch Politiker der CDU, wie der Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses, Siegfried Kauder: Bünyamin hätte nach dem Völkerstrafrecht Anspruch auf ein streng rechtstaatliches Verfahren gehabt.
Siegfried Kauder (CDU), MdB
„Völkerstrafrecht fordert, dass man ein geordnetes Verfahren durchführt. Nicht eine finale Lösung einfach herbeiführen, nur weil man es für zweckmäßig hält."
Der Staatsrechtler Otto Depenheuer widerspricht heftig, stellt sich auf die Seite der Amerikaner und rechtfertigt ihre Drohnenangriffe. Die deutschen Politiker müssten der Bevölkerung endlich reinen Wein einschenken, Deutschland befände sich im Krieg gegen Terroristen und Taliban an der Seite der Amerikaner. Bünyamin sei ein regulärer Kämpfer gewesen, der getötet werden darf.
Prof. Otto Depenheuer, Universität Köln
„Wenn man das ernst nehmen würde, dass wir im Krieg sind, dann ändert sich der gesamte terminologische und juristische Bezugsrahmen. Dadurch ist nämlich klar, dass in einem Krieg man gegen Feinde kämpft. Dann ist auch klar, dass man gegebenenfalls in feindlichen Kampfhandlungen tötet und dann hat eine Staatanwaltschaft nichts mit deutschen Strafgesetzbuch zu tun, sondern dann sind wir im Rahmen des Kriegsvölkerrechtes.“
Das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ist das Rückzugsgebiet von Al Kaida und der Taliban, hier befinden sich ihre Ausbildungslager. Von hier aus machen sich die Gotteskrieger auf in den Westen, um Anschläge zu verüben. Wer sich hier aufhalte, müsse damit rechnen bekämpft zu werden, meint Depenheuer.
Prof. Otto Depenheuer, Universität Köln
„Wer in diesen Zeiten nach Waziristan fährt, um sich ausbilden zu lassen oder seine Gebete zu verrichten, der kann sich nicht im Unklaren darüber sein, wie von anderer Seite diese Tatsache gewertet wird... Der geht ein erhebliches Risiko ein, als Feind qualifiziert zu werden."
Kriegsrecht in Pakistan . Das wollen die Politiker nicht akzeptieren. Pakistan sei nicht Afghanistan. Es gebe kein Mandat der UN oder von Pakistan selbst, dort einzugreifen, auch ist Pakistan kein Kriegsgegner. Deshalb hätte Benyamin nicht willkürlich getötet werden dürfen.
Siegfried Kauder (CDU), MdB
„Das kann ja wohl nicht sein. Das wir sagen, einer wird deshalb aus dem Schutz des deutschen Staates entlassen, weil er sich in Gefahr begibt. Deswegen haben wir trotzdem eine Fürsorgepflicht ihm gegenüber. Deswegen muss das Recht trotzdem eingehalten werden, deswegen kann ich nicht sagen: ‚Du bist Freiwild.‘“
Die Politiker pochen auf die Einhaltung des Völkerrechts. Es dürfe nicht sein, dass die Amerikaner einseitig festlegen, wo Kriegsgebiet sei und dort die Regeln des Strafrechts außer Kraft setzen.
Wolfgang Neskovic (Die Linke), MdB
„Dort leben Menschen, dort leben Zivilisten, das weiß jeder. Und da kann man nicht einfach sagen, das ist für mich ein Kampfgebiet und da töte ich, so wie ich es will. Das ist eben alttestamentarische Willkür, das hat mit Recht nichts zu tun. Das Recht ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die verteidigt werden muss, weil wir uns da vor Willkür schützen. Hier wird hinter verschlossenen Türen über Leben und Tod eines Menschen entschieden. Ohne das feststeht, ob dieser Mensch überhaupt schuldig ist.“
Otto Depenheuer findet es völlig abwegig, die Probleme des Terrorismus in Pakistan mit dem deutschen Strafgesetzbuch lösen zu wollen. Die Politiker müssten endlich zu ihrer Verantwortung als Bündnispartner der USA stehen und zu den Opfern, die der Kampf gegen den Terrorismus fordert.
Prof. Otto Depenheuer, Universität Köln
„Wir sind in einem Koalitionskrieg, doch in Afghanistan. Und da die Frontstellen sowieso nicht an Landesgrenzen halt machen, muss die Bundesregierung auch dafür einstehen, dass so etwas passieren kann und dafür die Verantwortung übernehmen. Sich dann feige wegzudrücken ist keine moralisch gute Position und langfristig auch nicht durchzuhalten.“
Die deutsche Politik steckt in einem Dilemma, einerseits beteuert sie die Bündnistreue zu Amerika im Kampf gegen den Terrorismus, anderseits bezeichnet sie die Drohnenangriffe als unrechtmäßig. Die Konsequenzen des Deutschen Strafrechts traut sich aber kaum einer zu Ende zu denken. Danach müssten die Schuldigen an Bünyamins Tod vor ein deutsches Gericht gestellt werden, womöglich letztendlich auch der Verantwortliche für den amerikanischen Drohneneinsatz - Barak Obama - wohl eine absurde Vorstellung.
In dieser Konsequenz wagt das sicher kein deutscher Politiker zu Ende zu denken. Dennoch: Unser Beitrag hat‘s gezeigt: Eine öffentliche Diskussion über die Rechtmäßigkeit von gezielten Tötungen ist dringend nötig.