-
Der Görlitzer Park ist der wohl größte Drogenhandelsplatz Deutschlands. Seit Monaten schieben sich Innensenator, Polizei und die grüne Stadtbezirksbürgermeisterin Hermann den schwarzen Peter zu. Niemand übernimmt die Verantwortung für den florierenden Handel, mit Cannabis, LSD oder Kokain. Ein politischer Streit auf Kosten von Kindern, Anwohnern und Gewerbetreibenden. Kann jetzt eine Task Force für Frieden sorgen?
Drogenhandel , Messerstechereien, Polizeirazzien, Eltern, die sich mit ihren Kindern nicht mehr auf den Spielplatz trauen - so sieht der Alltag im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg aus, der wohl größte Umschlagplatz für harte Drogen bundesweit. Seit langem ist das Problem bekannt. Doch weder der Bezirk, noch der Senat sind in Lage, die Situation in den Griff zu bekommen. Ein Polizist, der nicht erkannt werden will, schildert uns die eigene Hilflosigkeit:
Polizist
„Das ist ein rechtsfreier Raum.... in gewisser Weise haben wir kapituliert. Die werden eher als Flüchtlinge, als als Straftäter angesehen ... "
Ein rechtsfreier Raum, mitten in der Hauptstadt? Unglaublich. Andrea Everwien, Alexander Budweg und Markus Frenzel zeigen, wie es dazu kommen konnte.
Der Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg: wohl der größte Drogenhandelsplatz Deutschlands. Wer dafür die Verantwortung trägt, darüber streiten seit Monaten Berlins Innensenator Henkel, CDU, und Monika Herrmann, Grüne Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg.
DIE BÜRGERMEISTERIN
Im Frühsommer: der erste laute Schrei um Hilfe. Eltern haben Angst um ihre Kinder. Nicht mal im Sandkasten sind die Kleinen sicher vor Drogen. Direkt nebenan wechseln Cannabis, Heroin und Kokain den Besitzer.
Eine Mutter erzählt, wie schlimm die Lage ist – aus Furcht vor Dealern will sie nicht erkannt werden.
Mutter
„Die Drogen werden massiv auf den Kinderspielplätzen versteckt, im Sand zum Beispiel. Oder in den Büschen. Was muss passieren, dass sich da was ändert? Muss passieren, dass ein Kind so ein Koks-Päckchen runterschluckt und direkt auf dem Spielplatz verstirbt?“
Mit versteckter Kamera laufen wir die Wege um den Spielplatz ab. Ständig werden wir angesprochen, ob wir Marihuana wollen. LSD, Crystal Meth und Heroin gibt es auf Nachfrage. Nur ein paar Minuten, schon drücken uns Dealer ein Päckchen in die Hand.
Überall im Park haben sie sogenannte Bunker angelegt, Drogenlager – sogar auf dem Spielplatz. Schon im April finden Vierjährige mehrere Kokainbällchen im Sand, öffnen sie und spielen damit. Bei der verantwortlichen Kita-Leiterin sitzt der Schock tief. Wie die Mutter hat sie Angst vor den Dealern und will nicht erkannt werden.
Kita-Leiterin
„Die Gefahr wäre gewesen, dass sie das Ganze probiert und gegessen hätten. Ich weiß nicht, wie die Wirkung gewesen wäre, aber mit Sicherheit, wenn nicht tödlich, dann zumindest so, dass die Kinder im Krankenhaus gelandet wären.“
Ein Kind versteckt ein Kokain-Bällchen mehrere Tage in seinem Kindergarten-Fach.
Ein anderes trägt zwei Kokain-Kugeln über eine Woche in der Hosentasche mit sich herum. Seitdem lässt die Leiterin die Kinder nicht mehr in den Görlitzer Park.
Schon damals, vor Monaten also, kritisieren Drogenermittler: die Kreuzberger Bezirkspolitik unterstützt die Arbeit der Polizei nicht, obwohl sie es könnte. Ein Polizist, der unerkannt bleiben muss.
Polizist
„Die Polizei hat verschiedenste Vorschläge gemacht, um einige Umgestaltung des Parks vorzunehmen, um einige Eingänge zu schließen oder einfach nur ein paar Hecken zurück zu schneiden. All das hat das Bezirksamt nicht getan.“
Obwohl alle wussten, dass der verwachsene Park den Drogendealern unzählige Rückzugsorte bietet, geschah lange Zeit - nichts. Hecken und Büsche wucherten weiter. Die Erklärung der Bürgermeisterin:
Monika Hermann (Bündnis 90/Die Grünen)
Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg
„Naja, die müssen immer auf irgendwelche Vegetationszeiten warten. Das war aber auch klar und das war auch mit der Polizei verabredet.“
Offenbar wurde hier der Naturschutz wichtiger genommen als der Schutz vor Drogen. Für die Gewerkschaft der Polizei ist das nicht zu fassen.
Silvia Brinkhus
Gewerkschaft der Polizei, Berlin
„Ja, dann würde ich sagen, wird das nie was, man muss dann vielleicht auch mal sagen: ok, wir drücken da ein Auge zu, wir müssen mal die Sicherheit der Bürger vor unsere Vorschriften stellen.“
KONTRASTE
„Sie haben alles getan, was Sie tun konnten?“
Monika Hermann (Bündnis 90/Die Grünen)
Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg
„Vielleicht, vielleicht nicht – das kann ich Ihnen so genau nicht sagen. Wir haben das mit dem Park angefangen, das könnte schneller gehen, da gebe ich Ihnen recht, das könnte schneller gehen, das teile ich – mir geht das auch nicht schnell genug.“
Ein Eingeständnis - immerhin.
Doch: Herrmann gibt den Schwarzen Peter gleich weiter - an den obersten Chef der Polizei.
DER INNENSENATOR
Monatelang, sagt die Bezirksbürgermeisterin, habe sie immer wieder um mehr Polizeibeamte für den Görlitzer Park gebeten – aber vergeblich.
Monika Hermann (Bündnis 90/Die Grünen)
Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg
„Ich hatte darum gebeten, dass wir stärkere Polizeipräsenz haben an den Eingängen, also an den großen Eingängen, wo das Hauptgeschäft läuft. …Allerdings konnte die örtliche Polizei das von der Personalkapazität nicht leisten.“
Zuwenig Beamte für die Verfolgung von Drogenkriminalität? Der Polizeisprecher will sich darauf nicht einlassen. Man habe die Anzahl der Einsätze gesteigert, sei sogar mehrmals täglich im Park gewesen.
Stefan Redlich
Polizei Berlin
„2013 waren wir 130mal im Park unterwegs und bis Oktober 2014 waren wir schon über 350 in Einsätzen und Razzien dort. Ich denke, dass zeigt, wie ernst wir das Problem dort nehmen.“
Allerdings: erst in den letzten 10 Tagen kam es zu täglichen, massiven Razzien – nachdem der Betreiber einer Bar in der Nähe des Parks zur Selbstjustiz und zum Messer griff, um sich gegen Dealer zu verteidigen. Rund 70 Mal hatte er zuvor die Polizei um Hilfe gebeten – doch die zeigte sich machtlos.
Weil es nicht genügend Polizisten gibt, um den Drogenhandel aufklären und nachhaltig zu verhindern, sagt die Gewerkschaft der Polizei. So würden etwa gerade Fahnder in Zivil immer wieder von heut auf morgen von ihrer Aufgabe abgezogen, weil sie woanders dringend benötigt würden.
Silvia Brinkhus
Gewerkschaft der Polizei, Berlin
„Ihre Arbeit, die wird unterbrochen, indem sie plötzlich einen anderen Auftrag erhalten, zum Beispiel, wenn gleich nebenan eine Demonstration stattfindet. Das ist der Personalnot geschuldet. Die Forderung geht an den Senat, da müssen mehr Polizisten eingestellt werden, koste es was es wolle."
Montag: Sitzung des Berliner Innenausschusses. Der Polizeipräsident macht sich die Forderung nach mehr Personal zu Eigen. Doch der Innensenator verweist darauf, dass er schon 250 neue Stellen beim Finanzsenator durchgesetzt habe. Mehr ist offenbar nicht drin. Stattdessen will Henkel jetzt andere Ordnungsbehörden aktivieren. Er gibt die Karte an:
JUSTIZ UND AUSLÄNDERBEHÖRDE
Stefan Redlich
Polizei Berlin
„Ich denke, wir habe uns stark auf die völlige Ausschöpfung der polizeilichen Möglichkeiten konzentriert und was wir jetzt machen müssen, ist, noch die anderen Behörden, die vielleicht einen Schlüssel für die Lösung unserer Probleme in der Hand halten, die mit ins Boot zu holen.“
Vor zwei Tagen gründet der Innensenator einen neuen Arbeitskreis - die sogenannte „Task Force Görlitzer Park“
Nun soll der Justizsenator den Schwarzen Peter übernehmen – und für die konsequentere Strafverfolgung sorgen. Ohne mehr Polizei im Park dürfte ihm das aber schwer fallen. Denn nur, wenn Ermittler nachweisen, dass die Dealer handeln, Drogen gegen Geld abgeben, kann ein Richter sie verurteilen. Die Task Force – politisches Muskelspiel, wenig Kraft dahinter.Und ein Problem kann keine Task Force lösen:
DER KIEZ
Noch einmal der anonyme Ermittler.
Polizist
„Natürlich ist ein Einschreiten der Polizei gegen einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Kreuzberg insofern schon per se rassistisch. Die Unterstützerszene sagt ganz klar, unsere Ausländergesetzgebung, unser Asylsystem ist rassistisch. Und natürlich ist auch ein Einschreiten gegen einen Schwarzafrikaner – so berechtigt das auch sein mag, grundsätzlich rassistisch.“
Wer sich gegen farbige Drogenhändler wehrt, gerät in Kreuzberg schnell in den Verdacht, Rassist zu sein. So erging es dem Gastwirt Günther Liesert.
Durch sein Schaufenster beobachtete er im Frühjahr, wie zwei Farbige Drogen an Schuljungen verkaufen wollten. Der Gastwirt: schockiert.
Günther Liesert
Gastwirt
„Wenn Erwachsene sich so etwas kaufen, ist es deren Sache. Soll jeder machen, was er will. Dafür sind es Erwachsene. Aber wenn das Schulkinder sind, oder noch kleinere sind, was ich ja auch schon gesehen habe.“
Liesert war wütend und erteilte den Drogendealern Hausverbot. Es folgte ein Aufschrei der Empörung – eine Demo vor der Kneipe – und der Wirt wurde als Rassist beschimpft, irgendjemand hat sogar die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung aktiviert.
Dabei hat Günther Liesert nichts gegen Schwarze, aber viel gegen schwarze Drogendealer. Dieser feine Unterschied interessierte hier offenbar aber niemanden. Eine Haltung im Kiez, die auch viele Polizisten frustriert.
Sie verstehen nicht, warum sich ein Stadtteil viel mehr für das Schicksal von Drogendealern interessiert, als für die Sicherheit der Kinder.
Polizist
„Ich als Polizeibeamter und Berliner sehe das als ganz große Schande und als Kapitulation der Bezirkspolitik. Man fragt sich, warum soll man überhaupt noch in Kreuzberg zu einem Einsatz fahren.“
Dass sich jetzt endlich etwas ändert, daran glaubt übrigens nicht einmal der Berliner Innensenator. Trotz Task Force müsse man jetzt einen "langen Atem haben". Er ist ja auch nicht Anwohner des Parks.
Beitrag von Andrea Everwien, Alexander Budweg und Markus Frenzel