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Wer sorgt für die Sicherheit der Bürger? Eigentlich die Polizei! Doch in vielen Bundesländern wurde in den letzten Jahren Personalabbau betrieben. Die Folge: immer weniger Reviere, immer weniger Polizisten auf der Straße. Viele Bürger fühlen sich nicht mehr sicher und schreiten selbst zur Tat: mal als Verbündete der Polizei in sogenannten Sicherheitspartnerschaften, oft aber auch als selbsternannte "Bürgerwehren".
Wer sorgt in unserem Staat für die Sicherheit der Bürger? Natürlich die Polizei, sagen Sie. Doch so selbstverständlich ist das gar nicht: Denn die Polizei spart: Da werden Wachen einfach geschlossen, Polizeibeamte aus der Fläche abgezogen - und manchmal fehlen sogar Dienstfahrzeuge. Dass in vielen Städten Bürger deswegen inzwischen selbst Patrouille laufen - ist nichts Ungewöhnliches mehr. Wie sieht es aus, wenn Bürger die Polizei ersetzen und welche Gefahren birgt es? Caroline Walter, André Kartschall und Christoph Rosenthal.
Mit Nachtsichtgerät auf Verbrecherjagd – Herr R. hat gerade seinen Posten bezogen.
Herr R.
Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
„Wir schauen, ob wir fremde Kennzeichen sehen, Kennzeichen, die uns aus anderen Nächten bekannt vorkommen.“
Wir treffen einen zweiten Wachposten - mit Taschenlampe und Funkgerät. Seinen Feierabend verbringt er mit Ausschau halten – stundenlang.
Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
„Normalerweise ist es traurig, dass überhaupt Bürger rausgehen müssen und ihr Hab und Gut beschützen und auch andere Bürger beschützen.“
Es sind keine Polizisten, die hier Streife fahren, sondern Bürger der Gemeinde Bleyen-Genschmar. Ihre Dörfer in der Grenzregion von Brandenburg zu Polen sind ständig im Visier von Kriminellen. Einbrüche gehören zum Alltag, genau wie die Angst.
Detlef Schneider ist einer der Betroffenen. Der Fischereihofbesitzer wurde schon 27 mal bestohlen – trotz teurer Sicherheitstechnik.
Detlef Schneider
„Was alles gestohlen worden ist – sind Boote, das sind Außenbordmotoren, die wir zur täglichen Arbeit brauchen. Und so ein Außenborder, wie Sie wissen, das sind alleine 4000 bis 5.000 Euro.“
Der Schaden liegt mittlerweile schon bei rund 30.000 Euro. Die Versicherung hat ihm längst gekündigt.
Detlef Schneider
„Wenn ich sehe, dass bei einem Fußballspiel die Hooligans mit Tausenden Polizisten bewacht werden, und hier an der Grenze haben sie nicht einen Mann übrig. Was soll ich denn dazu sagen? Wir dürfen richtig beklaut werden oder was?“
Aus Verzweiflung wechseln sich seit Monaten 15 Bürger bei der Nachtwache ab. Sie machen es ehrenamtlich – als sogenannte Sicherheitspartner der Polizei.
Herr R.
Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
„Wir haben von der Polizei in einer Feierstunde unsere Dienstausweise bekommen, eine laminierte Karte. Dann haben wir, ja, die besten Wünsche mit auf den Weg bekommen und das war‘s dann eigentlich auch gewesen.“
Als Sicherheitspartner dürfen sie nichts zum Selbstschutz wie Reizgas mitführen. Obwohl sie zum Teil organisierten Banden gegenüberstehen. Erst vor kurzem wurde einer von ihnen bedroht. Ein Auto versuchte mehrmals, ihn von der Straße zu drängen.
Sicherheitspartner: ein schönes Wort für Ehrenamtliche, die hier faktisch den Job der Polizei erledigen müssen. Sie fühlen sich allein gelassen.
KONTRASTE
„Wie lange wollen Sie das noch durchhalten?“
Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
„Das fragen wir uns selber. Wie lange das noch gehen soll, bis die Politik endlich mal sagt: Halt, jetzt ist Stopp, wir können uns das jetzt nicht mehr länger angucken, was die Leute da draußen machen.“
Schuld daran: Personalabbau bei der Polizei. Hier in Brandenburg dauert es manchmal bis zu einer Stunde, bis ein Streifenwagen kommt. Präsenz der Staatsgewalt oft Fehlanzeige. Viele Bürger fühlen sich deshalb nicht mehr von der Polizei beschützt - ein bundesweites Phänomen.
Zum Beispiel hier in Radevormwald, Nordrhein-Westfalen: Nach einer Einbruchsserie versuchten die Einwohner auf eigene Faust, die Verbrecher zu verjagen. Mit einfachsten Mitteln.
Bürgerstreife Radevormwald
„Wir haben also diese Trillerpfeiffen dabei und wenn die jemand hört, dann ist er erschreckt und läuft natürlich auch weg.“
Und auch im badischen Tiefenbronn hatten die Bürger nach vielen Einbrüchen die Nase voll. Die Polizeiwache ist abends und am Wochenende geschlossen.
Anwohnerin
„Wenn man dann hört, dass, wenn man anruft, dass es halt eine dreiviertel Stunde dauert, das geht eigentlich gar nicht. Also da fühlt man sich ja dann nicht wirklich beschützt.“
Die Anwohner sammelten deshalb Geld, um einen privaten Sicherheitsdienst zu bezahlen, der auf Streife geht.
Einwohner
„Also ich hab durchaus den Eindruck, dass wir Polzei schon auch mit unseren Steuermitteln bezahlen, dass auf der anderen Seite aber irgendwie zu wenig da ist, um sich für die Sicherheit der Bürger zu kümmern.“
In vielen Bundesländern gab es Polizeireformen, bei denen es vor allem um‘s Sparen ging – am Personal. Doch das rächt sich jetzt – beklagt die Gewerkschaft der Polizei.
Jörg Radek
Gewerkschaft der Polizei
„Man muss sehen, dass man in den letzten Jahren drastisch das Personal reduziert hat in der Polizei, und gleichzeitig diesem reduziertem Personal mehr Aufgaben aufgedrückt hat – Aufgaben von der Aufnahme von Bagatellunfällen bis hin zur Terrorismusbekämpfung. Und dieses Spektrum muss eine älter werdende und weniger werdende Polizei leisten.“
Und manchmal behindert sogar eine Polizeireform die andere. Wie zum Beispiel in Sachsen.
Jörg Radek
Gewerkschaft der Polizei
„Man hat dort eine Polizeireform durchgeführt mit dem Hinweis, für die Grenzkriminalität ist die Bundespolizei zuständig. Die Bundespolizei hat ihre Behörden reformiert mit dem Hinweis, für die Einbruchskriminalität sind wir nicht zuständig. Und damit entsteht ein Loch im Sicherheitsnetz, das dann dem Bürger zur Last wird.“
Das Sicherheitsgefühl des Bürgers schwindet. Und das hat auch zur Folge, dass Bürger das Recht in die eigene Hand nehmen wollen. Bundesweit entstehen immer mehr Bürgerwehren, in denen sich extreme Stimmungen ausbreiten. Da wird schon mal die Todesstrafe für Kinderschänder gefordert. Oder über Ausländer als „Kanaken“ schwadroniert – samt Gewaltphantasien, Zitat:
„wenn ich entscheiden dürfte, zum abknallen.“
Auch in Rostock hat sich eine private Bürgerwehr zusammengefunden. Der Anlass: in diesem Viertel soll ein Mann Kinder angesprochen haben, und wollte den Weg zur Sparkasse wissen. Für die Eltern war schnell klar: ein Kinderschänder ist unterwegs und die Polizei tut nichts. Über Facebook wurde sofort eine Bürgerwehr ins Leben gerufen, die Hunderte Mitglieder fand. Wir besuchen den Gründer, wollen mehr über seine Motive erfahren.
Maik Eggert
Bürgerwehr Rostock
„Diese Gruppe wurde gegründet, wahrscheinlich nur aus Frust, aus Frust auf die Polizei, weil sie sich eine halbe Stunde Zeit gelassen hat. Und dass das zum Selbstläufer geworden ist, mit den 800 Leuten, ok.“
Einige von ihnen laufen Streife durchs Viertel. Es wurde auch schon ein angeblicher Exhibitionist und Vergewaltiger gesucht. Am Ende stellte sich heraus, dass eine Frau die ganze Geschichte nur erfunden hat.
KONTRASTE
„Können Sie garantieren, dass da keiner ausrastet, überreagiert?“
Maik Eggert
Bürgerwehr Rostock
„Das kann ich nicht, das kann ich nicht.“
KONTRASTE
„Bürgerwehr kann schnell eine Eigendynamik bekommen?“
Maik Eggert
Bürgerwehr Rostock
„Kann es sicherlich. Da ist man nicht geschützt vor.“
In der Rostocker Bürgerwehr, die sich über Facebook organisiert, finden wir Mitglieder mit eindeutiger Gesinnung: dieser verehrt Rudolf Hess und fordert Deutschland den Deutschen. Nicht der einzige Rechtsextreme in der Gruppe. Er hier findet NPD-Politiker und Holocaustleugner sympathisch.
KONTRASTE
„Sie haben sie als Mitglieder, die Neonazis oder Hooligans, und distanzieren Sich ja nicht davon.“
Maik Eggert
Bürgerwehr Rostock
„Ich habe mit denen auch noch nie Kontakt gehabt. Ich weiß nicht, ob die auch losgehen oder ob die einfach nur da wegen der Neugier drinne sind, ich weiß es nicht. Warum soll ich die rausschmeißen?“
Er will für die Folgen seiner Aufrufe keine Verantwortung übernehmen.
Wie so ein Treiben enden kann - zeigt ein Beispiel aus Bayern. In Würzburg fühlte sich diese Bürgerwehr namens „Lupus“ zur Ordnungsmacht berufen. Der „Anführer“ präsentierte stolz, was die Gruppe bei sich trägt. Die selbst ernannten Ordnungshüter wurden aber selbst zur Gefahr.
Demnächst stehen sie unter anderem wegen Nötigung vor Gericht. Trotzdem macht „Lupus“ weiter.
Jörg Radek
Gewerkschaft der Polizei
„Bedenklich ist an einer Bürgerwehr, dass sie unkontrolliert agiert, dass sie aus dem Bauch heraus, impulsiv agiert, und deswegen ist auch eine Bürgerwehr abzulehnen, weil es sehr schnell dazu führen kann, dass Unschuldige verfolgt werden.“
Zurück in der Grenzregion Brandenburgs: Das, was diese Frauen hier machen, hat mit Bürgerwehr spielen nichts zu tun. Sie handeln aus der Not heraus – weil es hier an Polizeipräsenz mangelt. Die Frauen halten Wache, starren die ganze Nacht auf die Lichter an der Eisenbahnbrücke gegenüber. Über diese kommen die Diebe meist ins Dorf.
KONTRASTE
„Ist das nicht absurd, jetzt nachts freitags, wo man lieber vor dem Fernseher hockt, stehen sie hier und gucken auf einen weißen Punkt?“
Sicherheitspartnerin Bleyen-Genschmar
„Ja, aber was soll man machen, wenn die Hilfe von anderer Seite nicht gewährleistet ist, müssen wir es irgendwo machen. Wir hoffen natürlich, dass es auf der anderen Ebene wieder verbessert wird, damit wir irgendwann mal wieder Familie sein können, und unsere Freizeit wieder haben.“
Bürger, die ihre eigenen Dörfer bewachen müssen – ein unhaltbarer Zustand. Brandenburgs Innenminister ist gerade im Wahlkampf. Wir konfrontieren ihn mit der Notlage vieler Gemeinden. Er spielt sie herunter.
KONTRASTE
„Ist es denn Sinn der Sache, dass die Leute selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen?“
Ralf Holzschuher (SPD)
Innenminister Brandenburg
„Das müssen sie nicht, es gibt keine Not. Die Sicherheit ist auch in der Grenzregion gewährleistet und da wo es Probleme gibt, wie aktuell in einigen Städten in der Grenzregion, da ist die Polizei dabei, lageabhängig zu reagieren und die Kräfte zu verstärken.“
Bisher sind es aber eher die Bürger, die lageabhängig reagieren. Nacht für Nacht.
Und das kann gefährlich werden, wenn es am Ende zu einem Vertrauensverlust insgesamt gegenüber der Polizei, den Behörden, der Justiz führt. Denn Zustände wie in den USA, wo an manchen Orten bewaffnete "Neighbourhood- Watches" für Recht und Ordnung sorgen, wollen wir hier ganz sicher nicht haben.
Beitrag von Caroline Walter, André Kartschall und Christoph Rosenthal