Familiennachzug für Flüchtlinge -
Zwei Frauen und ihre Kinder - im Juni haben wir sie in Erbil im Nordirak getroffen. Monatelang versuchten sie, einen Termin beim deutschen Konsulat zu bekommen. Die Frauen und Kinder hatten im Rahmen des Familiennachzugs das Recht nach Deutschland zu reisen. Was ihnen fehlte, waren die Visa. Weil das Konsulat in Erbil schon seit Monaten keine Visa für den Familiennachzug mehr bearbeitet, haben sich die Frauen mit den Kindern auf eine gefährliche Flucht gemacht, vom Nordirak bis nach Europa. "Es war die Hölle", berichten die Frauen. Die Familien mussten sich dafür hoch verschulden - weil das Auswärtige Amt nicht in der Lage ist, die Situation an den Botschaften zu verbessern.
Anmoderation: Schlepper verdienen Milliarden mit der Not der Flüchtlinge. Ein dreckiges Geschäft. Lautstark hat die Bundesregierung deshalb Schleuserbanden den Kampf angesagt. Doch ist es der Politik wirklich ernst? Die Recherchen meiner Kollegen Caroline Walter und Christoph Rosenthal vermitteln den gegenteiligen Eindruck: Im Juni hatten wir am Beispiel einer syrischen Familie berichtet, wie das Auswärtige Amt es vielen Familien quasi unmöglich macht, auf legalem Weg nach Deutschland zu kommen. Jetzt, ein halbes Jahr später, IST die Familie in Deutschland - aber nur mithilfe illegaler Schlepperbanden ...
14 Monate hat der Syrer Loay Omar seine kleine Tochter nicht gesehen. Für sie ist er ein Fremder. Seine Ehefrau und seine Mutter waren mit ihren Kindern fast zwei Monate unterwegs - allein auf der Flucht vom Nordirak bis nach Deutschland.
Harbia
"Wir hatten große Angst. Wir haben die ganze Zeit geweint. Wir haben die Hölle durchgemacht."
Was war passiert?
Im Juni trafen wir Vater und Sohn Omar in Kiel. Beide waren als syrische Flüchtlinge in Deutschland anerkannt. Beide hatten die Genehmigung von den Behörden, ihre Familien nachzuholen. Sie waren alleine geflüchtet, um Frauen und Kinder nicht in Gefahr zu bringen. Doch es kam alles anders:
Neun Monate saßen die Frauen mit den Kindern im Nordirak fest. Kontraste hatte sie in Erbil ausfindig gemacht. Ihre Lage war dramatisch - krank, ohne Geld und mitten im Krisengebiet.
Wir haben sie auch zum deutschen Konsulat begleitet, wo sie immer wieder abgewiesen wurden - und keinen Termin für ihre Visa bekamen. Das Konsulat stellt zwar Visa für Geschäftsreisende aus, aber keine für die Familienzusammenführung. Die Frauen waren am Rand der Verzweiflung.
Schrihan
"Ich kann die Verantwortung für die vier Kinder nicht mehr alleine tragen. Ich schaff das einfach nicht mehr."
Kontraste konfrontierte damals das Auswärtige Amt mit der Situation in Erbil – die Antwort: das Konsulat verfüge nur über eingeschränkte räumliche und personelle Kapazitäten. Außenminister Steinmeier flüchtete sich in Allgemeinplätze.
Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesaußenminister
"Wir sind von Anfang an bemüht, die humanitäre Lage der Flüchtlinge in der Region zu verbessern."
Doch passiert ist seitdem offenbar viel zu wenig. Im November erhalten wir einen Anruf. Die Frauen hätten Erbil verlassen – sie seien seit Wochen auf der Flucht. Heute erzählen sie, wie es dazu kam.
O-Ton Harbia
"Sie haben uns einfach kein Visum gegeben, keinen Termin am Konsulat. Neun Monate waren wir in Erbil. Was sollten wir machen? Wir hatten keine andere Wahl mehr - als zu gehen. Wir haben gesagt, entweder wir retten uns selber, oder wir gehen unter."
Ihre einzige Chance auf Rettung sind Schleuser. Diese bringen sie in Richtung Türkei. Sie müssen mit den Kindern drei Tage durch das Kandil-Gebirge laufen – um illegal über die Grenze zu kommen. Die Schwiegermutter hat große Probleme mit ihren Knien, aber die Kinder leiden am meisten, sie haben ständig Hunger. Danach müssen sie noch durch die ganze Türkei.
O-Ton Schrihan
"Wir haben sehr gelitten und ständig geweint. In den 15 Tagen, wo wir unterwegs waren, haben wir vielleicht 9 Stunden geschlafen. Wir haben uns sehr gefürchtet – so ganz allein ohne unsere Männer."
Sich an die deutschen Konsulate in der Türkei zu wenden, wäre sinnlos gewesen - denn dort gibt es Wartezeiten von über einem Jahr.
Um nach Griechenland zu gelangen, versuchen die Frauen nachts mit anderen Flüchtlingen einen Fluss zu überqueren. Doch sie werden von griechischen Grenzpolizisten abgefangen. Alle mussten mit gesenktem Kopf dastehen. Auch die Kinder wurden geschlagen.
Harbia
"Die Polizisten haben unsere Kleidung verbrannt, vier Taschen, das Essen für die Kinder wurde auch verbrannt. Die haben uns auch die Handys abgenommen und ins Wasser geschmissen."
Die Griechen schieben sie wieder ab in die Türkei – dort landen sie in Edirne in einem Gefängnis. Sieben Tage lang werden sie mit den Kindern inhaftiert. Sie haben nur eine dreckige Matratze, es gibt kaum Essen. Von anderen Insassen können sie nur eine Packung Kekse für alle kaufen.
Harbia
"Es war schlimm, wir waren voller Angst. Wir haben selbst nichts gegessen und die Kekse unseren Kindern gegeben. Wir haben gesagt, lass sie lieber essen."
Den Frauen fällt es schwer, darüber zu reden. Als sie aus dem Gefängnis entlassen werden – geben sie nicht auf – auch als die Kinder von den Strapazen krank werden. Noch zweimal wagen sie einen Versuch und schaffen es schließlich über die griechische Grenze.
In Thessaloniki stoßen sie auf Schlepper, die ihnen eine Fahrt nach Mazedonien mit dem Taxi anbieten. Hier ab Skopje verliert sich plötzlich ihre Spur.
Zur selben Zeit in Kiel – es ist Mitte November als wir die Ehemänner treffen. Sie versuchen ständig ihre Frauen telefonisch zu erreichen, aber es gibt seit Tagen kein Lebenszeichen mehr. Beide machen sich große Sorgen.
Loay Omar (November)
"Fünf Tage, eine Woche, keine Antwort. Wo ist meine Familie? Schwierig, ich kann nicht schlafen."
Währenddessen sind die Frauen durch mehrere Länder unterwegs – auf der Balkanroute müssen sie vieles ertragen.
Harbia
"Unsere Kinder haben viel Leid gesehen. Sie hatten großen Hunger, sie waren ungewaschen, ohne richtige Kleidung, bis wir in Österreich angekommen sind."
Erst als sie die deutsche Grenze erreichen, können sie sich wieder telefonisch melden. Um die Schleuser bezahlen zu können, mussten sich die Männer bei Verwandten in Europa verschulden – rund 25.000 Euro kostete die Flucht der Frauen mit Kindern. Dabei wäre all das nicht nötig gewesen, sie hatten ja alle Genehmigungen für den Familiennachzug - es fehlte nur der Stempel, das Visum vom Konsulat in Erbil.
Gerade erst war Außenminister Steinmeier in Erbil – er sicherte den Kurden militärische Hilfe zu. Aber die Probleme am deutschen Konsulat hat er bis heute nicht gelöst. Viele Familien warten in den UN-Lagern noch immer auf ihre Visa.
Im Bundestag kritisiert die Abgeordnete Ulla Jelpke schon seit langem, dass Flüchtlinge, die ein Recht auf Familiennachzug haben, oft viele Monate vergeblich auf Termine an den deutschen Botschaften warten müssen. Das Auswärtige Amt handle verantwortungslos.
Ulla Jelpke (Die Linke), Mitglied des Bundestags
"Man treibt im Grunde genommen diese Menschen in die Hände der Schlepper, betreibt sogar das Geschäft der Schlepper damit und anstatt ihnen diese wenigen Möglichkeiten, legal nach Deutschland zu kommen, möglichst schnell einzuräumen. Das ist im Grunde genommen ein Riesenskandal, finde ich."
Ende November erhalten wir endlich eine gute Nachricht: Die Frauen mit den Kindern haben es geschafft – sie sind bei ihren Männern in Kiel angekommen. Letzte Woche treffen wir die Familien wieder. Ihre Odyssee ist noch nicht zu Ende – diesmal wegen der Bürokratie hierzulande. Eine Familie soll auf einmal Dokumente von der syrischen Botschaft einholen. Die Schwiegertochter dagegen soll mit ihren Kindern ins Asylverfahren - weil die Visa fehlen.
Wir fragen beim zuständigen Landesamt für Ausländerangelegenheiten nach, ob die Familien jetzt wieder auseinandergerissen werden.
Ulf Döhring, Landesamt für Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein
"Wenn noch kein Visum vorliegt, ist es rechtlich gesehen eine visumsfreie Einreise. Und bei einer visumsfreien Einreise ist es so, dass die Asylsuchenden verpflichtet sind, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen."
KONTRASTE
"Wenn ich doch weiß, sie könnten zu ihren Ehemännern ziehen, warum zwinge ich sie dann, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen?"
Ulf Döhring, Landesamt für Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein
"Weil wir entsprechende Vorschriften haben, die wir einhalten müssen."
Der Behördenleiter verspricht uns für die Omars eine "kluge" Lösung zu finden. Die ist auch überfällig – denn die Frauen und Kinder mussten genug durchmachen – sie sind erschöpft und traumatisiert.
Abmoderation: Das Ministerium von Frank Walter Steinmeier hat uns übrigens auf Nachfrage schriftlich mitgeteilt: "Das Auswärtige Amt und das Generalkonsulat Erbil arbeiten weiter mit Hochdruck daran, mit der aus Sicherheitsgründen notwendigen umfassenden baulichen Neugestaltung des Generalkonsulats auch die Kapazitäten zur Erteilung von Visa zu erhöhen, sind dabei aber auch von Bedingungen abhängig, auf die nur begrenzt Einfluss besteht." - Ob das den Frauen und Kindern im Krisengebiet hilft, wir werden es beobachten.
Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal