- Schmutziges Uran - die Kehrseite der "sauberen" Kernenergie

In Afrika wird seit Jahrzehnten Uran abgebaut - auch für deutsche Atomkraftwerke. Die Bedingungen sind oft katastrophal. Ganze Landstriche werden verstrahlt, Arbeiter sterben qualvoll. Doch der Bedarf an Natururan steigt weiter, auch wegen der geplanten Laufzeitverlängerung in Deutschland.

Die umstrittene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke in Deutschland ist beschlossene Sache. Das sorgt weiter für politische Debatten, gerade heute wieder über die Eignung von Gorleben als Endlager für radioaktiven Müll. Doch worüber kaum geredet wird, ist die Tatsache, dass mit längeren AKW-Laufzeiten auch der Bedarf an Uran steigen wird. Denn ohne Uran gibt es keinen Atomstrom. Doch woher beziehen die Kernkraftwerke eigentlich ihr Uran, unter welchen Bedingungen wird es abgebaut? Wüssten Sie es? Manka Heise und Chris Humbs haben in einer aufwändigen Recherche versucht, genau das rückzuverfolgen. Und sie stießen dabei auf haarsträubende Zusammenhänge.

Sauberer Strom - mit diesem Image werben die Stromanbieter für ihre Kernkraftwerke. Diese Bilder passen da gar nicht zum Saubermannimage der Atomenergie: der Uranabbau.

Uran - das ist der strahlende Brennstoff für die Reaktoren. Schon in seiner Ursprungsform ist der Rohstoff für den Menschen gefährlich. Der Wind verteilt den radioaktiven Staub kilometerweit. Dies sind Bilder von einer Uranmine in Niger, Westafrika.

Gleich vor Ort wird Uran zu Uranoxid verarbeitet, dem so genannten "yellow cake". Die für diese erste Verarbeitungsstufe erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen werden gerade in dieser Mine oft nicht eingehalten.

Das erzählt es uns der Dokumentarfilmer Idrissou Mora Kpai. Er konnte als letzter ungeschönte Aufnahmen von der Mine im afrikanischen Niger machen.

Idrissou Mora Kpai, Dokumentarfilmer
„Wenn man in so einer Stadt ankommt, dann hat man wirklich das Gefühl, dass man auf einem anderen Planeten ist. Da war ich geschockt, die Arbeiter zu sehen. Arbeiter, die seit vielen Jahren, seit 15 oder 20 Jahren, arbeiten, die keinen Schutz haben, die keine Maske tragen, die keine Handschuhe tragen und arbeiten, wie ein normaler Straßenarbeiter."

Aber nicht nur die Minenarbeiter sind dem radioaktiven Staub schutzlos ausgeliefert. Auch in der nahe gelegenen 80 000-Einwohner-Stadt wurde von unabhängigen französischen Wissenschaftlern stark erhöhte Werte von Radioaktivität gemessen. Hier soll die Lebenserwartung gerade mal 40 Jahre betragen, das berichten zumindest die Minenarbeiter.

Die Ärztin Angelika Claußen beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Gefahren des Uranabbaus. Vor allem der dabei entstehende Uranstaub ist gefährlich.

Angelika Claußen, Vorsitzende Ärzteverband IPPNW
„Dadurch werden Krebserkrankungen erzeugt, insbesondere Lungenkrebs, weil ein Hauptaufnahmeweg ist also über die Atmung, so dass die uranhaltigen Feinstäube in der Lunge verbleiben und da wirksam werden und die Zellen verändern und zu Krebszellen machen."

In Europa wird so gut wie kein Uran mehr abgebaut. Wir wollen daher wissen, woher Deutschland das Uran für seine Reaktoren bekommt, ob sie es auch aus dem Niger beziehen.

Wir fragen nach bei den Kernkraftwerksbetreibern. Außer EnBW will keiner der Energieversorger ausschließen, dass auch sie Uran aus dem Niger bekommen. Die anderen Betreiber bleiben äußerst vage. So schreibt uns Vattenfall zum Beispiel

Zitat
„Vattenfall kauft den Brennstoff Uran am Weltmarkt ein."

Zu Niger sagen sie lieber nichts.

Für die Einfuhrkontrolle von Rohstoffen ist Bundeswirtschaftsminister Brüderle zuständig. Wir würden gern ein Interview mit ihm führen. Doch er antwortet nicht einmal auf die Anfrage. Wir treffen ihn vorm Bundestag.

KONTRASTE
„Minister Brüderle, guten Morgen. Ich habe eine Frage an Sie. Können Sie mir sagen, woher das Uran für deutsche Kernkraftwerke herkommt? Können Sie mir sagen, unter welchen Umständen das abgebaut wird?"

Keine Antwort. Auf schriftliche Anfrage beim Wirtschaftsministerium teilt man uns mit:

Zitat
„… die in einzelnen Kernkraftwerken eingesetzten verarbeiteten Kernbrennstoffe (können) keinen bestimmten Uranbergwerken zugeordnet werden."

Die Bundesregierung weiß angeblich nicht, aus welchen Minen das Uran für die Brennstäbe kommt und somit auch nicht, unter welchen Bedingungen es gewonnen wird.

Gerhard Schmidt, ein renommierter Uranexperte in Deutschland, kritisiert diese Intransparenz der Atomwirtschaft.

Gerhard Schmidt, Öko-Institut, Sektion Urangewinnung
„Wir haben diese Rückverfolgbarkeit bei sehr, sehr vielen Konsumprodukten inzwischen, man kann sehr genau wissen, woher das Kotelett herkommt, unter welchen Bedingungen es erzeugt worden ist. Beim Uran haben wir diese Rückverfolgbarkeit überhaupt nicht. Und schon gar nicht wissen wir, welche Umwelt- und Sozialstandards mit der Herstellung dieses Produktes verbunden waren."

Der Großteil des Urans für deutsche Kernkraftwerke wird über Frankreich importiert, so steht es in einer Drucksache des Bundestages.

Wir recherchieren weiter. In Frankreich gibt es keinen Uranabbau - dafür aber den Atomkonzern Areva. Der schürft seit Jahrzehnten Uran im Ausland. Dieses Uran wiederum wird teilweise weiterverkauft, auch an die deutschen Kernkraftwerksbetreiber.

Das wichtigste Abbauland von Areva ist die ehemalige französische Kolonie Niger. So schließt sich der Kreis. Wir würden gerne dort drehen, uns die Bedingungen, unter denen das Uran in der Nähe des Ortes Arlit abgebaut wird, selbst anschauen. Doch Areva antwortet nicht auf unsere Anfragen. Arlit - so erfahren wir - gilt heute als Sperrzone.

Areva fürchtet sich vor negativer Berichterstattung. Den Eindruck, dass Erkrankungen in der Stadt mit der Radioaktivität zusammenhängen, wollen sie mit aller Macht vermeiden. Doch die Probleme in Arlit sind offensichtlich.

Idrissou Mora Kpai, Dokumentarfilmer
„Die wissen ganz genau, dass die Leute, die da arbeiten, werden irgendwann mal von Lungenkrebs, allen möglichen Krankheiten mal sterben."

Dieser ehemalige Minenarbeiter erzählte Idrissou beispielhaft für viele vor Ort von seinen starken Schmerzen in der Lunge.

Idrissou Mora Kpai, Dokumentarfilmer
„Und zwei Wochen nach dem Dreh ist er dann gestorben."
KONTRASTE
„Woran ist er gestorben?"
Idrissou Mora Kpai, Dokumentarfilmer
„Das ist immer die Frage. Keiner weiß, wovon man stirbt in Arlit. Man stirbt nur einfach."

Nicht nur die Franzosen, auch die Deutschen sind an der Ausbeutung dieser Mine im Niger direkt beteiligt gewesen. Aus diesem KONTRASTE vorliegenden Dokument des Auswärtigen Amtes geht hervor, dass die Frankfurter Firma Urangesellschaft, einst Tochter deutscher Atomkonzerne, eine Teilhaberschaft von rund acht Prozent besaß.

Die Bundesregierung hat zudem die Uranaktivitäten im fernen Niger großzügig gefördert. Die Deutschen haben vor Jahren den Franzosen das Feld ganz überlassen. Mit all den strahlenden Hinterlassenschaften. Das Uran aus dem Niger kommt jetzt über Paris nach Deutschland. Heute preist Brüderles Ministerium an, dass die „Kernenergie praktisch eine heimische Energieform" sei. Obwohl Uran immer noch zu 100 Prozent importiert wird.

In Afrika nach Uran zu schürfen, ist besonders lukrativ, denn dort müssen die Minenbetreiber keine Rücklagen schaffen, um die radioaktiven Abraumhalden zu beseitigen, beziehungsweise das Gelände langfristig zu sichern.

Den Einkäufern aus Deutschland scheint das alles egal zu sein:

Gerhard Schmidt, Öko-Instut, Sektion Urangewinnung
„Wir stehen im Atombereich eigentlich noch auf der Stufe der 50er Jahre, wo Umwelt keine Rolle gespielt hat oder wo die Auswirkungen von Uran eher verharmlost wurden oder einfach nicht wahrgenommen wurden."

Die saubere Kernenergie hat große Flecken auf der weißen Weste.



Autoren: Manka Heise und Chris Humbs