Atomkraftwerk (Quelle: rbb)
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- Sicherheitsrisiko Biblis - Atomaufsicht gegen Wiederanfahren des Reaktors

Die Bundesatomaufsicht sieht ein zu hohes Sicherheitsrisiko für das hessische Kernkraftwerk Biblis. Deshalb will sie das Wiederanfahren des Reaktors vorläufig stoppen. Anlass sind KONTRASTE-Recherchen, die belegen, dass es an dem Reaktor Probleme mit dem Notkühlsystem gibt.

Die Atompolitik in Deutschland steht vor einer entscheidenden Wende: Schwarz-Gelb hat sich darauf geeinigt, die Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern. Doch das könnte gerade im Hinblick auf ältere Atommeiler heikel werden: Das AKW Biblis, das wegen Umbauten zurzeit nicht am Netz ist, soll schon in drei Wochen hochgefahren werden. Doch Recherchen von KONTRASTE belegen jetzt: Am Reaktor Biblis gibt es Probleme mit dem sicherheitsrelevanten Notkühlsystem. Und das haben die Verantwortlichen bisher verschleiert. Chris Humbs und Manka Heise haben den Fall über Monate hinweg verfolgt.

Wir treffen Wilfried Rindte am Kernkraftwerk Biblis. Es ist einer der ältesten Atommeiler Deutschlands. In den 90igern arbeitete Rindte hier als freiberuflicher Ingenieur direkt im Reaktorgebäude und deckte besorgniserregende Missstände auf. Das erfuhren wir Anfang des Jahres.

Wilfried Rindte stellte bei seinen Arbeiten fest, dass die Rohrleitungen des Notkühlsystems nicht dem Sicherheitsstandard entsprechen. Ein sehr ernstes Problem.

Wilfried Rindte, Prüfingenieur
„Wir haben keine Rückschlüsse darauf ob diese Rohrleitungen den gestellten Anforderungen hinsichtlich Festigkeit, Zähigkeit genügen.“
KONTRASTE
„Also das heißt: Ich habe dort eventuell Rohrteile eingebaut, die schwach sind, sag ich mal. Das heißt wie bei einer Kette, dass das schwächste Glied, das würde dann bersten. Dann würde das Notkühlsystem nicht mehr funktionieren.“
Wilfried Rindte
„… in dem Bereich nicht funktionieren.“
Kontraste
„Das wäre ein Problem.“
Wilfried Rindte
„Ja.“

Jahrelang versuchte er darüber mit den Verantwortlichen des Betreibers RWE und den Behörden zu sprechen. Ohne nennenswerten Erfolg.

Das macht uns stutzig. Zumal es bereits ein Leck in diesem System gab.

Wir besorgen uns Fotos vom Notkühlsystem - direkt im Reaktorgebäude. Der Ingenieur stellte bei seinen Arbeiten fest, dass etwa 20 % der Rohre keine so genannten Stempelfelder aufweisen. Damit fehlt für viele Bauteile der direkte Beleg, welches Material verwendet wurde. Und somit weiß niemand sicher, ob das Notkühlsystem im Ernstfall funktioniert.

Seit über zehn Jahren hat dies Rindte immer wieder moniert, doch offensichtlich schreitet niemand ernsthaft ein. Unfassbar!

Kurz nach dem Treffen mit Wilfried Rindte vereinbaren wir ein Hintergrundgespräch mit RWE. Ohne Kamera.

Es wird uns erklärt: Es gibt keinerlei Handlungsbedarf. Alles sei rechtlich, formal und aus sicherheitstechnischer Sicht in bester Ordnung. Herrn Rindte müsse man nicht so ernst nehmen.

Wir fragen RWE nach Dokumenten und Belegen, die diese Position ernsthaft untermauern. Die werden uns aber verweigert.

Zurück in Berlin. Hier wollen wir die Meinung von einem neutralen Wissenschaftler hören und vereinbaren ein Treffen.

An der Technischen Universität gibt uns Professor Jörg Steinbach eine Lehrstunde über Sicherheitstechnik in Kraftwerken.

Prof. Jörg Steinbach, Technische Universität Berlin
„Wenn es zu einer Kernüberhitzung kommt, ich glaube, das kennen viele, auch der Zuschauer noch aus Geschichten über Tschernobyl, dann haben wir die große Katastrophe. Und dieses muss wirksam und komplett verhindert werden und dieses kann im Ereignisfall nur durch diese Notkühleinrichtung verhindert werden.“

Das System muss jederzeit funktionieren, höchste Sicherheitsstandards sind Pflicht.

Professor Steinbach erklärt uns, so einfach wie möglich, welche Sicherheitsmaßnahmen bereits beim Bau ergriffen werden müssen. Alle Rohre für das Notkühlsystem werden schon bei der Anlieferung mit einem Code versehen, der eingestempelt wird. Daran erkennt man Qualität und Festigkeit. So kann es beim Einbau zu keinen Verwechslungen mit minderwertigen Rohrteilen kommen.

Auch Teilstücke, die aus einem angelieferten Rohr geschnitten werden, müssen jederzeit identifizierbar sein. Deswegen muss man dort den Stempelcode vom Ursprungsrohr übertragen. Unterlässt man diesen Schritt, entsteht eine gefährliche Lücke in der Sicherheitsdokumentation.

Prof. Jörg Steinbach, Technische Universität Berlin
„Das Problem ist, dass dann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr nachvollzogen werden kann, ob diese Materialprüfung stattgefunden hat und ob sie positiv ausgefallen ist. Bei sicherheitsgerichteten Anlagen kann man diese Unsicherheit nicht tolerieren.“

Die 70iger Jahre. Schon beim Bau von Biblis war dieses Stempeln eigentlich verpflichtend. Hier wurde es in vielen Fällen jedoch nicht gemacht. Die Behörden haben damals den Bau trotzdem abgenommen. Schließlich hatte der TÜV alles abgesegnet.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass man damals gepfuscht hat. Und trotzdem unterlässt man den notwendigen Austausch in allen Bereichen. Warum?

Auch darauf hat Professor Steinbach eine Antwort.

Jörg Steinbach
„Das bedeutet, dass für den gesamten Umbau die Anlage heruntergefahren werden muss, dieser Raum dekontaminiert werden muss, dass sichergestellt werden muss, dass diejenigen die diese Ummontage dann selber vornehmen dann selber auch nicht gefährdet sind. Das wird vermutlich kosten in einem Maße verursachen, dass es dann fraglich bleibt, ob man dann am Schluss noch bei einem wirtschaftlichen Betrieb landet.“

Zuständig für die Aufsicht über das Kernkraftwerk Biblis ist das Hessische Umweltministerium. Auch dort hat Wilfried Rindte vorgesprochen, spätestens seit 2002 kennt man auch hier die Sicherheitsprobleme im Detail. Aber: die hessische Atomaufsicht wiegelt bis heute ab: es gäbe keine sicherheitsrelevanten Probleme.

Wilfried Rindte, Prüfingenieur
„Das wirkt schon mal deprimierend auf einen, wenn man das mitbekommt, dass zu solchen Dingen, die eigentlich schon von Bedeutung sind – das betrifft Sicherheit in Kernkraftwerken – dass man da nach meinem Dafürhalten dies so unterm Deckel, versucht unterm Deckel zu halten.“

Ein Interview mit uns lehnt die zuständige Umweltministerin Silke Lautenschläger ab. Aus ihrem Büro erhalten wir lediglich die lapidare Auskunft: alles sei in Ordnung. Das habe auch der TÜV auf Nachfrage bestätigt.

Doch der TÜV hat damals schon die Fehler beim Bau übersehen. Nun soll er sich auch noch selbst begutachten? Merkwürdige Praxis bei dieser Atomaufsicht.

Wir hätten noch viele Fragen an das hessische Umweltministerium. Doch die sind unerwünscht.

Unsere Recherchen wirbeln immer mehr Staub auf. Kurz vor der Sendung entscheidet sich RWE, uns für „zwei, drei“ Fragen zur Verfügung zu stehen. Es gibt Neuigkeiten.

Hartmut Lauer, RWE, Kraftwerksleiter Biblis
„Das Rohrleitungssystem für die Not- und Nachkühlung im Block B besteht aus knapp 3.000 Meter Rohrleitung. Bei 8 Metern hatten wir gewisse Zweifel, was die Werkstoffbelegung betrifft. Diese Rohrleitungen haben wir ausgetauscht.“

Nach 13 Jahren räumt RWE den Fehler tatsächlich ein, wechselt acht Rohrteile von insgesamt 8 Metern aus. Und damit soll es nun auch bewendet sein.

Merkwürdig ist jedoch, es gibt nicht nur 8 Rohrteile, bei denen Probleme mit den Stempeln auftauchten. Es sind weit mehr: insgesamt 300. Das bestätigt selbst RWE. Und was nun mit all denen?

Bei RWE heißt es schlicht: Es ist nicht erforderlich, die vielen Rohre – oft an unzugänglichen Stellen - auszutauschen.

Denn: so erklärt man uns: Wir waren nie verpflichtet, diese Stempelung vorzunehmen. Sie beziehen sich dabei auf einen speziellen Teil der behördlichen Baugenehmigung.

KONTRASTE
„Das heißt, dass aus diesen Baugenehmigungen also den Spezifikationen geht hervor: man muss nicht nachstempeln?“
Hartmut Lauer, RWE, Kraftwerksleiter Biblis
„Es ist nicht zwingend erforderlich.“
KONTRASTE
„Können Sie mir die Spezifikation geben, damit ich dort einsehen kann, ob da so eindeutig drinsteht?“
Hartmut Lauer, RWE, Kraftwerksleiter Biblis
„Das wird man noch mal im Nachgang klären, ob man …die habe ich jetzt natürlich nicht direkt bei mir.“

Im Nachgang wurde geklärt: wir dürfen sie nicht einsehen. So etwas würde ja nichts bringen.

Wir fahren nach Bonn, zu der Bundesatomaufsicht. Die wiederum beaufsichtigt die Landesaufsicht. Also auch das Hessische Umweltministerium.

Hier wird klargestellt: laut Atomgesetz musste ausnahmslos jedes Rohrteil gestempelt werden – bereits in den 70er Jahren, also auch in Biblis.

Uns interessiert nun, warum man vom Bund aus nicht längst eingegriffen hat, denn auch dort liegen Hinweise auf die Mängel in Biblis vor. Wir erfahren: offenbar haben die Hessen der Bundesaufsicht wichtige Informationen vorenthalten.

Wolfgang Renneberg, Atomaufsicht
„Wir können nur dann vernünftig arbeiten, wenn wir die Unterlagen bekommen, wenn wir die Unterlagen bekommen, die den Bewertungen der Länder zu Grunde liegen. Das ist in der Vergangenheit in vielen Fällen nicht geschehen insoweit gibt es ein tatsächliches Problem für die Bundesaufsicht den Aufgaben nachzukommen.“

Wir zeigen unsere Rechercheergebnisse – Dokumente und Belege, die auch wir nur über Umwege erhalten haben. Hier sieht man einige Papiere zum ersten Mal. Nachdem Gespräch wird klar: Mit dem Austausch von lediglich 8 Rohrteilen kann sich die oberste Atomaufsicht nicht zufrieden geben.

Doch wie geht man jetzt mit diesem Sicherheitsdefizit um? Der Meiler soll schließlich nach anderen Umbauarbeiten in drei Wochen wieder ans Netz.

KONTRASTE
„Also das heißt: Momentan kann man nicht sagen, Biblis kann hochgefahren werden solange diese Fragen nicht geklärt ist.“
Wolfgang Renneberg, Bundesatomaufsicht
„Ja, es sind Aspekte in dieser Problematik vorhanden, die vor dem Wiederanfahren geklärt werden müssen, da stimme ich Ihnen zu.“

Spät! Aber: immerhin.

Prüfingenieur Rindte arbeitete in mehreren Kernkraftwerken. Der bekennende Atomkraftbefürworter hat seinen Job immer sehr ernst genommen. Er hat aber seine Zweifel daran, dass die letztlich Verantwortlichen, das Thema Sicherheit in Zukunft genauso ernst nehmen wie er.

RWE hat uns nun doch noch den relevanten Teil der Baugenehmigung zugeschickt. Und damit haben sie unsere Recherchen bestätigt.

Beitrag von Chris Humbs und Manka Heise