Steuerhinterziehung bei Online-Marktplätzen wie Amazon und Ebay -
Deutschland ist ein lukrativer Markt für Online-Händler aus aller Welt. Die meisten nutzen Amazon für ihre Geschäfte. Doch viele asiatische Händler führen keine Umsatzsteuern für die Geschäfte ab, die sie hierzulande tätigen. Der Bundesregierung ist dies seit Jahren bekannt, doch es ändert sich nichts. Dem Fiskus entgehen so Hunderte Millionen Euro jährlich. Dabei wäre die Lösung ganz einfach, wie ein Blick nach Großbritannien zeigt: dort muss Amazon als Handelsplattform für die Steuerausfälle der Händler haften.
Anmoderation: Es ist verlockend: Wer im Internet bei grossen Handels-Plattformen wie Amazon oder ebay Kleidung, Schuhe oder Computerzubehör kauft, stößt immer wieder auf superbillige Angebote asiatischer Händler. Unsere Autoren Markus Pohl und André Kartschall wollten wissen, warum können die so günstig anbieten. Die überraschende Antwort: Auch, weil sie massenhaft Steuern hinterziehen.
Bislang ging es für Christian Pietsch wirtschaftlich immer bergauf. Die von ihm gegründete Firma stellt Lederwaren her und vertreibt sie über das Internet. Fast 70 Arbeitsplätze hat er in Rostock geschaffen. Seit kurzem aber ist das Geschäft massiv eingebrochen.
Christian Pietsch, Geschäftsführer "Gusti Leder"
"Momentan verkaufen wir für 'nen Preis, wo wir wirklich keinen Gewinn mehr machen. Und das ist für uns bedrohlich einfach, fürs Unternehmen. So können wir lange nicht weitermachen."
Der Grund: Über die Internet-Plattform Amazon drängen zunehmend Händler aus Asien mit Billigangeboten auf den deutschen Markt. Die Dumpingpreise sind möglich, weil die Händler offenbar systematisch die deutsche Umsatzsteuer hinterziehen.
Christian Pietsch, Geschäftsführer "Gusti Leder"
"Also drei Viertel der Taschen, die dort angeboten werden, werden ohne Umsatzsteuer verkauft. Das bedeutet einfach, dass die asiatischen Händler 19 Prozent billiger anbieten können oder 19 Prozent mehr Gewinn machen. Wir müssen das aber ans Finanzamt abführen."
Zur Probe hat Christian Pietsch einige Taschen seiner Konkurrenten bestellt. Die meisten liefern ganz ohne Rechnung, manche aber bestätigen den Steuerbetrug sogar schwarz auf weiß. Die Umsatzsteuer, auf Englisch Sales-Tax: nicht vorhanden. Ehrliche Händler werden so verdrängt.
Christian Pietsch, Geschäftsführer "Gusti Leder"
"Wir haben dagegen einfach keine Chance."
Sowohl auf Amazon als auch auf Ebay tummeln sich zunehmend asiatische Händler. Der Großteil aus China. Für den Zugang zum deutschen Markt nutzen sie die Dienste der großen Online-Marktplätze.
Amazon etwa bietet in seinen deutschen Logistikcentern einen Rundum-Service an. Die chinesischen Händler können hier ihre Ware einlagern. Damit ist sie bei einer Bestellung genauso schnell beim Kunden wie die einheimischer Anbieter.
Amazon kümmert sich für die Chinesen um alles: von der Verpackung und dem Versand der Ware – bis hin zur Zahlungsabwicklung. Das Geld leitet Amazon weiter:
Nach China. Eigentlich müsste der chinesische Händler nun Umsatzsteuer an das deutsche Finanzamt abführen. 19 Prozent. Meist bleibt das aus – und das Geld in China.
Mark Steier betreibt einen Branchendienst für Internethandel. Der Berater und Analyst sagt, dieser Steuerbetrug sei auf den Online-Marktplätzen gang und gäbe.
Mark Steier, E-Commerce-Experte
"99,8 Prozent der Chinesen, die in Deutschland Ware anbieten, sie also in Deutschland gelagert haben, mit einem chinesischen Impressum, haben keine Umsatzsteueridentifikationsnummer." – "Das heißt, in aller Regel werden die auch keine Umsatzsteuer zahlen?" - "Nein, die zahlen keine Umsatzsteuer!"
Werden die Lager der Online-Marktplätze zur systematischen Steuerhinterziehung missbraucht?
Wir wollen wissen, ob der Umsatzsteuerbetrug wirklich so weit verbreitet ist. Bei Amazon bestellen wir quer durchs Sortiment Produkte von Händlern aus dem asiatischen Raum. Alle Preise seien inklusive Umsatzsteuer, das versichert zumindest Amazon.
Sämtliche Bestellungen sind nach ein bis zwei Tagen da. Die Ware lagerte offensichtlich bereits vor Ort. Nur in einem einzigen Fall erhalten wir eine korrekte Rechnung. All diese Produkte kamen trotz Aufforderung ohne Beleg - oder mit Rechnungen, bei denen die Umsatzsteuer nicht ausgewiesen ist. Analyst Mark Steier hat berechnet, wie viel Steuereinnahmen Deutschland so im Jahr entgehen.
Mark Steier, E-Commerce-Experte
"Bei Ebay und Amazon, da lassen sich Umsatzzahlen recht gut ermitteln, so dass man hieraus ableiten kann, welcher umsatzsteuerlicher Schaden dem Fiskus entstanden ist. Wenn man den Schaden sehr konservativ schätzt, dann kann man sagen, dass der bei 800 Millionen Euro oder größer liegt."
Der Arm des deutschen Fiskus aber reicht nicht bis Fernost. Das Finanzamt Berlin-Neukölln ist in Deutschland zentral für alle chinesischen Händler zuständig. Weniger als 400 von ihnen haben sich hier für die Umsatzsteuer registrieren lassen. Dabei verkaufen auf Amazon und Ebay mehrere Tausend von ihnen in Deutschland.
Thomas Eigenthaler von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft fordert deshalb: Wenn die Händler nicht zu fassen sind, müssen eben die Marktplatz-Betreiber in die Pflicht genommen werden.
Thomas Eigenthaler, Deutsche Steuer-Gewerkschaft
"Die muss mindestens so aussehen, dass Amazon und andere nur mit solchen ausländischen Unternehmern kooperieren, die sozusagen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung eines deutschen Finanzamts vorlegen. Das ist für mich Minimum. Und man muss überlegen, ob man, wenns dann wirklich nicht klappt, wenn der ausländische Unternehmer ausbüxt, ob man dann den Online-Betreiber nicht in Haftung oder gar zum Steuerschuldner erklärt."
In Großbritannien hat man genau das getan. Der britische Finanzminister hat alle Online-Händler aus Fernost verpflichtet, sich mit einer britischen Steuernummer zu registrieren. Zahlen sie ihre Umsatzsteuer nicht, haften die Marktplatzbetreiber für ihre Händler. Die Registrierungen zur Umsatzsteuer sind seitdem sprunghaft angestiegen. Das britische Finanzministerium rechnet bis 2021 mit Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro.
Und was passiert in Deutschland? Aus dem Bundesfinanzministerium heißt es, man habe zum Online-Betrug erst einmal eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Ergebnisse kann Wolfgang Schäuble bislang aber nicht vorweisen.
Man hat es offenbar nicht eilig - während ehrlichen Händlern die Zeit davonrinnt.
Christian Pietsch, Geschäftsführer "Gusti Leder"
"Wir werden es so nicht überleben, das wird nicht funktionieren, und wenn sich jetzt nicht in den nächsten zwei, drei Monaten was ändert, dann wird es für uns nicht weitergehen."
Abmoderation: Wir haben übrigens bei Amazon, nachdem wir dort Testbestellungen gemacht hatten, nachgefragt und um Stellungnahme gebeten. Leider gab es keine Antwort.
Beitrag von André Kartschall und Markus Pohl