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Die paritätische Mitbestimmung gehört zum Kernbestand der Sozialen Marktwirtschaft. In Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern müssen laut Gesetz Arbeitnehmervertreter über Vorstandsposten mitbestimmen und werden in strategische Entscheidungen eingebunden. Doch bei Fresenius mit gut 170.000 Mitarbeitern wird diese Form der Mitbestimmung ungern gesehen. Der Konzern wurde in kleinere Einzelunternehmen aufgesplittert, die dann nicht mehr der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Eine Gesetzeslücke und längst kein Einzelfall mehr!
Ein kluger Unternehmer ist der, der nicht nur seine Bilanzen, sondern auch seine Mitarbeiter im Blick hat. Dazu gehört, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen - und: seinen Mitarbeitern bei Entscheidungsprozessen auch Mitsprachemöglichkeiten zu geben! Dazu dient die paritätische Mitbestimmung. Nur wer mitreden kann, kann sich mit seinem Unternehmen identifizieren und produktiv arbeiten. Doch dieser Logik verschließen sich manche Konzerne: Ursel Sieber zeigt, mit welchen Tricks und welcher Chuzpe das gesetzlich verbriefte Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer immer wieder ausgehebelt wird.
Die Konzernzentrale von Fresenius im hessischen Bad Homburg. Fresenius, das ist eine Erfolgsgeschichte: von der kleinen Apotheke zum Weltkonzern.
Werbevideo
„Seit unserer Gründung im Jahr 1912 sind wir immer weiter gewachsen. Heute arbeiten mehr als 170 000 Mitarbeiter in über 160 Ländern engagiert im Dienste der Gesundheit.“
Was der Konzern im Werbevideo aber vergisst: Zu sagen haben die Mitarbeiter bei Fresenius nur wenig. Doch der Reihe nach:
Groß geworden ist Fresenius einst mit der Dialyse für Millionen nierenkranker Patienten. Dann stieg der Konzern ins Krankenhausgeschäft ein. Heute ist er Marktführer.
Betrieben werden die Krankenhäuser von der Fresenius-Tochter Helios-Kliniken GmbH. Die Helios-Kliniken sind ein Gigant mit 111 Krankenhäusern und 68 000 Beschäftigten.
Jede neue Helios-Klinik wird nach der Übernahme auf Gewinn getrimmt: 15% Umsatzrendite. Ein ehrgeiziges Ziel! Wie das Management diese Gewinnziele durchsetzt, erklärt Rainer Stein, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats:
Rainer Stein
Konzernbetriebsrat Helios-Kliniken
„Die Mentalität, möglichst hemdsärmlig schnelle Entscheidungen treffen zu können, ohne dass damit zu rechnen sein muss, dass Gegenwehr kommt oder dass andere eine andere Meinung dazu haben.“
Soll heißen: durchregieren ohne auf die Mitarbeiter groß Rücksicht nehmen zu müssen. Da verwundert es nicht, dass der Konzern alle Möglichkeiten nutzt, die sogenannte paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer auszuhebeln. So gaben die Manager im vergangenen Jahr plötzlich bekannt: dass „bei der Helios-Kliniken GmbH kein Aufsichtsrat mehr zu bilden ist“.
Das Helios-Management schottet sich also von den Mitarbeitern ab - kritisiert Niko Stumpfögger von der Gewerkschaft Verdi:
Niko Stumpfögger
Gewerkschaft Verdi
„Die Folge ist einfach, dass jetzt, zu dem Zeitpunkt, wo man der mächtigste Krankenhauskonzern der Welt wird, wo man Großes noch vorhat, dass man da unter sich sein will und dass man froh ist, wenn Transparenz nicht mehr so weitgehend gegeben ist wie vorher.“
Die Helios-Geschäftsführung will dazu keine Stellungnahme vor der Kamera abgeben!
Offenbar störte der Aufsichtsrat die Konzernmanager. Denn er ist - wie es das Mitbestimmungsgesetz für jeden Großbetrieb vorschreibt - paritätisch besetzt, mit Vertretern der Eigentümer und Arbeitnehmer. Im Streitfall entscheiden zwar die Arbeitgeber - der Vorsitzende hat doppeltes Stimmrecht – doch Arbeitnehmer und Gewerkschaften können bei strategischen Geschäften mitbestimmen und sie müssen über die Entwicklung des Unternehmens informiert werden.
Konzernbetriebsrat Rainer Stein nutzt dieses Wissen, zum Beispiel in den Tarifverhandlungen.
Rainer Stein
Konzernbetriebsrat Helios-Kliniken
„Natürlich spielt das alles eine Rolle, wenn man weiß, wie die Gewinnsituation im Konzern aussieht und auf dieser Basis dann die berechtigten Forderungen der Arbeitnehmer vertreten will. Das ist dann besser, als wenn es nur mutmaßen kann.“
Die paritätische Mitbestimmung ist eine Errungenschaft im Nachkriegsdeutschland. Eingeführt zuerst in der Montanindustrie. Von Willy Brandt dann auf alle Großbetriebe ausgeweitet. Die Arbeitgeber versuchten damals mit allen Mitteln, dass Mitbestimmungsgesetz zu verhindern.
Hanns Martin Schleyer
Arbeitgeberpräsident
(Archiv von 1974)
„Die ist die Gefahr, die unserer Ordnung droht. Die gewerkschaftliche Machtergreifung in Wirtschaft, Gesellschaft und letztlich im Staat.“
Doch das sah das Bundesverfassungsgericht anders. Es erklärte das Mitbestimmungsgesetz 1979 für verfassungsgemäß.
Der Fresenius-Konzern will offenbar die Zeit zurückdrehen, und zwar mit Tricks: Die Manager betreiben die Helios-Krankenhäuser als selbständige Tochterfirmen, gliedern dann 2013 noch die letzten Kliniken aus dem Konzern aus. Die Folge: Die Mitarbeiterzahl des Konzerns schrumpft – natürlich nur auf dem Papier – von 68 000 auf nur noch 327 Angestellte in der Helios-Konzernzentrale. Der Großkonzern - jetzt ein Kleinbetrieb. Und welch ein Zufall: Wer weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigt, muss keinen paritätisch besetzten Aufsichtsrat mehr bilden. Das Mitbestimmungsgesetz ist ausgehebelt.
Für die Gewerkschaft Verdi ein fatales Signal.
Niko Stumpfögger
Gewerkschaft Verdi
„Helios ist jetzt so groß, dass das, was dort passiert, in den Arbeitsbeziehungen, in den Tarifverträgen, im Umgang mit den Betriebsräten und natürlich auch im Umgang mit der Mitbestimmung Standards setzen wird für die Branche. Und deswegen ist das für uns als Gewerkschaft ganz zentral, was bei Helios passiert.“
Auf Nachfrage von Kontraste teilt Helios schriftlich mit, die Arbeitnehmerrechte seien gar nicht ausgehebelt, „da die konzernweite Mitbestimmung unmittelbar und ausschließlich im paritätisch besetzten Aufsichtsrat der Fresenius (…) erfolgt, unserem Mutterkonzern“.
Also alles kein Problem? Weit gefehlt. Es kommt noch schlimmer. Zwar gibt es bei Fresenius einen Aufsichtsrat, aber faktisch ist der ohne Rechte.
Niko Stumpfögger
Gewerkschaft Verdi
„Das heißt alles, was im Unternehmen wirklich zu entscheiden ist, passiert außerhalb dieses Aufsichtsrats. So dass wir an dieser Stelle praktisch keine Gegenstände haben, wo Mitbestimmung eingreifen könnte.“
Der Grund: Fresenius ist keine Aktiengesellschaft mehr, in der paritätische Mitbestimmung gelten würde. Der Konzern hat sich mehrmals umgewandelt, zuletzt in eine sogenannte SE & Co KGaA– ein Konstrukt, bei dem die Mitbestimmung - dank einer Gesetzeslücke - faktisch nicht mehr existiert. Kein Einzelfall, wie der renommierte Wirtschaftsjurist Professor Nagel meint:
Prof. Bernhard Nagel
Universität Kassel
„Es riecht nach Mitbestimmungsminimierung, was Fresenius im Laufe der Jahre betrieben hat. Es gibt zunehmend Beispiele, dass gerade die Konstruktion der SE und Co KG auf Aktien gewählt wird, um Mitbestimmung zu minimieren.“
Der Konzernbetriebsrat will sich damit nicht abfinden. Er klagt gegen die Abschaffung des Aufsichtsrats bei Helios. Aber das Landgericht Berlin wies die Klage ab.
Ulrich Wimmer
Landgericht Berlin
„Das Gericht hat zugespitzt gesagt, diese gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen, die zum Wegfall der Mitbestimmungspflicht geführt, die entsprechen dem Gesetz, das ist sozusagen legal. Und das Gericht hat zum Ausdruck gebracht, wenn sich da was daran ändern soll, dann ist es Aufgabe des Gesetzgebers, dort tätig zu werden.“
Eine Aufforderung an das Bundesarbeitsministerium also, die Lücken im Mitbestimmungsgesetz zu schließen. Doch das teilt auf Anfrage lapidar mit: Änderungen seien laut Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. – Das freut die Konzerne, denen Mitbestimmung lästig ist.
Aber die Arbeitnehmer geben nicht auf: Der Konzernbetriebsrat von Helios und die Gewerkschaft Verdi wollen jetzt bis zum Bundesgerichtshof gehen, um zu verhindern, dass im Konzern die paritätische Mitbestimmung durch die Hintertür abgeschafft wird.
Beitrag von Ursel Sieber