- Billiglöhne für Briefzusteller: Postboten von Job-Centern müssen mit Hartz IV aufstocken

Ob in Zwickau, Chemnitz oder Oldenburg: Überall lassen öffentliche Auftraggeber ihre Post vom billigsten Anbieter transportieren. Die Folge: Für viele Postzusteller bleibt meist nur der Gang aufs Amt, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

"Unfassbar", "Skandalös!" - viele unserer Zuschauer waren geschockt, als wir in der vergangenen Sendung über Dumpinglöhne bei Postzustellern berichteten. Briefträger, die die Post daheim auf dem Küchentisch sortieren müssen, und die nach Brief-Stückzahl bezahlt werden - das, so schrieben uns viele, sei trauriger Alltag in der Zustellerbranche. Als wir auch noch erfuhren, dass offenbar auch Städte, Behörden und Gerichte beim Dumpinglohn-System mitmachen, wollten wir es kaum glauben. Also haben Susanne Katharina Opalka und Sascha Ademek nachgefasst.

Das hier ist Behördenpost und zwar die eines ganzen Tages in der Stadt Chemnitz in Sachsen. Den Großauftrag dazu hat die Stadt dem Brief-Unternehmen Citypost erteilt.

KONTRASTE
„Dürfen wir Sie mal fragen, was Sie für’n Stundenlohn haben hier?“
Zusteller
„Nein, das wird nichts.“
KONTRASTE
„Dürfen Sie nicht drüber reden?“
Zusteller
„Nein.“

Über die Löhne zu reden, ist vielen zu heikel. Sie haben Angst um ihren Job.

Die Zusteller erhalten allmorgendlich die Briefe von den Verteilzentren der Citypost. Eine Briefträgerin ist bereit, verdeckt mit uns über ihren Lohn zu reden. Ihr Arbeitstag beginnt Zuhause mit dem Sortieren der Briefe:

Zustellerin
„Danach laufe ich los und bin dann noch mal zwei bis drei Stunden nach Gebiet und Weitläufigkeit unterwegs. Würde ich jetzt mal im Schnitt sagen vier Stunden pro Tag Arbeitszeit. Auf 200 Sendungen gerechnet ergibt das durch 0.045 Euro 9 Euro für die ganzen Briefe zustellen. Das wäre dann ein Stundenlohn von Zwei Komma noch was.“
KONTRASTE
„Warum arbeitet man für 2,25 Euro?“
Zustellerin
„Tja. Die Not zwingt einen dazu, pure Verzweiflung.“

Im Kofferraum des Citypost-Transporters vor dem Chemnitzer Rathaus entdecken wir Hinweise auf weitere öffentliche Auftraggeber. Gerichte und Justizbehörden in Chemnitz sind darunter, sogar das örtliche Jobcenter. Ausgerechnet diese Behörde lässt ihre Post von einer Firma versenden, die ihre Mitarbeiter derart niedrig entlohnt.

Ein Interview will das Jobcenter nicht geben, dafür behindert man lieber die Dreharbeiten. Für die Behörde ist die Sache mit den Briefträgerlöhnen brenzlig.

Denn eigentlich erhalten Briefträger nach dem Tarif der Deutschen Post AG einen Stundenlohn ab 11 Euro 48. Generell hat das Bundesarbeitsgericht einen Lohn, der um ein Drittel unter diesem ortsüblichen Tarif liegt - wie zum Beispiel die 2 Euro 25 - für sittenwidrig erklärt. Für den Arbeitsrechtler Professor Schüren ist klar erkennbar, ab wann Löhne sittenwidrig sind:

Prof. Peter Schüren
Arbeitsrechtler Universität Münster

„Es kommt einfach darauf an, dass diese Löhne auskömmlich sein müssen. Das kann man sehr schnell ausrechnen. Wenn jemand mit den Stücklöhnen auf 4 Euro kommt, dann ist es ganz klar eine sittenwidrige Gestaltung.“

Die Brief-Firma haben wir mit dem Vorwurf offenbar sittenwidriger Löhne konfrontiert. Kein Interview und bis heute - auch keine schriftliche Antwort.

Die Citypost hat in Chemnitz fast ein Monopol für Behördenpost. Die Stadt hat die Firma nach einer Ausschreibung beauftragt. Ein wichtiges Kriterium bei der Vergabe: das „wirtschaftlich günstigste Angebot". Mit den Folgen für die Zusteller konfrontieren wir die Oberbürgermeisterin, die zugleich für die SPD über die Koalition in Berlin verhandelt:

KONTRASTE
„Sie als Stadtverwaltung beschäftigen ja auch die City Post, werden damit Dumpinglöhne nicht unterstützt?“
Barbara Ludwig (SPD)
Oberbürgermeisterin Chemnitz

„Also ich gehe davon aus, dass wenn so ein Mindestlohn gilt der auch für solche Firmen gilt und damit ist das dann auch erledigt.“

Warten auf den gesetzlichen Mindestlohn? Nicht nötig, sagt Ralf Leinemann, ein renommierter Experte für Auftragsvergaben. Behörden könnten schon jetzt ganz legal Dumpinglöhne verhindern und in ihren Ausschreibungen anständige Löhne fordern:

Ralf Leinemann
Anwalt für Vergaberecht

„Nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen würde dann die Stadt eine Vorgabe machen und sagen: „Liebe Bieter, wenn Ihr bei diesen Auftrag mit bieten wollt, dann verlange ich von euch die Erklärung, dass die Mitarbeiter, die diesen Auftrag erbringen, auch einen Mindestlohn von 8€ oder 8,50€ erhalten werden.“

Städte, die auf solche Mindeststandards verzichten, lassen am Ende die Steuerzahler für die Dumpinglöhne aufkommen.

Oldenburg. Hier gibt es ein anderes Brief-Unternehmen namens Citipost - dieses schreibt sich mit i. - und es hat hier fast alle Behörden als Auftraggeber, inklusive Arbeitsagentur und Jobcenter. Zusteller wie Heinrich K. arbeiten für ein Subunternehmen dieser Citipost, für einen so niedrigen Stundenlohn, dass er womöglich bald mit Hartz IV-Geld aufstocken muss:

Heinrich K.
„Weil: davon kann ich keine Miete und nix zahlen, das reicht nicht.“

Post-Zusteller im ländlichen Raum im Auftrag der Citipost - ein harter Job, denn egal ob Brief oder kiloschwerer Katalog, für ihn gibt's nur 8 Cent pro Stück. Ein 10-Stunden-Fulltime-Job und trotzdem kommen am Monatsende nur gute 800 Euro brutto heraus. Nun muss der Steuerzahler einspringen: Das Jobcenter zahlt noch einmal gute 300 Euro hinzu.

Ein Unding, findet die Gewerkschaftssekretärin Katrin Radloff von Verdi. Schon seit vier Jahren kämpft sie gegen das Lohndumping bei den Zustell-Gesellschaften und macht den Skandal publik. Sie empört besonders, dass ausgerechnet die Arbeitsagentur ihre Behördenpost von einer Billigfirma verteilen lässt:

Cathrin Radloff
Verdi Oldenburg

„Dass die Arbeitsagenturen da auch noch die Aufträge verteilen, das finde ich eigentlich schizophren, zum einen gehen die hin, verteilen damit ihre Sendung, geben das als Zustellauftrag dort hin, wissen aber genau was die Leute verdienen, und gleichzeitig kommen die Leute dort hin und sagen, ich muss mein Gehalt aufstocken, weil das Geld zum Leben nicht reicht, da werden Steuergelder verschleudert, und ja im Prinzip wird die Firma mit Steuergeldern subventioniert.“

Dazu wollen wir gern die Zustellgesellschaft befragen. Kein Interview. Man schickt uns in das Verlagsgebäude der Nord-West-Zeitung. Der Verlag gehört zu den Mit-Eigentümern der Citipost. Auch hier gibt es niemanden, der Auskunft gibt. Auf der jährlichen Lobby-Veranstaltung des Bundesverbandes Briefdienste diese Woche in Berlin schließlich treffen wir auf einen Vertreter der Citipost Nordwest. Angeblich weiß er von nichts:

KONTRASTE
„Die Zustellgesellschaft zahlt acht Cent Stücklohn.“
Henning Lüschen
Citipost Nordwest

„Die Zustellgesellschaft ist ja eine eigenständige Gesellschaft. Wenn Sie eine Frage zur Zustellgesellschaft haben, gerne die Zustellgesellschaft fragen.“
KONTRASTE
„Da waren wir, die haben uns zu Ihnen geschickt.“
Henning Lüschen
Citipost Nordwest

„Also, die Mitarbeiter der Zustellgesellschaft sind Mitarbeiter der Zustellgesellschaft. Wenn die eine Entlohnung haben, bitte auch dazu die Zustellgesellschaft fragen.“

Doch da waren wir ja schon. Erfolglos.

Und der Oldenburger Oberbürgermeister hat keine Zeit für uns. Kein Interview. Und keine Silbe zu den Dumpinglöhnen. Gerade erst gab die Stadtverwaltung der Citipost den Zuschlag zu einem Großauftrag für ihre gesamte Behördenpost.

Die Zustellgesellschaft aus Oldenburg hat uns heute nun doch geantwortet: die Briefträger, so schreibt man uns, erhielten "grundsätzlich 10 Cent" pro Brief. Grundsätzlich. Die Lohnabrechnungen der Zusteller, die wir gesehen haben, widersprechen dem.

 

Beitrag von Susanne Katharina Opalka und Sascha Adamek