Öko-Irrweg Biotonne -
Auf den Äckern sieht es immer öfter aus wie auf einer Müllhalde. Denn die industrialisierte Landwirtschaft bringt Geld, laugt aber die Böden aus. Um trotzdem hohe Erträge zu erzielen, düngen die Bauern mit Kompost aus Bioabfall. Doch Kompost ist gar nicht so bio, weil die Bürger viel zu viel Plastikmüll in die Biotonnen werfen. Der Abfall landet als plastikverseuchter Kompost auf dem Acker, obwohl die Gefahren für Mensch und Umwelt noch gar nicht absehbar sind.
Anmoderation: Ob Eierschalen, welke Blumen, Obstreste oder Kaffeesatz - das alles gehört seit Januar per Gesetz in die Biotonne. Nichts wegschmeißen, was wiederverwertet kann, lautet die Devise. Hört sich gut an: Aus Bioabfall wird Dünger für die Landwirtschaft. Das dient der Umwelt, glauben viele. Doch leider müssen wir Sie enttäuschen: Das Konzept Biotonne geht in der Praxis nicht auf. Im Gegenteil: Die Tonne sorgt sogar für Umwelt-Verschmutzung! Chris Humbs und Markus Pohl waren auf den Feldern unterwegs.
Natürlicher Dünger wird abgeladen: Kompost. Auf den ersten Blick eine gute Sache. Auf den zweiten Blick: ein Umweltskandal.
Der Kompost ist versetzt mit Kunststoff – in rauen Mengen.
Anwohner aus Mecklenburg-Vorpommern filmen das Geschehen, sie sind entsetzt.
O-TON Georg Schramm, Anwohner
Eigentlich ist das hier alles Müll!
Sie sind fassungslos, dass das Material auf die Felder soll.
O-TON Hannah Schlesinger, Anwohnerin
In dem Haufen befindet sich Plaste, alte Aluminiumtuben mit Verschluss aus Plaste, Folien diverse…
Selbst altes Plastikspielzeug und diese Spritze finden die aufgebrachten Anwohner in dem vermeintlichen Naturdünger, den der Landwirt bereits auf dem Acker ausbringen lässt.
Eine kurze Recherche im Internet zeigt: deutschlandweit häufen sich die Meldungen von Plastikmüll auf den Feldern durch verunreinigten Kompost.
Viele Äcker gleichen inzwischen Mülldeponien. Durch die industrielle Landwirtschaft wird der Boden ausgelaugt, braucht ständig neuen Dünger. Und mit jeder neuen Fuhre Kompost kommt zusätzliches Plastik auf die Felder.
Doch wie kommt der Kunststoff in den Kompost?
Über Biotonnen wie diese. Darin befindet sich zu Hauf Plastikabfall, vor allem Tüten. In der Regel landen die im Kompostierwerk. Wie hier in St. Augustin bei Bonn.
Betriebsleiter Silvio Busch beklagt, dass die Qualität der gesammelten Bioabfälle immer schlechter wird.
O-TON Silvio Busch, Betriebsleiter Kompostwerk St. Augustin
Das ist die letzte Anlieferung eines Fahrzeugs. Sie sehen hier schon die Verunreinigungen, das sind die Sachen, die uns am meisten Probleme bereiten. Weil diese Tüten im laufenden Prozess zerstört werden, zerkleinert werden und sich dann im Prinzip durch den ganzen Kompost hindurchziehen.
Hier hält man hohe Qualitätsstandards ein. Per Hand sortieren Mitarbeiter am Laufband die größten Kunststoffteile aus. Was durchrutscht, landet in der Rottehalle. Obwohl am Ende gesiebt wird, sind auch im fertigen Kompost die Plastikfetzen nicht zu übersehen. Sie landen auf dem Acker.
Aber darf es wirklich so viel Plastik sein, wie in Mecklenburg-Vorpommern? Die Anwohner wollen das Ausbringen stoppen.
O-TON Hannah Schlesinger, Anwohnerin
Ich werde jetzt sofort zum Telefon eilen, um das hier anzuzeigen.
Kurz darauf kommt die Polizei. Sie ruft die Umweltbehörde dazu, die Proben nimmt.
Das Ergebnis: Der Kompost ist völlig in Ordnung, alle Grenzwerte werden eingehalten.
Wir gehen mit den Anwohnern noch einmal auf das Feld. Inzwischen wächst dort Weizen. Die völlig legale Umweltverschmutzung ist immer noch deutlich sichtbar. Überall Plastikfetzen.
O-TON Hannah Schlesinger, Anwohnerin
Es ist mir nicht erklärlich, weil der Ärger und der Kummer ist ja da. Wir riechen's, wir erleben's, und wir sind traurig, denn es ist einfach nur traurig.
Der Gesetzgeber toleriert große Mengen Plastik im Kompost. Wie viel genau, haben wir in einem Versuch verdeutlicht.
In 50 kg Trockenkompost darf diese Menge Kunststoff enthalten sein: 250 Gramm. Kompost mit dieser Menge Plastik darf also auf die Felder ausgebracht werden.
Weil es wegen der Verschmutzung der Äcker immer mehr Beschwerden gab, hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt jetzt reagiert:
Ab 2017 gilt für alle Komposthersteller ein neuer Grenzwert.
Weichplastik, das auf den Äckern besonders auffällt, darf dann in unserem Haufen nur noch zu 50 Gramm enthalten sein.
Zusätzlich sind aber noch bis zu 200 Gramm Hartplastik erlaubt. Es bleibt also unterm Strich bei 250 Gramm Plastik. Fortschritt sieht anders aus.
Beim Umweltbundesamt, der obersten Behörde für Umweltfragen, hält man die Gesetzeslage für angemessen.
O-TON Claus-Gerhard Bannick, Umweltbundesamt
Wenn die Werte eingehalten werden, ist es ein guter Kompost.
Kontraste: Das würden sie auf ihr Feld ausbringen, so etwas?
Wenn die Grenzwerte eingehalten werden, ist es ein guter Kompost
Kontraste: Würden sie es ausbringen, wenn sie selbst eine Landwirtschaft hätten? Der Kompost, der dann entsprechend den Regen konform mit Kunststoff versetzt ist?
Wenn die Grenzwerte eingehalten werden, ist es ein guter Kompost. Am Ende des Tages muss der Kunde entscheiden, was auf seinen Boden drauf kommt und was nicht.
Dabei ist der Kunststoff auf den Feldern mehr als nur ein ästhetisches Problem.
Professor Maser forscht an der Uni Kiel zur Verbreitung von Plastik in der Natur. Der Toxikologe sieht Gefahren vor allem wegen der Zusatzstoffe, die im Kunststoff enthalten sind.
O-TON Prof. Edmund Maser, Toxikologe, Uni Kiel
Eigentlich ist das bekannt, dass aus dem Plastik eben die Weichmacher und Flammschutzmittel austreten und man kann damit rechnen, dass dieses dann auch stattfindet im normalen Boden, wenn man also über die Kompostieranlage plastikhaltigen Kompost auf den Boden ausbringt.
Kontraste: Und wenn das dann geschieht, was hat das dann für Konsequenzen für den Menschen oder welche Gefahren gehen davon aus?
Ja, diese Stoffe können natürlich über die Pflanze in den menschlichen Körper gelangen, das heißt, über die pflanzliche Nahrung in den Körper hineingehen und dort eben die Wirkung entfalten, die man von diesen hormonähnlichen Substanzen kennt und sie können auch gerade bei dem ungeborenem Leben, also bei Schwangeren, die Entwicklung stören.
Und es kommt ein weiteres Problem hinzu. Das Plastik wird über Jahre spröde. Es zerbricht, löst sich letztlich in kleinste Teilchen auf. Diese werden vom Regen ausgespült und landen in Gräben und Flüssen – und schließlich im Meer. Dort nimmt das sogenannte Mikroplastik Schadstoffe auf. Es landet so in der Nahrungskette.
O-TON Prof. Edmund Maser, Toxikologe, Uni Kiel
Es hat dort die besondere Eigenschaft, fettlösliche Substanzen anzulagern und anzureichern. Und dazu gehören auch Schadstoffe wie zum Beispiel DDT, Lindan, Stoffe, die längst verboten sind, aber die trotzdem dann sich in den Partikeln anreichern, dann von Meeresorganismen gefressen werden und vielleicht dann irgendwann bei uns auf dem Teller landen. Und damit wäre dann auch der Mensch diesen Schadstoffen exponiert.
Trotz der möglichen Gefahren: Die Bundesregierung toleriert weiter Unmengen an Plastik im Kompost. Warum es für die Hersteller keine strengeren Auflagen erlässt, teilt uns das Landwirtschaftsministerium schriftlich mit:
Ein umweltpolitischer Offenbarungseid: Weil viele Werke keinen besseren Kompost hinbekommen, werden sie auch nicht dazu verpflichtet. Technisch machbar wäre aber noch einiges, auch durch Einsatz von mehr Personal.
Kontraste: Warum machen Sie denn das Förderband nicht dreimal so lang und stellen hier noch ein paar Leute hin?
O-TON Silvio Busch, Betriebsleiter Kompostwerk St. Augustin
Gute Frage. Das sind natürlich alles Kosten. Wir sortieren hier mit vier Mann, man könnte natürlich auch acht Mann, zehn Mann, 15 Mann hinstellen. Das ist dann sicherlich ne wirtschaftliche Frage.
Denn die Landwirte wollen möglichst billigen Dünger.
Natürlich wäre es am besten, in die Biotonnen käme erst gar kein Plastik. Einige Kommunen, die Kompostieranlagen betreiben, setzen auf Müllkontrollen, wie hier im Rhein-Sieg-Kreis. Wer Biotonnen falsch befüllt, bekommt einen Hinweis. Im Ernstfall wird die Tonne nicht abgeholt.
O-TON Joachim Schölzel, Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft
Ich sag mal, wenn das jetzt jeder machen würde, dann könnten wir im Grunde genommen die Kompostwerke schließen bzw. für Millionen von Euro nachrüsten, und das geht natürlich nicht. Also: Die Tonne muss leider stehenbleiben, weil falsch befüllt.
Doch diese Methode ist aufwändig und hoch umstritten. Viele Bürger wollen nicht, dass man in ihrem Müll herumschnüffelt, sehen das als Eingriff in ihre Privatsphäre.
Was bleibt: Die Biotonne ist theoretisch ein gute Idee - aber so wie sie derzeit umgesetzt wird, ist sie ein umweltpolitischer Irrweg.
Abmoderation: Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Das gilt für Bio, wie für alles andere auch.
Beitrag von Markus Pohl und Chris Humbs