Zöllner bei einer Kontrolle (Quelle: rbb-Grafik)
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- Schwarzarbeit – das Liechtenstein des kleinen Mannes

Offiziell ist Schwarzarbeit verpönt. Die Bundesregierung hat ihr schon oft den Kampf angesagt. Doch in der Praxis tut sie wenig. Dafür hat sie sogar gute Gründe: Schwarzarbeit fördert gerade in Krisenzeiten die Binnennachfrage und sichert den Beschäftigten ein zusätzliches steuerfreies Einkommen.

In der Politik wird nur geheuchelt! So denken viele. Sie auch? Da reden alle – auch im Zusammenhang mit der Hartz-IV–Debatte davon – wie wichtig es ist, die Schwarzarbeit in Deutschland zu bekämpfen. Sie reden und reden, und was passiert? So gut wie nichts. Jahr für Jahr gehen dem Fiskus durch Schwarzarbeit Milliarden verloren. Warum aber wird dann dagegen so wenig unternommen, haben wir uns gefragt und stießen bei der Recherche auf höchst erstaunliche Antworten: Detlef Schwarzer.

Ein Baustellenläufer auf dem Weg zur Arbeit. Er will nicht erkannt werden, denn er hat einen heiklen Job. Er fahndet im Auftrag der Bauwirtschaft Berlin-Brandenburgs nach Schwarzarbeitern. Eigentlich ist das in Deutschland die Aufgabe des Zolls, doch von dessen Arbeit ist die Fachgemeinschaft Bau schwer enttäuscht:

Wolf Burkhard Wenkel, Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg
„Die Baustellenläufer haben wir eingestellt, weil die Bekämpfung der Schwarzarbeit durch den Staat absolut unzureichend ist. Und wir haben gesagt, wir müssen als Verband etwas tun, um unsere Unternehmen selbst zu schützen.“

Die mittelständische Wirtschaft leidet am meisten unter Schwarzarbeit, weil ehrliche Betriebe immer weniger Aufträge bekommen, da sie angeblich zu teuer sind. Die Baustellenläufer machen nun den Job, den eigentlich der Zoll machen müsste. Regelmäßig alle Baustellen anfahren, Fotos und Notizen machen, wer arbeitet dort, was deutet auf Schwarzarbeit hin.

Baustellenläufer
„Die größte Auffälligkeit ist, dass an der Baustelle keine Firmenlogos zu sehen sind. Der Transporter, da ist auch keine Firma gekennzeichnet. Das ist für mich ein Indiz, dass hier was versteckt wird.“

Haben die Baustellenläufer Indizien für Schwarzarbeit gefunden, geben sie ihre Erkenntnisse an den Zoll weiter. Häufig wird der dann erst tätig. Kommt der Tipp von den Baustellenläufern, liegt die Trefferquote des Zolls bei gut 90 Prozent.

Wolf Burkhard Wenkel, Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg
„Das sind mal ganze zwei Mann, und es ist erstaunlich, dass es dieser privatwirtschaftlichen Unterstützung bedarf, damit der Zoll effektiv wird.“

Erstaunlich nur auf den ersten Blick . Denn die Trägheit des Staates hat einen plausiblen Grund, meint Wirtschaftsforscher Friedrich Schneider von der Universität Linz. Schwarzarbeit helfe gegen die Wirtschaftskrise.

Prof. Dr. Friedrich Schneider, Universität Linz
„Man muss ja auch sehen, Schwarzarbeit hat Vorteile. Es werden mindestens 150 Milliarden Euro in Deutschland jedes Jahr schwarz verdient. Und dieses schwarz verdiente Geld wird wiederum zumindest zu Zweidrittel sofort in der offiziellen Wirtschaft ausgegeben.“

Deshalb womöglich die laschen Kontrollen. Einsatzbesprechung Zoll Potsdam für die Razzia einer Großbaustelle. Schusswaffe - kugelsichere Westen. Die Beamten sollen abschreckend wirken. Eine tolle Show nicht nur fürs Fernsehen. Denn sie sind nur wenige. Gerade mal gut 6.000 Zöllner sollen ganz Deutschland kontrollieren. Die Kontrollen sind dementsprechend löcherig. Auf dem Bau ist es am schlimmsten.

Wolf Burkhard Wenkel, Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg
„In Berlin arbeitet jeder zweite Bauarbeiter schwarz, in Brandenburg jeder dritte und in der Bundesrepublik insgesamt jeder vierte. Wenn man das gegen diese Zahl von 6.000 Zollbeamten hält, die diese Schwarzarbeit bekämpfen können, ist das absolut zu wenig.“

Das Bundesfinanzministerium – zuständig für die Schwarzarbeit-Kontrolle – winkt ab: viel mehr Zöllner wird es nicht geben.

Hartmut Koschyk (CSU), Staatssekretär Bundesfinanzministerium
„Uns sind natürlich auch durch die haushaltsmäßige Situation Grenzen gesetzt. Aber wir glauben, dass wir doch in den letzten Jahren bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit gut vorangekommen sind, und auf dem Weg wollen wir weiter fortgehen.“

Doch: Der Zoll ist uneffektiv und teuer, urteilte 2008 sogar der Bundesrechnungshof. Die Beamten kosten rund 400 Millionen Euro, bringen aber wenig. Laut Rechnungshof kommt nur ein Bruchteil davon an Steuernachzahlungen und Bußgeldern wieder rein. 50 Prozent ihrer Arbeitszeit sollen die Zöllner eigentlich im Außendienst Betriebe kontrollieren, es sind aber nur gut 30 Prozent.

Wolf Burkhard Wenkel, Fachgemeinschaft Bau Berlin Brandenburg
„Das bedeutet, dass wir erstens sehr viel mehr Zöllner brauchen, und diese Zöllner müssen nicht in erster Linie im Büro sitzen, sondern sie müssen draußen rum fahren und Baustellen beobachten.“

Problem: Schwarzarbeit gilt in Deutschland als Kavaliersdelikt quer durch alle Bevölkerungsschichten. Selbst so mancher Kontrolleur zeigt Verständnis für die Schwarzarbeiter.

Zöllner
„Als Zöllner nicht – privat ja!“

Auch sonst tut die Regierung wenig, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Im Koalitionsvertrag der großen Koalition standen noch konkrete Maßnahmen etwa des Pilotprojekts Sozialversicherungschipkarten, die von jedem Arbeitnehmer sichtbar zu tragen sind. So könnte man sofort erkennen, ob jemand schwarz arbeitet oder nicht. Draus geworden ist nichts. Im neuen schwarz-gelben Koalitionsvertrag taucht das Projekt gar nicht mehr auf.

Die Regierung verlässt sich wohl nur noch darauf, dass die schwarz verdienten Milliarden kräftig die Wirtschaft ankurbeln – als gigantisches Konjunkturprogramm.

Prof. Dr. Friedrich Schneider, Universität Linz
„Die Leute arbeiten nicht für das Sparbuch schwarz, sondern sie arbeiten schwarz, weil sie ein neues Auto kaufen wollen, weil der Fernseher kaputt ist, weil sie noch einmal in Urlaub fahren wollen. Und dadurch haben wir doch ein zusätzlich schwarz verdientes Geld, was in die Wirtschaft in Höhe von 100 bis 150 Milliarden Euro strömt, das einen Teil der Steuerverluste kompensiert und die Wirtschaft belebt.“

Trotz steigender Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit kann sich das Volk weiter kleine und große Wünsche erfüllen, die Wirtschaft läuft, der Staat kassiert immerhin die Mehrwertsteuer – der soziale Frieden bleibt erhalten. Die Leute gehen in die Geschäfte und nicht auf die Straße.

Prof. Dr. Friedrich Schneider, Universität Linz
„Das Kalkül der Regierung kann sicherlich darin liegen, dass die Einkommensverluste durch Schwarzarbeit ausgeglichen werden und das damit die soziale Stabilität und auch die politische Stabilität erhalten bleibt.“

Wolf Burkhard Wenkel, Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg
„Schwarzarbeit ist aus unserer Sicht das Liechtenstein des kleinen Mannes. Die Leute wollen ein bisschen Geld in der Tasche haben, auf das der Staat nicht zurückgreifen kann. Die Schwarzarbeit wird bei fast 100 Prozent der Bevölkerung akzeptiert. Die Politik wäre also herausgefordert, den Kampf gegen die eigene Bevölkerung aufzunehmen. Das tut ein demokratisch gewählter Politiker nicht, jedenfalls dann nicht, wenn er wiedergewählt werden will.“

Den Politikern traut die Bauwirtschaft in Berlin und Brandenburg schon lange nicht mehr, sondern nur noch ihren eigenen Leuten - den Baustellenläufern.

Beitrag von Detlef Schwarzer