Massentierhaltung im "Schweinehochhaus" - Amtlich verordnete Tierquälerei?

Wie ein Schwein gehalten werden darf, das ist bundesweit amtlich geregelt: im aktuellen "Handbuch Tierschutzüberwachung in Nutztierhaltungen". Verfasst im Jahr 2012 auf Initiative der Landwirtschaftsminister, verstößt es jedoch grundlegend gegen das Tierschutzgesetz. Da wundert es wenig, dass Tierschützer im so genannten "Schweinehochhaus" in Sachsen-Anhalt immer wieder auf unhaltbare Zustände stoßen: Tierquälerei mit amtlichem Siegel.

Anmoderation: Eine Zuchtsau in der Massentierhaltung: Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Ferkel so eine Sau pro Jahr in unseren Tierfabriken zur Welt bringt? Es sind - 40 bis 45! (Anm. der Redaktion: Zahl wurde am 29.08.16 korrigiert.) Fernab in ländlichen Gebieten wird künstlich besamt, gemästet und geschlachtet, was der Markt verlangt. Der Konsum, er boomt, es geht nicht mehr um Tiere, sondern nur noch um die Ware Fleisch. Tierschutzgesetze, sie stören meist.  Axel Svehla und Diana Kulozik zeigen Ihnen, wie es die Politik den Schweinemästern leicht macht, solche Gesetze zu umgehen.- Scheinbar ganz legal.

Dies ist ein Hochhaus. Erbaut in den 60er Jahren in Maasdorf, Sachsen-Anhalt. Aber was ist das? Ein Bunker, ein Gefängnis? Die Anwohner nennen den einmaligen Bau: Schweinehochhaus. Auf 6 Etagen werden hier 500 Sauen und ihre Ferkel gehalten.

Der Betreiber: die JSR Hybrid. Das Ziel des Unternehmens: Making pork more profitable.

Was das heißt, haben Tierschützer dokumentiert. Hier wird Zuchtsauen ausgetrieben, was ihre Umwandlung zur Gebärmaschine stört: freie Bewegung, artgerechtes Verhalten in der Gruppe. Circa 180 Ferkel werden einer Zuchtsau in 4 Jahren abgepresst, danach wird sie geschlachtet. Weit verbreitet wie hier im Schweinehochhaus: nur 70 cm breite, sogenannte Kastenstände: Käfige wäre wohl zutreffender. Hinlegen und ausstrecken kann sich das Tier nicht. Es ist zu groß, hochgezüchtet auf über 90 cm, die sogenannte Risthöhe.

Wir suchen Kontakt zum Betreiber des Schweinehochhauses, um die Aufnahmen aus seinem Betrieb zu überprüfen. Doch statt ein Interview zu ermöglichen, werden wir beobachtet, wird die Polizei alarmiert.

Polizei

"Nicht erschrecken, hier ist nur die Polizei"

Kontraste

"Machen wir überhaupt nicht."

Und wir werden vom Eingangstor vertrieben.

Person

"Ab, runter hier!"

Hier ist angeblich alles in Ordnung.

Kontraste

 "Also es gibt hier keine einzige Sau, die mit einer Risthöhe von 90 in 'nem 70er Kasten ist?"

Person

"Ne."

Kontraste

"Sind Sie sicher?"

Person

"Ja, Da bin ich sicher."

Was sagt die Kontrollbehörde, das zuständige Veterinäramt dazu? Sie müsste etwas wissen, denn die Zustände im Schweinehochhaus waren von Tierschützern wiederholt kritisiert worden. Die vorletzte Kontrolle fand  am 18. Mai  dieses Jahres  statt. War etwas zu beanstanden? Ein Interview gibt es nicht. Schriftlich wird mitgeteilt:

Zitat Veterinäramt Köthen

Der Betrieb erfüllt die geltenden tierschutzrechtlichen Bestimmungen (…) Es wird kein Bedarf gesehen, das Thema zum zigsten Mal aufzugreifen.

Das Veterinäramt ist genervt. Von Leute wie ihm, Jan Peifer, Tierschützer. Er hat die Zustände im Schweinehochhaus in kurzen Abständen dokumentiert und Anzeige erstattet. Die Ermittlungen wurden eingestellt, "den Tieren seien keine erheblichen Leiden zugefügt" worden – meint die Staatsanwaltschaft. Der Aktivist ist empört.

Jan Peifer, Deutsches Tierschutzbüro e.V.

"Man hat hier argumentiert, dass eben diese Missstände behoben seien und dass es gar nicht so schlimm sei. Für die Tiere, die da drin sind ist es eine Hölle, das muss man mal ganz klar sagen."

Alles Rechtens behaupten die Schweinemäster, wenn gegen ihre Anlagen protestiert wird. Selbst gegen die viel zu engen Kastenstände von 70 cm sei nichts einzuwenden, denn die seien schließlich erlaubt.

Erstaunlicherweise stimmt das. Das  Handbuch " Tierschutzüberwachung in Nutztierhaltungen" dient Veterinärämtern und Mastbetreibern als Richtlinie. Es gilt noch in den meisten Bundesländern. Dort heißt es:

Zitat:

"Von der Erfüllung der Anforderung kann (…) ausgegangen werden, wenn Kastenstände (…) mindestens wie folgt beschaffen sind: Für Sauen ….200 X 70 cm."

So wird der 70 cm breite Kastenstand in der Praxis zur gängigen Norm. Die Verfasser des Handbuchs, beauftragt von den Agrarministern der Länder, ermöglichten damit aber einen ständigen Bruch geltenden Rechts. Denn in der übergeordneten Tierschutz-Nutztierhaltungs-Verordnung ist festgelegt:

Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung § 24 Abs. 4 Nr.2:

"Kastenstände müssen so beschaffen sein, dass jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen, sowie in Kopf – und Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann."

Die Landwirtschaftsministerin von Sachsen-Anhalt ist erst seit 3  Monaten im  Amt. Die Bilder aus dem Schweinehochhaus überraschen sie.

Prof. Dr. Claudia Dalbert, (Bündnis90/Die Grünen) Landwirtschaftsministerin Sachsen - Anhalt

"Das ist nicht tiergerecht. Ich kann Ihnen das nicht sagen, warum das toleriert wurde. Ich kann Ihnen sagen, dass das unter meine Ägide jetzt nicht mehr toleriert werden wird."

Zeit wird’s für die Politik! Bereits vor einem dreiviertel Jahr urteilte die höchste Instanz, das Oberverwaltungsgericht Magdeburg:

Für eine Sau muss es möglich sein, "...jederzeit in dem Kastenstand eine Liegeposition in beiden Seitenlagen einzunehmen, bei der ihre Gliedmaßen auch an dem vom Körper entferntesten Punkt nicht an Hindernisse stoßen."

Prof. Dr. Claudia Dalbert, (Bündnis90/Die Grünen) Landwirtschaftsministerin Sachsen - Anhalt

Frage: "Sie haben vorhin gesagt, das Magdeburger Urteil hat eigentlich nur die Rechtslage bestätigt. Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass in vielen Betrieben, die sie kontrollieren täglich gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde?"

Antwort: "So ist das. Mein Eindruck ist, dass die Landkreise sehr unterschiedlich mit den Kontrollen umgehen. Ein Weggucken darf es nicht geben."

Eine klare Ansage an Veterinärämter und zuständige Landkreise. Diese Mahnung müsste eigentlich auch  ihren obersten Tierschützer hellhörig machen. Dr. König kennt das Magdeburger Urteil und weiß um die Querelen um das Schweinehochhaus. Bei der Kontrolle am 18. Mai war er selbst dabei. Auch ihm zeigen wir Bilder, die nur 9 Tage später in dem Schweinehochhaus entstanden waren. Doch statt sich über die engen Kastenstände zu empören, feilscht er um Zentimeter.

Dr. Marco König, Tierschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt

"Kastenbreite, Stockmaß von der Sau liegt bei circa 90."

"Nononono."

"Ja, wir wollen nicht um Zentimeter feilschen, die kann sich nicht hinlegen."

"80, ich sag mal, die liegt nicht, man müsste sie liegend sehen, ja. Also die haben 70er, 75er, 80er."

"Ja das war 'ne 70er."

"90er Kastenstand"

"Das war 'ne 70er"

"Wenn das ne 70er, und die Risthöhe ist 80, dann hat die 80er eigentlich in dem 70er Stand nichts zu suchen. Wenn das am 27. So war, dann ist sicherlich kritikwürdig, am 18.5. war das definitiv nicht so."

Wie nachhaltig sind solche Kontrollen? Waren sie etwa vorher angemeldet? Die Unterlagen des Veterinäramtes zeigen: das war die Regel.  Dadurch könnten sich die  Betreiber des Schweinehochhauses leicht vorbereitet haben.

Damit wird die Schweinemast quasi zum rechtsfreien Raum: Behörden nehmen es mit den  Kontrollen nicht so genau, Gesetze werden umgangen, die Politik reagiert nur zögerlich. Nicht mehr lange – so verspricht es zumindest die Ministerin:

Prof. Dr. Claudia Dalbert (Bündnis 90/Die Grünen), Landwirtschaftsministerin Sachsen - Anhalt

"Die Zukunft sehe ich nicht in Kastenständen. Wir müssen von den Kastenständen wegkommen."

Alternativen wie die artgerechtere Haltung in Gruppen sind machbar. Österreich, Schweden und die Schweiz haben sich  von der Kastenhaltung verabschiedet. Aber solange in Deutschland politisch nichts geändert wird, bleibt hier das Schwein, wozu es gemacht wurde: eine arme Sau.

Beitrag von Axel Svehla und Diana Kulozik