Verschleiern, vertuschen, vernebeln -
Bei Volkswagen wurden über Jahre hinweg betrogen, die Abgaswerte manipuliert. Das steht inzwischen fest. Konsequenz in Deutschland: Bislang nur eine Rückrufaktion, die von Experten belächelt wird. Während die Umweltbehörden in den USA VW unter Druck setzen, alle Fakten auf den Tisch zu legen, versucht sich die Bundesregierung in Intransparenz und hält sogar die Ergebnisse der von ihr selbst beauftragten Tests geheim. Im Europäischen Parlament will man das nicht länger hinnehmen.
Anmoderation: Alles soll auf den Tisch kommen, man sei dabei, schonungslos aufzuklären. Das versicherte Volkswagen heute auf einer Pressekonferenz zum Abgas-Skandal. Was soll der Konzern sonst auch sagen. Eine wirklich unabhängige Aufklärung müssten die deutschen Kontrollbehörden leisten, allen voran Bundesverkehrsminister Dobrindt. Doch bis heute sind wesentliche Fragen offen: Haben auch andere Hersteller betrogen? Warum ist die Zulassungsbehörde nicht eingeschritten, obwohl es schon lange vorher Hinweise auf Manipulationen gab? Meine Kollegen Chris Humbs und Markus Pohl haben versucht, Antworten zu bekommen. Und stießen auf eine Mauer des Schweigens.
Am Bahnhof treffen wir ihn endlich. Mehrmals haben wir Verkehrsminister Alexander Dobrindt um ein Interview zum VW-Skandal gebeten. Vergeblich. Am Rande der Vorstellung des neuen ICE dürfen wir ihn kurz fragen: Warum laufen die Ermittlungen in der Abgas-Affäre so undurchsichtig ab?
O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, Bundesverkehrsminister
"Die Wahrheit ist, dass wir vom ersten Tag an dafür gesorgt haben, dass Aufklärung stattfindet, dass Transparenz stattfindet."
Da machen wir andere Erfahrungen! Immer wieder mailen wir detaillierte Fragen zur Abgasaffäre an Dobrindts Ministerium. Auch an die ihm unterstellte Behörde, das Kraftfahrtbundesamt. Doch niemand antwortet uns. Auch nicht auf Nachfrage.
Also machen wir uns auf den Weg nach Flensburg. Das Kraftfahrtbundesamt ist dafür verantwortlich, dass die Schummel-Autos zugelassen wurden. Ausgerechnet diese Behörde soll jetzt helfen, die Abgas-Affäre aufzuklären.
Doch Chef Ekhard Zinke ist seit Wochen abgetaucht, all unsere Interviewanfragen hat er kategorisch abgelehnt. Wir versuchen es trotzdem mit einem "Spontanbesuch".
"Guten Morgen, Humbs mein Name, ARD Kontraste. Der Herr Zinke, ist der da? Können wir mit dem kurz mal sprechen?" – "Nein, mit Sicherheit nicht, also ich will gern mal anrufen."
Der Pförtner fragt noch einmal nach beim Präsidenten. Der lässt ausrichten:
"Ohne Termin geht gar nichts. Da müssen sie telefonisch bei der Pressestelle einen Termin abmachen." – "Das haben wir natürlich schon gemacht. Und da heißt es, man will die Öffentlichkeit nicht informieren." – "Nee, aber heute geht gar nichts."
Dabei hätten wir so gerne erfahren, was aus den groß angekündigten Abgastests des Bundesamtes geworden ist. Bei mehr als 50 Autos wollte die Behörde auf der Straße prüfen, ob auch andere Hersteller betrügen. Die Bilder hier aber sind von aktuellen Tests in den USA. In Deutschland liefen sie geheim ab: Presse unerwünscht.
Die Ergebnisse liegen seit einiger Zeit beim Chef auf dem Tisch. Verschlusssache.
Vielleicht haben wir etwas mehr Glück in Berlin - beim Staatssekretär Odenwald. Er ist Chef der offiziellen Untersuchungskommission zum VW-Skandal. Eingesetzt von Minister Dobrindt.
"Guten Abend, ARD Kontraste. Auf ein Wort: Wie sieht's denn momentan aus mit dem VW-Skandal, mit den Ermittlungen?" – "Können sie mich später gerne fragen."
Doch ein Später gibt es nicht - trotz offizieller Interviewanfrage.
In den USA klärt man den Abgas-Skandal öffentlich auf. Der US-Chef von VW musste sich den kritischen Fragen der Kongress-Abgeordneten stellen. Ganz anders in Deutschland: Hier mauschelt die Untersuchungskommission hinter verschlossenen Türen.
Der Minister will davon nichts wissen.
O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, Bundesverkehrsminister
"Nein. Die Untersuchungskommission ist nicht geheim, sondern die ist öffentlich, die tagt ständig, das weiß man."
Ein kreativer Umgang mit der Wahrheit. Tatsache ist: Selbst im Bundestag weiß man bis heute nicht, welche Personen eigentlich in dieser Kommission sitzen, ob sie vielleicht enge Verbindungen zur Automobilindustrie haben. Abgeordnete sprechen gegenüber Kontraste bereits von einer "geheimen Bruderschaft".
O-Ton Oliver Krischer, MdB, stellv. Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/ Die Grünen
"Da wissen wir weder die Mitglieder noch den Untersuchungsauftrag geschweige denn irgendwelche Ergebnisse. Also das, was wir im Moment sehen zum Thema Transparenz und VW-Skandal, das ist das exakte Gegenteil. Das ist organisierte Intransparenz."
Fehlenden Aufklärungswillen beklagt auch Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Der Verbraucherschutzverband ist spezialisiert auf Autos, führt eigene, aufwändige Abgastests durch. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass auch andere Hersteller manipulieren könnten. Verkehrsminister Dobrindt hat daran offenbar kein Interesse.
O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe
"Wir haben alle Untersuchungsergebnisse immer sofort ihm und auch seiner Arbeitsebene und dem Kraftfahrtbundesamt zur Verfügung gestellt. Wir haben gesagt, wir haben ergänzende Informationen, die wichtig sind für ihre Messungen. Man weigert sich, mit uns Gespräche zu führen."
Warum die Regierung den auffälligen Prüfergebnissen nicht nachgeht, liegt für den Umweltschützer auf der Hand.
O-Ton Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe
"Politik und Verwaltung sind wirklich in einer Zwickmühle. Seit acht Jahren werden sie nicht nur von uns damit konfrontiert, dass die Automobilindustrie lügt und betrügt. Man hat trotzdem nicht gemessen. Je mehr man jetzt natürlich feststellt, dass das alles stimmt, umso größer das politische Desaster."
Auffällig schweigsam zu alldem ist die Bundeskanzlerin. Also die Frau, die sich vor vielen Jahren einmal ernsthaft um Eisberge und Eisbären kümmerte. Zum Abgas-Skandal hört man wenig von ihr. Aber in Brüssel hat sie angeblich ihren Einfluss geltend gemacht.
Dort hat die EU-Kommission als Reaktion auf den VW-Betrug endlich die Einführung neuer, realistischer Abgastests beschlossen – auf der Straße, mit solchen Messgeräten. Vorgesehen waren strenge Grenzwerte für die giftigen Stickoxide. Die aber wurden in letzter Sekunde mal wieder aufgeweicht.
Vom Brüsseler Verkehrs- und Umweltexperten Greg Archer erfahren wir, dass Angela Merkel die Tests verwässert hat.
O-Ton Greg Archer, Verkehrsexperte, Transport & Environment
"Die deutsche Regierung ist eingeschritten. Kanzlerin Merkel hat in Großbritannien und Frankreich angerufen, um Unterstützung zu erhalten für laschere Grenzwerte. Ich halte das für eine Schande. Statt sich um die Gesundheit ihrer Bürger zu kümmern, hat die deutsche Regierung leider erneut zugunsten seiner Autoindustrie eingegriffen."
Wir fragen nach: Hat Angela Merkel wirklich trotz des VW-Skandals hinter den Kulissen interveniert? Die Antwort oder besser Nicht-Antwort kommt von einem Sprecher des Kanzleramts:
"Grundsätzlich kann ich keine Auskunft zu Einzelheiten (…) geben."
Im EU Parlament ist man jedenfalls ziemlich sauer auf die deutsche Hinterzimmer-Politik. Selbst die Sozialdemokraten. Sie wollen sogar einen Untersuchungsausschuss einrichten.
O-Ton Ismail Ertug, SPD, Mitglied des Europäischen Parlaments
"Ich denke, dass ein Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament – und davon gab es jetzt wahrlich nicht viele, also allein daran sollte man erkennen die Bedeutung, die das Europäische Parlament der Aufklärung zumisst – dass man letztendlich hier versucht, auch Dinge ganz knallhart und nüchtern anzugehen, die womöglich aus nationalen Befindlichkeiten, aus Lobbyinteressen oder was auch immer, womöglich national nicht geregelt werden können oder aufgedeckt werden können."
Während VW in den USA strenge Strafen drohen und der Verkaufstopp der betroffenen Autos anhält, präsentiert man in Deutschland eine Billig-Lösung. Dieses Röhrchen für ein paar Euro und ein Software-Update sollen angeblich alles wieder richten.
Den Minister überzeugt das:
"Unser Eindruck der Umrüstungskonzepte ist positiv."
Ganz anders sehen das Experten wie Ferdinand Dudenhöffer. Für die etwa 2,4 Millionen betroffenen deutschen Autofahrer könnte die technische Umrüstung der Fahrzeuge bitter enden.
O-Ton Prof. Ferdinand Dudenhöffer, Auto-Experte, Universität Duisburg-Essen
"Man muss davon ausgehen nach meiner Einschätzung, dass der Verbrauch zunimmt oder Leistung abnimmt. Also das heißt, diese Lösung, die man vorstellt, die macht man nach meiner Einschätzung auf dem Rücken der Kunden. Ich glaub was der Bundesverkehrsminister Dobrindt macht, ist Politikmarketing. Also der versucht den Leuten ein U für ein X zu verkaufen."
Also: Beschwichtigen und Vernebeln statt der versprochenen Transparenz und Aufklärung.
Beitrag von Chris Humbs und Markus Pohl