Konzert | Tokio Hotel in Berlin - Mit Pappaufsteller und Plüschkostüm durch den Monsun
Der Durchbruch für Tokio Hotel kam im Jahr 2006 mit dem Song "Durch den Monsun". Fast 20 Jahre später ist die Band aus Magdeburg wieder auf Europa-Tour, auch mit Halt in Berlin. Ein Abend zwischen Musik- und Modeshow. Von Jakob Bauer
Im Foyer der Uber-Eats-Music-Hall grinst einen Bill Kaulitz von einem Pappaufsteller an, Werbung machend für sein neues Parfum "Himmel". Drinnen hängt ein großer Vorhang vor der Bühne auf dem steht "Tokio Hotel – presented by Vodafone". Davor: Menschen, die vor 20 Jahren Teenies waren (und auch viele, die dem Teenie-Dasein noch gar nicht lange entwachsen sind), bereit, gleich wieder so loszukreischen wie damals, wenn auch nicht mehr ganz so ausdauernd.
Dahinter: Tokio Hotel, die sich bereit machen, symbolisch passend überlebensgroße Schatten auf den Vorhang werfen. Beats pumpen durch die Halle, die Spannung steigt, dann fällt der Vorhang und Bill Kaulitz fährt aus dem Bühnenboden heraus – mit Engelsflügeln, einer Erlöserfigur gleich, hinauf in den Hallen-Himmel.
Pop-Zirkus mit kommerzieller Schlagseite und die Liebe zum Andersartigen
Tokio Hotel waren vielleicht das erste große Pop-Außenseiter-Phänomen der 2000er-Jahre in Deutschland. Ihre Markenzeichen: androgyne Looks, große Gefühle, die Musik irgendwo zwischen Rock, Pop und Emo. Mit viel Make-up und extravagantem Stil brach vor allem Sänger Bill Kaulitz Geschlechterklischees auf und brachte queeren Ausdruck in den Mainstream. Dass Tokio Hotel seit ihrer Jugend von einem großen Label aufgebaut wurden und es unsicher ist, wieviel da authentisch ist und wie viel cleveres Marketing, ändert natürlich nichts daran, wie wichtig die Magdeburger für viele Millionen deutsche Teenager waren.
Und genau diese Mischung aus perfekt durchchoreografiertem Pop-Zirkus mit kommerzieller Schlagseite, die sich in Pappaufstellern und offensiv präsentierten Tour-Sponsoren widerspiegelt, und einer Liebe zum Ausgeflippten, Andersartigen prägt auch diesen Abend.
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Anfangs mehr Mode- als Musikschau
Sänger Bill Kaulitz wechselt gerade zu Beginn der Show alle zwei Songs das Outfit, legt nach den Engelsflügeln ein Glitzer-Kostüm mit Fransen-Überwurf an und kommt dann in rosa Plüsch inklusive Plüschgitarre und Plüschsombrero auf die Bühne. Zu sehen hat man da definitiv was und es macht schon Freude, sich da immer wieder vom nächsten krude-knalligen Outfit überraschen zu lassen.
Musikalisch bewegen sich Tokio Hotel mittlerweile zwischen Electro-Pop und Pop-Rock, nur ist der Sound in der Halle so makellos und gleichförmig produziert, dass man gerade am Anfang unsicher ist, was da jetzt überhaupt echt gesungen und gespielt wird, es ist mehr Moden- als Musikschau.
"Das sind meine Berliner"
In der Mitte des Konzerts spielen Tokio Hotel allerdings ein Akustik-Set. Und ohne diese ganze Super-Produktion, nur mit Stimme und Gitarre, entfaltet die Musik mehr Wirkung. Das Konzert bekommt einen besseren Flow, wenn Bill weniger Outfits wechselt, mehr im Hier und Jetzt ankommt und auch gesprächiger wird. Das bringt eine angenehme Reibung in die Glätte der Show.
Er erzählt von seinem durchgeschwitzten Tanga, witzelt über Bandkollegen, fragt: "Wer ist besoffen?" Jubel folgt: "Das sind meine Berliner", sagt er und erzählt dann von einem Song, den er mit 16 schrieb, nicht wissend, wie viel er später vielen bedeuten würde. Und das stimmt eben auch.
Tokio Hotel bleiben
Tokio Hotel sind auch 2025 noch interessant, zum Beispiel Bills Mode-Verrücktheit und sein androgynes Auftreten kombiniert mit manchmal schon klischeehaftem Mucker-Pop-Rock. Und auch die Zusammenarbeit mit Künstlern, die nach ihnen kamen und die eigentlich in ganz anderen musikalischen Richtungen unterwegs sind, zeigen, dass die Magdeburger bis heute eine Faszination auf viele ausüben: Die Indie-Rock-Rap-Band Kraftklub zum Beispiel hat einen Song mit Tokio Hotel komponiert, genauso wie Pop-Star Nina Chuba, mit deren zugespielter Stimme Bill an diesem Abend ein Duett singt. Live sind das Höhepunkte eines Konzerts, das natürlich mit "Durch den Monsun" als Zugabe enden muss, denn egal ob perfekt inszeniert oder echt: Für viele bedeuten Song und Band noch immer die Welt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.03.2025, 6 Uhr