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Die Terroranschläge auf Israel und der Gaza-Konflikt strahlen bis zu uns nach Deutschland aus. Für israelische und jüdische Kulturschaffende hat sich das Leben weiter verändert. Zu Trauer und Angst um Verwandte und Freunde im Kriegsgebiet, kommt die Stimmung hier: Brandanschläge und Straßenkrawalle in Berlin, ein Festival kann nur unter erhöhten Sicherheitsbedingungen stattfinden, Konzerte werden abgesagt, Künstler*innen entfernen vorsichtshalber ihre jüdischen Namen vom Klingelschild.
Nur Ben Shalom, Klarinettist
"Es fällt mir schwer zu spielen. Ich bin Klarinettist. Ich habe alle Konzerte abgesagt, die ich absagen konnte. Man kann sich nicht konzentrieren. Man kann nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Wir haben uns verändert. Ich habe mich verändert, meine Familie, das jüdische Volk hat sich verändert."
Seit den Terroranschlägen hat der israelische Musiker Nur Ben Shalom sein Handy immer griffbereit, bangt, wie es Freunden und Familie in Israel geht.
Nur Ben Shalom, Klarinettist
"Gerade hat mir meine Mutter erzählt, dass mein Vater gestern unterwegs war im Süden Israels um Freiwilligenarbeit zu leisten. Und dann gab es Raketenalarm. Er war gerade im Auto, es gab nirgends einen Bunker oder Safe-Room. Also ist er aus dem Auto geflüchtet und hat sich auf den Boden unter eine Brücke gelegt. Als der Alarm vorbei war, ist er weitergefahren. Ein paar Minuten später gab es wieder einen Alarm. Er war schon woanders. Aber dann hat er erfahren, dass die Brücke, unter der er vorher gelegen hatte, von einer Rakete getroffen wurde. Er war so nah dran."
Neben dem Kriegsgeschehen in seiner Heimat, bereitet Nur Ben Shalom auch die Situation in Berlin große Angst.
Nur Ben Shalom, Klarinettist
"Ich fühle mich nicht sicher. Ich spreche draußen kein Hebräisch, ich schreibe auf dem Handy nicht mit hebräischen Buchstaben, ich versuche sogar, kein Englisch zu sprechen, weil ich denke, dass man an meinem Akzent erkennen könnte, woher ich komme. Eines der Dinge, die man dann machen muss, ist vielleicht nicht aufzufallen, oder den Namen von der Klingel zu nehmen. Dieser Krieg, das ist ein Glaubenskrieg, und dieser Krieg kommt auch nach Europa."
Auf die Synagoge in der Berliner Brunnenstraße warfen Unbekannte in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch Molotowcocktails. Hunderte antisemitische Vorfälle wurden bundesweit seit Kriegsausbruch gezählt. Und auch in den sozialen Medien entlädt sich der Hass ungehemmt. Das Ausmaß und die Absender der menschenverachtenden Botschaften schockieren die Kulturwissenschaftlerin Stella Leder.
Stella Leder, Kulturwissenschaftlerin
"Wir haben letzte Woche eine Eskalation von Antisemitismus gesehen hier in Deutschland, auch was Antisemitismus im Kulturbetrieb angeht, die ich nicht erwartet hätte in dieser Weise."
Gemeint ist – unter anderem – der Berliner Kurator Edwin Nasr. Dieser verbreitete auf Instagram Bilder von Menschen, die vor Hamas-Terroristen während eines Festival flohen. Darauf die Aussage: "Poetic Justice" - Poetische Gerechtigkeit. Gegenüber der taz bestätigte Nasr, die Collage verbreitet zu haben, er habe zu diesem Zeitpunkt aber nicht gewusst, dass viele Festivalbesucher getötet wurden.
Stella Leder, Institut für Neue Soziale Plastik
"Dass ein Berliner Kurator mehr oder weniger unmittelbar Hamas-Propaganda verbreitet in den Sozialen Medien, oder dass es Künstlerinnen gibt, die das verharmlosen, oder die das sogar feiern, das hätte ich nicht gedacht."
Um Antisemitismus im Kulturbetrieb ging es auch bei Stella Leders Festival "Reclaim Kunstfreiheit". Ein Event, bei dem besonders viele jüdische und israelische Kunstschaffende zusammenkamen, trotz, oder gerade wegen des Krieges.
Stella Leder, Institut für Neue Soziale Plastik
"Das ist auch das, was wir bieten können, was wir leisten können. Also wir haben gesagt, wir lassen diesen Rahmen nicht zerstören. Wenn Leute so unmittelbar betroffen sind, ist ja immer die Frage: Wo gehe ich denn jetzt hin am nächsten Tag? Also wenn ich gerade Angehörige verloren habe, oder Angst habe, welche zu verlieren, oder sie vermisst werden, dann fällt die ganze Welt auseinander. Das Festival war ein Rahmen, der relativ safe war in diesem Moment dahinzugehen. Weil niemand, der oder die angefangen hat zu heulen zwischendurch musste sich irgendwie rechtfertigen dafür, dass das passiert ist. Alle wussten, worum es geht."
Deutlich spürbar beim Festival: angespannte Blicke auf das Smartphone, Gespräche über den Kriegsverlauf. Und, starke Sicherheitsmaßnahmen. Nur Ben Shalom will seine Konzerte nur noch mit Polizei-Schutz spielen. In den kommenden Wochen ist er wieder mit seinem Projekt Lebensmelodien unterwegs. Die Stücke erzählen von der Resilienz von Jüdinnen und Juden während der Shoa.
Nur Ben Shalom, Klarinettist
"Im jüdischen Volk müssen wir auch in den schwierigsten Situationen das Licht sehen. Ich will daran erinnern, dass wir stark sind. Seelisch stark. Wir haben uns verändert. Aber wir müssen weitermachen."
Autorin: Marie Röder