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Die Kindheit der berühmten Performance Künstlerin Marina Abramovic war, wie sie selbst sagt, beschissen, aber umso besser sei sie als Künstlerin geworden, "weil man etwas hat, mit dem man arbeiten kann". Wie viel Kind steckt in der Kunst? - das hat die Kunstkritikerin Gesine Borcherdt Künstler:innen gefragt und in ihrem Buch "Dream On, Baby" zusammengefasst.
Als Marina Abramović sechs Jahre alt war, wollte ihr Vater, dass sie schwimmen lernte. Mitten auf dem Adriatischen Meer warf er sie aus dem Boot und ruderte davon. In Todesangst, um ihr Leben strampelnd, schaffte sie es zu seinem Boot zurück. Es war das schlimmste Erlebnis ihrer Kindheit und gleichzeitig Antrieb für ihre Performancekunst, in der sie sich Extremsituationen aussetzt. Das erzählt Abramović in dem neuen Buch von Gesine Borcherdt.
Gesine Borcherdt - Kunstkritikerin und Autorin
"Sicherlich ist der Impetus Kunst zu machen immer aus `nem Schmerzensmoment heraus. Das würde ich denken, haben alle auf die ein oder andere Weise gemeinsam, selbst wenn viele auch eine absolut freie und glückliche Kindheit hatten. Aber es gab eben kleine Bruchmomente, in denen man schon merkt in `ner Beschreibung, dass da irgendwas war."
Mit 33 Künstler*innen hat Gesine Borcherdt über ihre Kindheit und ihre Kunst gesprochen. Jeff Koons wuchs in einem liebevollen, fürsorglichen Umfeld in Pennsylvania auf. Die Belgierin Berlinde de Bruyckere musste als Kind in der Metzgerei der Eltern in Gent mithelfen. Ronny Lischinskis Eltern waren Aufseher im DDR Gefängnis. Er wuchs in Brandenburg in einer Gefängniswärtersiedlung auf.
Gesine Borcherdt sagt von sich selbst, sie sei in einem behüteten, bürgerlichen Umfeld groß geworden. Eine enge Freundin ihrer Mutter hat ihre Faszination für die Kunst geweckt.
Gesine Borcherdt - Kunstkritikerin und Autorin
"Meine Mutter hatte eben diese Freundin, die Künstlerin war und die wie ein Wirbelwind in unser Haus manchmal reinkam und einfach ganze Tischgesellschaften unterhalten hat. Und das kannte ich so nicht. Mich hat das fasziniert, mit welchem inneren Kompass diese Frau ihr Leben gelebt hat. Und ich glaube, dass mich da beides angefangen hat zu interessieren. Und zwar Kunst einerseits und die Persönlichkeit dahinter andererseits."
Gesine Borcherdt studierte Kunsthistorik. Seit über 20 Jahren arbeitet sie als Journalistin und Kuratorin im Kunstbetrieb. Die meisten Künstler*innen in ihrem Buch kennt sie schon lange.
Gesine Borcherdt - Kunstkritikerin und Autorin
"Ich hab gemerkt, dass das einfach ein Thema ist, was viele selbst reizt, darüber zu sprechen. Ich war auch bei dem Buch jetzt überrascht, dass die Hemmschwelle relativ niedrig ist, sich zu öffnen."
Einige haben zuvor noch nie über ihre Kindheit gesprochen. Wie zum Beispiel der Künstler Wong Ping aus Hong Kong.
Lebensfreude und Liebe hat es bei seinen Eltern nicht gegeben. Es ging nur ums Geld verdienen. Er durfte nie raus. Bücher besaß er keine. Fernsehen war verboten, Heute macht er Videoinstallation, und es geht um unterdrückte Begierden.
Gesine Borcherdt - Kunstkritikerin und Autorin
"Ich glaube, dass diese große Sensibilität, die Künstlerinnen und Künstler besitzen – eben wie eine Antenne – genau dahin geht, das, was einfach vielleicht sich brüchig anfühlt oder nicht ganz stimmig, das zu transformieren und dann wirklich in diese Filterung zu gehen in der Kreativität und eben als Kunst am Ende das Ganze zu verarbeiten."
Mit der Künstlerin Mary-Audrey Ramirez plant Gesine Borcherdt gerade eine Ausstellung. Auch ihre Kindheit ist Teil des Buches. Als 9-Jährige fing sie an, Computer Games zu spielen. Die Welten aus den Videospielen wurden ihr zu Hause, die Wesen darin zu ihren Weggefährten.
Sie wünschte sich immer, dass das, was in den Games passiert, real wäre.
Mary-Audrey Ramirez - Kunstkritikerin und Autorin
"Es ist keine Parallelwelt, es ist schon auch so `ne echte Welt, die aber nicht haptisch ist so, ja. Und ich versuch das immer so irgendwie haptisch darzustellen."
In ihrer Kunst überträgt Mary-Audrey Ramirez die Fantasiewelt der Computerspiele in die Realität. Für die Ausstellung kreiert sie gerade mit ihrem Freund ein eigenes Videospiel. So unterschiedlich die Persönlichkeiten in Gesine Borcherdts Buch auch sind. Sie alle haben eines gemeinsam: die Feinfühligkeit zu reflektieren, warum sie das tun, was sie tun.
"Dream On Baby" hat Gesine Borcherdt ihr Buch genannt. "Träum weiter, Baby"
Gesine Borcherdt - Kunstkritikerin und Autorin
"Ich finds ganz schön, dass die Träume eben sich realisiert haben oder einen anderen Weg gefunden haben. Bei all diesen Künstlerinnen und Künstlern sind sie in Kunst etwas Neues geworden oder viele haben vielleicht wirklich ihren Traum gelebt. Denn ganz viele wussten ja schon oder eigentlich alle wussten ganz früh, dass sie Künstler sind."
Autorin: Lilli Klinger