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Seinen 60igsten hat er in der Ufa Fabrik gefeiert. Noch heute ist ein Saal nach ihm benannt: Wolfgang Neuss war das Enfant terrible des west-deutschen Bürgertums. Er nannte den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker - damals noch Regierender Bürgermeister Berlins - nur "Richie" und sprach sich für die Legalisierung von Cannabis aus. Bis heute gilt Wolfgang Neuss als scharfzüngigster Satiriker der westdeutschen Nachkriegszeit und Schandschnauze der Nation. 100 wäre er jetzt geworden.
Wolfgang Neuss
"Ach guten Abend, ich liebe ja Zuspätkommer, das ist das Zeichen von eigener Meinung, zeugt von einer ungeheuren Portion Individualismus."
Wolfgang Neuss liebte es zu provozieren – und dafür wurde er geliebt: In den 50er und 60er Jahren vor allem in West-Berlin. In den 70ern vergessen, in den 80ern wiederentdeckt.
Brigitte Grothum, Schauspielerin
"Er war als Mensch, er war ein heutiger Philosoph vielleicht auch er war in seiner ganzen Art so, so einmalig. Er war so unglaublich authentisch und in sich geschlossen als Person. Er war selbstbewusst, er war stark. Es war für mich. Damals habe ich ihm auch oft gesagt: Du bist für mich der stärkste Mann, den ich kenne."
Wolfgang Neuss
"Die Vereinigung kommt, sage ich, eines Tages steht sie vor der Tür. Da biste vielleicht gar nicht zuhause, sage ich noch zu ihm."
1923 wird Wolfgang Neuss in Breslau geboren. Er beginnt eine Lehre als Schlachter, aber eigentlich will er Clown werden, geht mit 15 Jahren nach Berlin. 1941 muss er dann als deutscher Soldat an die Ostfront.
Arnulf Rating, Kabarettist
"Dann hat er gesehen, hier komme ich gar nicht klar und hat sich dann den Zeigefinger der linken Hand abgeschossen und hat dann immer gesagt; Das ist jetzt also "Kunst statt Krieg"."
Schon im Lazarett bespaßt er alle als Witzeerzähler. Nach dem Krieg 1949 lernt er Wolfgang Müller kennen, mit dem er sich auf Anhieb versteht. Für die Presse gehören sehr bald zu den "Wunderkindern" des deutschen Films.
Im Theaterstück "Keine Angst sie kriegen sich" spielt 1955 Brigitte Grothum an der Seite von Wolfgang Neuss. Damals ist die große deutsche Schauspielerin noch jung und am Anfang ihrer Karriere.
Brigitte Grothum, Schauspielerin
"Und ich war natürlich in ihn... Man kann sich nicht in ihn verlieben. Es war… Man konnte sich in seinen Geist verlieben, in seine Persönlichkeit. Ich war fasziniert von ihm."
Im Stück "Schieß mich Tell" soll Brigitte Grothum ein Lied singen. Doch bei der Probe fällt ihr der Text nicht ein. Wolfgang Neuss spielt und führt mit Regie.
Brigitte Grothum, Schauspielerin
"Also wenn nicht bis morgen nicht ganz streiche ich das und das war Fakt. Ganz ernst war auch für mich gar kein Handeln möglich. Nichts. So von da an habe ich Tag und Nacht. Ich kann das heute noch, Tag und Nacht das Lied geübt."
"In Frankreich kommt die Göre vom jüngsten Richter Kind acht Jahre alt, die Göre, die schon wie Sartre spinnt. An solchen Kindersplänen kann man groß verdienen, und neues Leben blüht aus den Ruinen. So war det."
Im Film "Wir Kellerkinder" entlarvt Wolfgang Neuss das Schweigen der Nazi-Väter gegenüber ihren Söhnen. Und wie wenig diese Generation zu ihrer Schuld stand.
Wolfgang Neuss, "Wir Kellerkinder"
"Und dann guckte er mich an und sagte: Schließlich hätten wir doch alle mitgemacht. Ich guckte mir meinen Ollen mal richtig an, jetzt wußte ich, warum ich meinen Vater immer gut leider konnte. Ich kannte ihn nicht."
"Wir Kellerkinder" wird 1961 sein erfolgreichster Film. Einige Jahre später zieht sich Wolfgang Neuss zurück - sein Erfolg schwindet.
Wolfgang Neuss
"Da habe ich langsam aufgehört mit dem Fernsehen mit dem Film, es hat mich nicht mehr so sehr interessiert. Ich wollte mal etwas anderes machen. Ich habe immer mehr Fußball gespielt, aber mich auch immer mehr gelangweilt."
Er sympathisiert mit der 68er Bewegung, mischt sich in die Debatte um den Vietnamkrieg ein - diskutiert mit Rudi Dutschke. Der einst so beliebte Kabarettist wird zum Bürgerschreck.
Arnulf Rating, Kabarettist
"Die Presse hat ihn gemieden und so, aber für viele Leute war er jemand, der eben Erkenntnis gewonnen hat durch Rauchen, durch LSD. Und er hat das ja als eigene Therapie gemacht. Er hat gesagt, ich ziehe mich zurück. Er wurde gefragt: Woran arbeitest du? An mir."
In den 80er Jahren wohnt Wolfgang Neuss in der Lohmeyerstraße. Er berauscht sich und hält Hof: Viele Künstler besuchen ihn.
Arnulf Rating, Kabarettist
"Da ist die Türe immer offen. Und dann sind wir dahin gegangen hat Neuss gesagt, ihr kommt erst jetzt und hat da so eine Kabarettakademie gemacht, wo auch immer, … also nach jeder Scheibenwischer Sendung mit Dieter Hildebrandt kam die ganze Crew da an und hat ihre Absolution von Neuss abgeholt."
Ein Freund ist Richard von Weizsäcker, damals der regierende Bürgermeister von West-Berlin. Wolfgang Neuss fordert seinen Freund "Richie" auf Cannabis zu legalisieren. Er ist krebskrank – die Drogen helfen gegen die Schmerzen. In dieser Zeit sieht Brigitte Grothum ihn beim Fußball-Spiel ihres Mannes wieder.
Brigitte Grothum
"Da steht am Rand eine Oma, die steht, eine Oma mit so langen Haaren und ohne Zähne. Ich habe gedacht, um Gottes Willen das ist Wolfgang. Ich habe mich ehrlich gesagt erst gar nicht getraut hinzugehen. Und dann bin ich doch hingegangen. Ich dachte er wird gar nicht wissen, wer ich bin. Und da sagt er messerscharf zu mir mit den nicht vorhandenen Zähnen. Ach Mensch, Kleene, ja, Du hast geheiratet, den Arzt da und hast auch zwei Kinder. Knallwach, ganz messerscharfer Verstand."
Wolfgang Neuss
"Ich habe keine Angst vorm Zahnarzt, ich habe halt ein Schattenkabinett im Mund."
Autorin: Margarete Kreuzer