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Vier Freunde kennen sich aus Mariupol und treffen sich wieder in Berlin. Wie hat der Krieg ihre Lebenswege verändert? Was macht der Krieg mit ihrer Freundschaft? Es ist die neue Regiearbeit von Stas Zhyrkov, der bis 2022 das Left Bank Theatre in Kyiv geleitet hat.
Klassenausflug zu Proben in die Schaubühne. Eine Willkommensklasse aus Schöneberg – Integrationshilfe auch für diese Jugendlichen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Wie die beiden Ukrainer im Stück auf der Bühne.
"Postkarten aus dem Osten" erzählt von ihrer Freundschaft mit 2 Deutschen. Sie treffen sich alle zum Abendessen in Berlin. Jetzt im Januar 2024. Kennengerlernt haben sie sich in Mariupol.
"Ich will gar nicht wissen oder zeigen, wie Mariupol heute aussieht, deswegen habe ich Euch Bilder von meiner letzten Reise dahin mitgebracht. Das ist das Theater wo wir fünf uns 2014 kennengelernt haben. Aber inzwischen völlig ausgebrannt, habe ich mir sagen lassen."
Die Fotos sind tatsächlich von 2014. Martin Valdes-Stauber hat sie gemacht. Pavlo Arie und er haben sich damals in Mariupol am Theater kennengelernt, sind Freunde geworden. Ihr Stück spiegelt wie der Krieg beide im Innersten trifft.
Pavlo Arie, ukrainischer Theatermacher
"Wie waren wir damals? Und wie sind wir geworden? Und was wird mit uns in Zukunft?"
Martin Valdés-Stauber, deutscher Theatermacher
"Und ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir ein Stück machen wollten über Freundschaft. Ja, also Freunde, die zusammenbleiben, die Verluste erleben zusammen, die zusammen verbunden sind durch ein unsichtbares Band, die aber auch in der Lage sind, sich zu streiten, sich uneins zu sein, beieinander zu bleiben. Und das Theater ist kein Ort der Antworten, sondern ein Ort, in dem man Fragen stellen muss."
Zum Beispiel die Frage: Sollte der russische Präsident Putin ermordet werden? Das Stück ist zweisprachig. Während der Ukrainer Orest am liebsten selbst Hand anlegen würde, sind die beiden deutschen Freunde kritisch.
"Welche Garantie gibt es, dass falls Putin getötet wird, nicht noch ein brutalerer Diktator an die Macht kommt."
- "Genau."
"Das ist nicht die Lösung, nicht der Diktator muss beseitigt werden, sondern das gesamte System, dass zu so einem Diktator führt."
Die Deutschen analysieren aus der Ferne, während die Ukrainer gegen den Wahnsinn ankämpfen.
Pavlo Arie
"Was wollen wir erzählen? Das kannst du alles in den Nachrichten sehen. Die Frage ist, was habe ich zu sagen? Vielleicht, ich suche immer, ob ich mich noch spüre, ob ich noch lebe. Oder ist alles vorbei? Und ich bin nur eine Maschine aus Fleisch und Blut? Ob meine Seele noch lebt?"
"Bachmut, gibt es nicht mehr."
"Sewerodonezk, gibt es nicht mehr."
"Mariupol, gibt es nicht mehr"
Pavlo Arie
"Du musst noch weitermachen. Du musst doch weiter deine Eltern lieben, deine Freunde lieben, um sie kümmern und sie gleichzeitig verstehen. Ich komme aus Kiew, Kiew wird nie so wieder so sein, wie es früher war. Die Menschen werden nie wieder so sein wie früher. Und das macht mich natürlich verrückt."
Diese Zerrissenheit haben sie direkt auf die Bühne gebracht. Irgendwie mit dem Kriegstrauma umgehen, mit den Schuldgefühlen, mit der Trauer und trotzdem weiterleben im Exil. Die Ukrainerin Anastasia im Stück ähnelt Pavlo Arie. Wie er ist sie Jüdin – hadert mit dem alten und dem neuen Antisemitismus.
"Meine Seele kämpft, um sich zu retten …"
Das Stück "Postkarten aus dem Osten" ist störrig und hochaktuell.
Martin Valdes-Stauber
"Vielleicht versucht das Stück auch zusagen: Liebe Leute, es gibt ganz viele Fragen in unserer Gegenwart, die wir diskutieren müssen. Alle sagen, es gibt keine Räume mehr, in denen wir diskutieren können, wir versuchen das im Theater vorzumachen, natürlich kann man kontrovers diskutieren."
Für die Jugendlichen aus der Willkommensklasse ist es ihr erstes Theaterstück in Berlin. Am Ende aber sind sie fasziniert.
Ukrainischer Jugendlicher
"Es sind gemischte Gefühle. Aber die Aufführung selbst bringt einen dazu, über Dinge nachzudenken, die man sonst im Alltag verdrängt."
"Postkarten aus dem Osten" ist unerbittlich und erinnert daran, dass Freunde sich alles sagen sollten.
Autor: Andreas Krieger