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Der 27.01. ist der Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus. Seit 3 Jahren ist Deborah Hartmann Leiterin des "Haus der Wannseekonferenz". Ihr Ziel ist es, das Gedenken einer neuen Generation zu eröffnen, vor allem, da es immer weniger Augenzeugen gibt.
Hunderttausende gehen in Deutschland gegen Rechtsradikale auf die Straße. Anlass sind Geheimpläne, geschmiedet nicht weit vom Haus der Wannseekonferenz entfernt. Die Leiterin dieses Gedenkortes ist Deborah Hartmann.
Deborah Hartmann, Leiterin Gedenkstätte Haus der Wannssee‑Konferenz
"Wie bei vielen anderen auch, war ich natürlich am Anfang total entsetzt, dass ein solches Treffen tatsächlich stattgefunden hat über das, was da gesprochen wurde. Und natürlich ist es auch seltsam, sich dieser geografischen Nähe zum Haus der Wannseekonferenz bewusst zu sein."
Deborah Hartmann ist es immer um mehr, als das reine Erinnern gegangen. Wie verändern Geheimpläne, steigender Antisemitismus ihre Arbeit und ihr Lebensgefühl?
Deborah Hartmann
"Ich finde es erst mal erschreckend. Das zeigt aber auch, wie sehr sich da bereits auch schon ein Denken oder vielleicht auch Haltungen durchgesetzt haben. Und vielleicht waren wir uns dessen in der Form nicht bewusst, wie tief verankert bestimmte Haltungen und Einstellungen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft bereits sind."
Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Deborah Hartmann ist besorgt: Vor drei Jahren kommt sie aus Israel nach Berlin, um die Leitung der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz zu übernehmen. Seitdem hat sich vieles verändert. Sie beobachtet eine Welle antisemitischer Strafttaten, mehr Hass in Deutschland, verhärtete Fronten.
Deborah Hartmann
"Naja, interessant, weil ich erst vor ein paar Tagen mit meinem Mann darüber gesprochen habe, ob wir uns eigentlich gedacht haben, wenn wir hierher nach Deutschland kommen, dass wir uns in den Debatten wiederfinden, in denen man jetzt drinnen steckt? Und ich glaube, wir haben es beide wirklich sehr schnell mit ‚Nein‘ beantwortet. Also dass wir uns vor drei Jahren tatsächlich nicht gedacht haben, dass die Entwicklungen und die Tendenzen in so eine Richtung gehen."
Aufgewachsen ist Deborah Hartmann in Wien. Mit Anfang Zwanzig geht Sie nach Jerusalem, um in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zu arbeiten. 15 Jahre bleibt Sie hier. Die Erinnerung an die Opfer der Shoa begleitet Sie ihr Leben lang.
Deborah Hartmann
"Ich hab mir nicht ausgesucht, ob ich mich damit beschäftigen will oder nicht. Es war halt immer Teil der Auseinandersetzung in meiner Familie und deshalb eben auch ein Stück von mir. Also, ich bin in dem Haus aufgewachsen, wo mein Großvater geboren wurde, vertrieben wurde, das dann arisiert worden ist, was er sich zurückgeholt hat in den 50er Jahren in Österreich. Und in dem Haus bin ich aufgewachsen und deshalb war immer klar: Okay, davon kann ich mich nicht loslösen."
Seit Dezember 2020 ist die Leiterin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Am 20. Januar 1942 planen hier 15 hochrangige Vertreter des NS-Regimes die Deportation und Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas. Für Deborah Hartmann eine Gedenkstätte mit besonderer Bedeutung.
Deborah Hartmann
"Es ist ja kein Tatort, aber es ist ein Täter-Ort. Und gleichzeitig aber können wir hier nicht nur über die Handlungen der Täter nachdenken, sondern haben einfach immer beide Perspektiven, die in einem permanenten Austausch miteinander stehen. Und deshalb ist für mich das so ein Ort, der Verstörung, aber der produktiven Verstörung, aber auch der kritischen Auseinandersetzung. Vielleicht können wir einen ganz kleinen Beitrag leisten, um Menschen dazu anzuregen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, aber auch bewusster mit der Gegenwart umzugehen."
Das Treffen von AfD-Politikern mit Neonazis und finanzstarken Unternehmern, das Correctiv enthüllt hat, fand statt, nur wenige Kilometer entfernt von der heutigen Gedenkstätte.
Die Recherche ist auch Thema bei einer aktuellen Veranstaltung des Haus der Wannsee-Konferenz am vergangenen Sonntag. Wie umgehen mit dem Hoch der AfD? Wie die Demokratie bewahren?
Deborah Hartmann ist es wichtig, zu diesen Fragen rechtzeitig in den Dialog zu treten.
Deborah Hartmann
"Die sind uns eigentlich schon drei Schritte voraus und ich glaube, das ist das, was vielleicht viele überrascht hat und was viele vielleicht in der Form nicht sehen wollten oder nicht wahrhaben wollten: Dass wir jetzt nicht am Anfang einer Entwicklung stehen, sondern dass wir eigentlich mittendrin sind. Und ja, also eigentlich ist jetzt ist es jetzt allerhöchste Zeit zu handeln. Also vor allem, wenn man sich das jetzt anschaut mit Blick auf die Wahlen, die in diesem Jahr stattfinden."
Die aktuellen Demonstrationen sind für Deborah Hartmann ein erster Schritt.
Deborah Hartmann
"Bleibt es dabei oder übertragen wir diese Handlungen oder übertragen wir diese Haltung auch in unseren Alltag? Das, finde ich, ist die entscheidende Frage!"
Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel, hat sich auch ihr Leben hier verändert. Dinge geschehen, die sie sich bisher nicht vorstellen konnte.
Deborah Hartmann
"Wir wurden schon zwei Mal mit Post adressiert, wo ein Hakenkreuz drauf beschmiert gewesen ist. Wenn mir in der U-Bahn der Spruch entgegenkommt: ‚Alle Israelis sind Mörder und gehören umgebracht‘ oder so. Natürlich kommt man damit in Berührung."
Die Solidarität nach den Anschlägen hat Deborah Hartmann wahrgenommen und sie hat sie auch beeindruckt. Dennoch fragt sie sich, warum nicht mehr Menschen ihre Stimme erhoben haben?
Deborah Hartmann
"Natürlich frage ich mich, irgendwo tief in mir drin, ja, warum hat das eigentlich letzten Endes so wenig Menschen mobilisiert und auf die Straße getrieben? So positiv ich das jetzt finde, dass Menschen zu diesen Demos gehen, da frage ich mich schon, warum sich Menschen in diesem Land weniger angesprochen fühlen, wenn es um die Frage von Antisemitismus geht."
Das Thema darf kein Anliegen der Betroffenen bleiben. "Nie wieder" ist längst da. Es ist heute umso wichtiger aus der Vergangenheit zu lernen.
Autor: Max Burk