-
Anfeindungen, Boykottaufrufe, Shitstorms. Es gärt in der Berliner Clubszene. Ein Schwerpunkt der Hamas-Massaker vom 7. Oktober letzten Jahres war das "Supernova-Festival" für elektronische Musik. Trotzdem gab es danach aus der Clubkultur in Berlin wenig Solidarität. DJs, die als zu pro-israelisch oder zu pro-palästinensisch gelten, werden ausgeladen. Nur wenige sprechen darüber. Eine bricht jetzt das Schweigen.
Über den Dächern von Berlin treffen wir eine DJ. Sie legt regelmäßig weltweit in Clubs und bei Festivals auf. Sie will anonym bleiben – gerade sind ihre einige Jobs weggebrochen, weil sie sich mit den Opfern des Massakers durch die Hamas auf dem Supernovafestival solidarisiert hat.
DJ (nachgesprochen)
"Als DJ in der Clubszene ist es mir wichtig, Empathie und Solidarität mit den Opfern eines der größten Massaker bei einem Musikfestival zu zeigen. Ich finde es unerklärlich, dass viele DJs dazu schweigen oder die Solidarität mit den PalästinenserInnen infrage stellen, wenn man das Massaker vom 7. Oktober als Gräueltat bezeichnet. Ich kann gleichzeitig den Opfern des 7. Oktober und den PalästinenserInnen solidarisch gegenüberstehen und gleichzeitig die Regierung kritisch betrachten und die Hamas verurteilen, ohne dabei Antisemitismus zu reproduzieren. Doch aus Angst meine Lebensgrundlage zu verlieren äußere ich mich weniger, was zeigt, wie Menschen, die über Antisemitismus in der Clubszene sprechen möchten, unsichtbar gemacht werden."
Festivals zum Beispiel suchen sich selbst die DJs aus, die dort auflegen. Es sind Promoter, die sie buchen. Ein guter Ruf ist also existentiell.
DJ (nachgesprochen)
"Es herrscht eine starke Unsicherheit und Annullierung von Künstler:innen gegenüber Promoter:innen und anderen Künstler:innen. Ich setze mich stets politisch für einen sichereren Clubraum ein, der gegen Sexismus, Rassismus und Antisemitismus vorgeht und versuche, Räume für alle offener zu gestalten. Doch wenn man sich jetzt antisemitismuskritisch äußert, wird oft das Bild erzeugt, man würde rassistische Stereotype reproduzieren und Palästinenser:innen ausschließen. Ich finde wir müssen aufhören, diese Themen gegeneinander auszuspielen, und auch wie bei Rassismus damit anfangen in eine Selbstkritische Auseinandersetzung mit Antisemitischen Ressentiments zu gehen."
Sascha Disselcamp ist sowas wie ein Urgestein in der Clubszene: Angefangen hat er in den 80er Jahren mit einem Punk Club, heute gehört ihm das Sage – wie er, sowas wie eine Institution in der Szene. Sascha Disselcamp beobachtet gerade, dass sich die Clubszene an dem Konflikt zerreißt. Sogar ganze Veranstaltungen abgesagt werden.
Sascha Disselcamp, Betreiber Sage Club
"Was ich wirklich nicht verstehen kann, wo die Solidarität blieb. Nach dem 7. Oktober, nach dem Anschlag auf das Supernova Festival und alles, was an diesem Tag passiert ist, dass es keine schockierte Öffentlichkeit gab, die sich solidarisch mit den Opfern und den Angehörigen der Opfern gezeigt hat. Stattdessen gab es ganz kurze Zeit später eine riesige Welle der Unterstützung und auch mit Äußerungen, als sei es vielleicht doch ein Akt der Selbstverteidigung gewesen. Das kann ich nicht verstehen."
Ein Beispiel: die Plattform DJs against Apartheid. Mehr als 2000 DJs weltweit haben hier unterschrieben. Das Massaker der Hamas wird hier als legitime Selbstverteidigung bezeichnet.
Nicholas Potter, Journalist und Autor
"Dieser bewaffnete Widerstand sei eine natürliche Reaktion auf das, was die PalästinenserInnen erlebt haben. Also, das finde ich wirklich eine Verherrlichung von terroristischer Gewalt und das ist komplett unerträglich."
Der Autor und Journalist Nicholas Potter hat gerade ein Buch zum Thema Judenhass Underground veröffentlicht – er beobachtet wie sich emanzipatorische Subkulturen wie eben auch die DJ und Clubszene positionieren.
Nicholas Potter
"Die Szene wurde über die Jahre – man denkt an Ibiza und die Loveparade, wurde immer kommerzialisierter, immer heteronormativer und auch immer entpolitisierter und viele DJs heutzutage suchen die Repolitiserung. Sie wollen ein politisches Statement machen und sehr plumpe Israelkritik bietet denen eine sehr niedrigschwellige Möglichkeit. Also die müssen ein Land boykottieren, indem sie vielleicht noch nie gespielt haben, sie müssen nur einen offenen Brief unterschreiben, einen Hashtag teilen, und dann können sie schon zeigen, dass sie zu den Guten gehören."
Vor allem jüdische Menschen und Israelis fühlen sich in den Berliner Clubs nicht mehr sicher. Mancher Betreiber fragt sich, ob er jetzt Polizeischutz braucht, wenn israelische DJs auflegen.
DJ (nachgesprochen)
"Ich finde diese Form der Annulationskultur sehr erschreckend und glaube, wir müssen beginnen, kritisch mit uns selbst zu sein, während wir gleichzeitig versuchen, offener und empathischer miteinander umzugehen. Die Clubszene ist derzeit stark gespalten, was zu einem Verlust von Gemeinschaft, Verständnis und Empathie führt, die wir sonst bei einer elektronischen Clubnacht gemeinsam auf dem Dancefloor erleben und zwar dann, wenn wir zusammen tanzen."
Sascha Dissselcamp
"Würde mir auf jeden Fall wünschen, dass die Gesellschaft oder auch unsere Clubszene solidarischer wird mit allen Menschen. Und ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass das Morden auf beiden Seiten aufhört, auf allen Seiten aufhört, dass wir uns dafür gemeinsam einsetzen. Ich würde mich auch sehr darüber freuen. Wir würden wieder in Dialog miteinander treten und auch unterschiedliche Meinungen akzeptieren und aushalten."
Autorin: Nathalie Daiber