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Annett Gröschner und Peggy Mädler sind Schriftstellerinnen, Wenke Seemann ist Fotografin. Sie bezeichnen sich als Ostfrauen und reden jetzt in einem Buch darüber: "Drei Ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat". Es geht ums Nacktbaden und darum, wie unsere Demokratie auf die Probe gestellt wird. Erinnerungen kreisen um Begriffe wie "Völkerfreundschaft", "Utopie" oder "Weltfrieden" und es geht um Dialektik und Gummitwist. Und natürlich um die ostdeutsche Frau, wie sie ist und wie sie nicht ist, um Klischees, die es immer noch gibt und die manchmal sogar zutreffen.
Anett Gröschner, Autorin
"Ich bin Annett Gröschner. Ich bin Schriftstellerin, manchmal auch Journalistin. Ich habe eigentlich die letzten 30 Jahre im Archiv gesessen und habe die DDR aufgearbeitet, für mich, für andere."
Wenke Seemann, Künstlerin
"Ich bin Wenke Seemann. Ich bin Künstlerin. Ich komme aus Rostock. Ich bin 1978 geboren."
Peggy Mädler, Autorin
"Peggy Mädler, ich bin Autorin und Dramaturgin. Ich wurde in Dresden geboren, bin also Ost sozialisiert. Ich bin 76er Jahrgang. Mittlerweile ist es sogar schon fast wie eine Zeitzeugin."
"Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat" so der grandiose Titel ihres Buches. Sie haben miteinander geredet und das aufgeschrieben. Zwischen Nacktbaden, Platon und Pegida bezeugen sie ihr eigenes Erleben. Wie sind sie, die ostdeutschen Frauen? Gibt es sie eigentlich oder nur die Klischees von ihnen? Unprätentiös seien sie – und hätten keine rasierten Beine.
Peggy Mädler, Autorin
"Naja, die ostdeutsche Frau kann auf jeden Fall mehrere Einkaufsbeutel am Lenker ihres Fahrrads transportieren."
Anett Gröschner, Autorin
"Das ist eine reine Klischee Liste: Ostfrauen sind Rabenmütter, die bringen ihre Kinder um sechs in die Kita und holen sie nachts um zwölf wieder ab. Oder Ostfrauen treiben ab. Also alle Klischees, die uns so eingefallen sind, haben wir erst mal aufgezählt. Aber wir wissen natürlich und das ist glaube ich auch schon etwas, was unser Buch ausmacht, immer radikal, niemals konsequent."
Ihr Buch werden sie als Performance präsentieren, mit Bowle und schwarzen Overalls. Die Fotografien im Buch, die den Text nie einfach illustrieren, hat Wenke Seemann auf überlagertem ORWO Film gemacht. Das Verfallsdatum war 1991.
Wenke Seemann, Künstlerin
"Ich fand's eine ganz schöne Idee, tatsächlich mit den alten Filmen zu fotografieren, die quasi aus dem Land kommen, was uns geprägt hat und wo die Emulsion noch irgendwie im besten Fall da ist oder auch nicht."
Die Zeit hat sich in die kaputte Emulsionsschicht gelegt. Erinnerungen und Prägungen, darüber reden die drei Frauen, damit wir es nicht vergessen. Geld. Neoliberalismus. Transformation. In Magdeburg stieg die Zahl der Sterilisationen bei Frauen von acht 1989 auf 1200 im Jahr 1991. Und die ostdeutsche Industrieproduktion brach bis Mitte der Neunziger um 75 Prozent ein.
Wenke Seemann, Künstlerin
"Das Problem ist, die Widrigkeiten vom Neoliberalismus, die in den Neunzigern zum Tragen gekommen sind, treffen den Osten. Und nicht nur die ostdeutsche Frau noch mal viel stärker, weil eine eine andere Form von Sicherheit da ist oder eben nicht."
Anett Gröschner, Autorin
"Für uns ist natürlich auch die Frage, dass eben die Sachen, die für die Daseinsvorsorge sind, eben im Laufe der letzten 30 Jahre immer mehr privatisiert worden sind. Und plötzlich merkt man, funktioniert aber nicht so ein Altenheim, warum soll da noch jemand dran verdienen?"
"Wer sich nicht wehrt verliert Demokratie, kommt an die Kochinsel", erzählen sie im Buch. Es passt ja auch nicht in den idealen Staat, dass immer noch dreiviertel aller berufstätigen Frauen in schlecht bezahlten, typischen Frauenberufen arbeiten. Damals am runden Tisch, erinnern sie, wurde ein Verfassungsentwurf erarbeitet der Vieles vorsah.
Anett Gröschner, Autorin
"Was ist da drin, was auch nicht im Grundgesetz ist. Also zum Beispiel so was wie Recht auf Wohnen oder Recht auf Arbeit. Oder dass quasi die Ehe nicht geschützt ist, sondern die Familie. Und da haben wir hier geguckt, was ist davon übrig geblieben."
Was braucht man in einem Staat, in dem man seine Zukunft verbringen will? In ihren Gesprächen, mal plaudernd aber nie profan, gehen sie Begriffe durch: Belegschaft, Kollektiv, Kaufhalle, Supermarkt oder die gute alte Dialektik, das Aushalten von Widersprüchen.
Anett Gröschner, Autorin
"Da haben wir uns sehr lange mit beschäftigt, mit dem Dialektik Begriff einfach so, im Gegensatz zu diesem Moralisieren und schwarz-weiß-Denken und andere Begriffe, wo wir eben gemeint haben, mit denen können wir nichts mehr anfangen. So was wie Völkerfreundschaft schon, weil da Volk drinsteht steckt, wo wir so unsere Schwierigkeiten haben. Aber ein Wort wie Solidarität ist etwas, was was wir mit in die Zukunft nehmen wollen."
In den siebziger Jahren sollte bei Magdeburg ein Kernkraftwerk gebaut werden. Daraus wurde nichts, weil die Elbe dort zu schmutzig war. Auch das gehört zur Dialektik des Widerspruchs, worüber die drei letztlich beim Gummitwist reden.
Anett Gröschner, Autorin
"Das würde ich schon sagen, ist schon so ein Rest Mitte ist so ein Rest, was ich aus dieser DDR-Sozialisation schon mitnehme, dass ich sehr undialektisch aufgewachsen bin. Mitte raus. Dass ich, oder wir alle, natürlich mit so einem Freund-Feind-Schema aufgewachsen sind: Das ist gut, das ist falsch. Das ist sozialistisch, das ist nicht sozialistisch. Also so eine ganz undialektische Weltsicht."
Sie retten mit ihren Gesprächen nicht unsere verknotete Gegenwart aber sie ermutigen mit ihrem Buch es ihnen gleich zu tun: miteinander reden. Und ihre Frage: "Wonach streben?" ist eine gute Frage.
Autor: Hans-Michael Marten