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Sie demonstrieren lautstark mit antisemitischen Parolen für Palästina. Auf der anderen Straßenseite unter Polizeischutz eine Veranstaltung in einem Technoclub – gegen Antisemitismus nach dem Terror des 7. Oktober. Viele jüdische Menschen in der Warteschlange fühlen sich bedroht von den radikalen Demonstranten. Die Stimmung bedrückend, aufgeheizt.
Julia Alfandari, Publizistin
"Ich finde, es ist eine Stimmung, die von Angst getrieben ist. Jeder oder Jede weiß nicht so richtig weiter. Es gibt eine Orientierungslosigkeit. Die Zwischentöne sind eigentlich nicht mehr hörbar, werden zum Schweigen gebracht teilweise von den Rändern, die sehr polarisieren. Wir haben alle eine Verantwortung zur Menschlichkeit, und diese Menschlichkeit, dieses Grundprinzip der Menschlichkeit ist irgendwie verloren gegangen. Wir haben uns entmenschlicht."
Die Menschlichkeit wieder in den Vordergrund zu stellen, gegen den Hass, das will Julia Alfandari mit ihrem Essay in dem neuen Buch "Trotzdem sprechen". Deshalb hat sich die ehemalige Leiterin des Anne-Frank-Hauses an dem Projekt beteiligt, mit 18 weiteren Autor*innen.
Palästina Flaggen sind gerade bei Demos sehr präsent, Deutsch-palästinensische Stimmen aber sind fast verstummt. Sie fürchten den Generalverdacht, seitdem Wenige das Massaker der Hamas in der Sonnenallee feierten. Dagegen schreibt Nazih Musharbash im Buch an.
Nazih Musharbash, Präsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft
"Wenn der Bundespräsident selber uns anspricht. Palästinenser, arabischstämmige Muslime mögen sich von der Hamas distanzieren, dann steckt doch alleine schon in dieser Aussage eine Vermutung, wir stünden in der Nähe von Hamas, was nicht der Fall ist! Hamas ist eine Minderheit, die islamistisch diktatorisch ihre Bürger regiert hatte und aggressiv ist. Das weiß jeder. Und dieser Generalverdacht hat uns im Grunde erreicht."
Auch an den Berliner Unis gab es propalästinensische Proteste. Ein Hörsaal wurde besetzt – jüdische Studierende lautstark rausgeworfen. Diesen linksradikalen Antisemitismus thematisiert das Buch, denn er lenkt von der eigentlichen Bedrohung ab.
Julia Alfandari, Publizistin
"Wir sehen einen wahnsinnigen Rechtsruck, der mir sehr viel Angst macht. Ich kriege es auch im Kulturbereich immer wieder zu hören. "Na ja, wenn wir über den Rechtsruck sprechen, das hatte ja was mit der Zeit vor dem 7. Oktober zu tun." Und es ist brandgefährlich und es wird uns so auf die Füße fallen, denn wenn sich die Linke oder die progressiven Stimmen so sehr zerfetzen und sich gegenseitig lähmen, also nicht mehr zusammen sprechen können, dann spielt das den Rechten in die Hände, ohne dass sie etwas machen müssen."
Miryam Schellbach, Herausgeberin "Trotzdem sprechen"
"Wir stehen vor drei Landtagswahlen. Wir sind mit einer Gesellschaft konfrontiert, die nicht mehr miteinander spricht, die einzig und allein oder vornehmlich in Ausschlüssen funktioniert."
Der Vater der Verlegerin Miryam Schellbach ist Palästinenser, herausgegeben hat sie das Buch "Trotzdem sprechen" mit der jüdischen Schriftsellerin Lena Gorelik und der Historikerin und Judaistin Mirjam Zadoff. Das Massaker der Hamas, die Entführung der Geiseln, der Krieg in Gaza für alle Drei traumatisierend.
Miryam Schellbach
"Die Herausgeberin Lena Gorelik, Mirjam Zadoff und ich haben total viel miteinander gesprochen nach dem 7. Oktober. Das lag so ein bisschen daran, dass wir Freunde haben, die in Israel leben, Familie haben, die in Israel leben. Und dann haben wir angefangen, uns anzunähern in ganz einfachen Fragen. "Wie geht es dir gerade? Wie erlebst du die Zeit? Wie? Wie bewältigst du den Alltag trotz der Sorgen um die Menschen in Palästina und Israel?" Und daraus entstand dann so ein kontinuierliches Gespräch, von dem wir dachten: Wenn wir das können, dann sollte das doch eigentlich unsere Gesellschaft auch können."
Das Buch bietet keine Lösungen, vielmehr ruft es auf zu mehr Akzeptanz, es geht ums Zuhören und "Trotzdem sprechen", miteinander und nicht gegeneinander.
Julia Alfandari, Publizistin
"Das Buchprojekt war für mich dann schlussendlich sehr heilsam. Es war eigentlich ein therapeutischer Prozess, denn in dem Buchprojekt konnte ich wirklich meine Gedanken fassen, die Komplexität versuchen zu greifen und ja, meine Stimme in dem Ganzen vielleicht hörbar zu machen."
Nazih Musharbash
"Ich hatte erst mal Bedenken gehabt - "Was schreibst du denn da?" Und ich dachte, wenn jetzt etwa 14, 15 Leute sprechen über den Konflikt und wie sie das empfunden haben, dann können wir im Grunde eine Initialwirkung haben für andere, damit eben die Diskussion weiter fortläuft. Also ich glaube schon, dass dieses Buch eine Menge bewirken kann. Und ich hoffe, dass wir eine Fortsetzung machen können in den nächsten Monaten."
Autorin: Nathalie Daiber