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Wer fände das nicht überfordernd: per Zufall begegnen sich verschiedene Liebhaberinnen in der eigenen Wohnung. Da bleibt nur die Flucht aufs Dach, wo sich schließlich alle wiederfinden. Das ist die kammerspieleartige Ausgangssituation des Romans "Schwindel". Hengameh Yaghoobifarah ist eine der bekanntesten und streitbartesten Stimmen der queeren Community. Der zweite Roman der Autor_in handelt von queerem Begehren und probiert eine neue Literatursprache aus, um komplexe Lebenswirklichkeiten abzubilden. Ein kompromissloses Buch von einer kompromisslosen Person.
Hengameh Yaghoobifarah sucht noch nach dem passenden Werkzeug. Heute ist Signierstunde bei Dussmann. Dreieinhalb Jahre hat Hengameh am neuen Roman gearbeitet, jetzt endlich ist er fertig.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Wie heißt du denn?“
- "Francis."
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Ich freu mich immer, wenn Freund_innen oder Leser_innen mir sagen, dass sie sich irgendwie weniger einsam fühlen, wenn sie meine Bücher lesen oder irgendwas über sich selber da drin finden können oder dass sie meine Geschichten, die ich schreibe, sie berühren, das ist glaube ich das schönste Feedback."
Mit nur 33 Jahren hat Hengameh bereits einiges vorzuweisen. Die Kolumne "Habibitus" schrieb Hengameh sechs Jahre lang für die TAZ. Der erste Roman "Ministerium der Träume" wurde zum Beststeller.
Hengamehs neuer Roman spielt auf einem Dach. Er erzählt von Ava. Ihre drei Liebhaber_innen treffen sich zufällig bei ihr zu Hause und Ava flieht aufs Hausdach. Die drei verfolgen sie und dann fällt die Tür zu. Nun sind die vier gefangen mit ihren Konflikten und den Schwindelein, die jetzt auffliegen.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Schwindeln ist nicht sowas Böswilliges wie Lügen manchmal ist. Ich habe auch als Kind viel geschwindelt, wenn es darum ging, gegen Regeln zu Hause verstoßen zu haben. Hast du noch Süßigkeiten genommen? Nein. Nein, auf keinen Fall, äh. Oder um Fernsehzeit oder so. Aber der Schwindel ist dann aufgeflogen. Wenn man zum Beispiel, als meine Eltern von der Arbeit nach Hause gekommen sind, den Fernseher angefasst haben und der glühend heiß war."
Auf dem Dach fliegen Lebenslügen auf. Gekonnt kombiniert Hengameh im Roman vier Blickwinkel: jede der queeren-Figuren wird präzise mit ihren persönlichen Problemen gezeichnet.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Es geht auch um Gefangenschaft innerhalb der patriarchalen Gesellschaft. Was bedeutet es Frau zu sein, was bedeutet ist, Lesbe zu sein? Und was bedeutet es vielleicht auch, diese Begriffe hinter sich gelassen zu haben?"
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Was war zuerst da, die Sprache oder das Leben? Das Geschlecht? Kann etwas überhaupt existieren, wenn es nicht benennbar ist? Oft sagt man: man hat keine Sprache für das, was gerade passiert. Was man meint ist: einem fehlen die Worte. Sie exisiteren, doch sie fallen einem nicht ein oder man weigert sich, sie zu verwenden, weil es das Unfassbare fassbar macht."
Hengameh lebt seit 2014 In Berlin, ist aber in Nordeutschland geboren und aufgewachsen, da kennt man schlechtes Wetter. Hengamehs Motto ist "lebe, liebe, lache" – so macht Minigolf selbst im strömenden Regen Spaß.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Kaum kommt eine Herausforderung, fliege ich schon auf, als Mini-Golf-Schwindler."
Hengameh identifiziert sich als non-binär, weder weiblich noch männlich. Am liebsten wird Hengameh ganz ohne Pronomen angesprochen, doch am Ende gibt es wichtigeres als das Gendern.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Wenn ich jetzt irgendwie in einer Bäckerei mir irgendwas kaufe oder im Supermarkt bin und Leute mich mißgendern, ist es mir nicht so wichtig. Die Probleme von Trans-Leuten sind ja nicht primär, dass sie mißgenderd werden, klar das ist auch scheiße, aber Gesundheitsvorsorge z.B., oder dass Queerfeindlichkeit sowohl in Form von Straftaten als auch in Politik so einen Aufschwung hat, das ist das viel größere Problem."
Hengameh ist schon immer ein politischer Mensch, der allgegenwärtige Populismus ärgert ihn maßlos. Deswegen ist er seit kurzem Mitglied bei den Linken.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Es braucht einfach eine linke Opposition in einer Zeit, wo selbst die Grüne rechte Talking Points vertritt, und deswegen dachte ich, so ein kleiner Mitgliedsbeitrag und vielleicht Unterstützung beim Wahlkampf sind eine Sache, die ich machen kann. Ich seh nich jetzt nicht in der Karriere irgendwelche Ämter zu besetzen oder zu kandidieren."
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Soll ich schreiben zum Geburtstag?"
Für Hengameh beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt: nach zehn Jahren beim Missy Magazin hört Hengameh auf.
Hengameh Yaghoobifarah, Autor_in
"Wenn mir etwas Spaß macht, dann mach ich das gerne und wenn es aufhört mir Spaß zu machen, dann höre ich am liebsten damit auf, ich habe da nicht so die krasse Motivationsstrecke in mir, und deswegen ist es auch schön, dass es Leute gibt, die gerne meine Bücher lesen und auch offen dafür sind, dass das zweite Buch nicht dasselbe ist wie das erste und das wäre ja auch langweilig."
Jetzt geht’s auf Lesereise und Hengameh will bald das nächste Buch schreiben. Die Geschichte steht noch nicht, doch es wird sicher wieder eine Erzählung über den Mut, zu sein, wie man ist.
Autorin: Vera Drude