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Vieles aus der Epoche der Aufklärung im 18 Jahrhundert beeinflusst uns bis heute - der Anfang der modernen Demokratie, der Sieg der Vernunft über mythisches Gemunkel, eine Idee von Freiheit. Eine große Ausstellung im Deutschen Historischen Museum will jetzt Bezüge aus dieser Zeit bis ins Heute schaffen und erkunden. Wo gibt es Verbindungen im Guten, aber auch Ambivalenzen?
"Was ist Aufklärung?" - auf 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche im Deutschen Historischen Museum. Doch man kann der Ausstellung schon im Freilichtmuseum Berlin nebenan nachgehen. Die Neue Wache, Unter den Linden. Ein Bau von Karl Friedrich Schinkel – perfekte Symmetrie, nach antikem Vorbild.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Vor der Aufklärung gab es den Versuch, zu unterscheiden. Wie setzt man sich ab von der Vergangenheit? Im 18. Jahrhundert entdeckt man die Antike, als einen Fundus für die Moderne. Und wir haben in der Architektur eben jemanden wie Schinkel, der versucht, Griechenland in Preußen nachzubauen."
Oder ein paar Meter weiter. Friedrich der Große – ein aufgeklärter Herrscher – so sagt man. Aber gibt es so etwas überhaupt?
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Das Widersprüchliche ist bereits, wie kann ein Monarch gleichzeitig Monarch sein, seine Untertanen sozusagen im Zaum halten – und aufgeklärt sein?"
Die Lindenoper des alten Fritz aber ist ein Paradebau der Aufklärung, Wie wäre es mit Mozarts "Zauberflöte"? Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Wir wissen, dass Mozart ein Mitglied einer Freimaurerloge war – und wir wissen, dass Mozart in der Zauberflöte wahrscheinlich einige dieser Gedanken übersetzt hat."
Aufklärung von "Aufklaren", "Enlightenment" im Englischen – Licht ins Dunkel bringen. In der Ausstellung begrüßt einen ein Bild namens "Aufklärung". Statt eines eitlen Sonnenkönigs strahlt hier, kurz nach der Französischen Revolution, das Licht der Vernunft.
Der wohl bekannteste Satz dazu stammt von Immanuel Kant. "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit." Kuratorin Liliane Weissberg ist zweifach von der Epoche der Aufklärung fasziniert.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Das eine ist die Diskussions- und Gesprächskultur. Das heißt, das kritische Denken wird hier gepflegt oder zumindest zum Ziel gesetzt. Das andere sind die Forderungen. Forderungen, die vielleicht heute noch für uns gelten, aber auf jeden Fall sehr viele gelten sollten – Forderungen nach Gleichheit, Emanzipation, Redefreiheit und die aber nicht alle umgesetzt wurden."
Doch die Ausstellung will auch Widersprüche des geistigen Aufbruchs zeigen. Da wäre zum Beispiel der spätere US-Präsident Thomas Jefferson. Als die USA 1776 ihre Unabhängigkeit erklären propagiert dieser das Recht auf Freiheit, Gleichheit und Glück – doch Jefferson selber besitzt Sklaven – die Namensliste ist ebenfalls ausgestellt. Oder: ein Symbol eines um Freiheit bittenden Sklaven – auf einer widersprüchlichen Schachtel.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"…mit der Unterschrift "Humanity", Humanität. Es ist aber eine Tabakdose – und daran sehen wir das Paradoxe der Zeit, es ist eine Pflanze die von Sklaven angebaut und verarbeitet wurde."
Es ist das Zeitalter der Wissensexplosion, der technischen Neuerungen, europaweit werden hunderte Millionen Bücher gedruckt – ein prunkvolles Mikroskop aus dem englischen Könighaus zeigt: der moderne Monarch bildet sich weiter. Der Hype um Montgolfieren erreicht ein französisches Ballkleid.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Hier wird Wissenschaft zu einem Modeaccessoire. Man muss sich mit einem Heißluftballon schmücken."
Die Vermessung der Welt – das neue Wissen wird geordnet. Der schwedische Naturforscher Carl von Linné gibt den Anstoß – die Natur wird kategorisiert, klassifiziert. Bald ist auch der Mensch dran – bei der "Phrenologie" sollen die Eigenschaften des Menschen am Schädel erkennbar zu sein – da entgleist etwas.
Liliane Weissberg, Kuratorin
"Und hier, in diesem Ordnen, das zum Klassifizieren wird haben Sie den weiteren Schritt, wo die Schädel des Menschen beschrieben werden. Und die Schädel des Menschen indem sie geordnet werden und hierarchisiert werden. Das wird dann zur Grundlage einer Rassenideologie, wie sie sich bis zum 19. Jahrhundert hin entwickelt."
Kontrolle und Ordnung können gefährlich werden. Auch dafür ist die Aufklärung immer wieder angegriffen worden. Aber es entstehen lebhaften Diskussionsräume, zum Beispiel in Kaffeehäusern und Salons – hier lesen eher noch die Männer. "Sapere aude – Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen" – schrieb Kant 1784. Was heißt das heute – in Zeiten von Fake News, Verschwörungstheorien, immer schneller sich drehenden Aufregern auf Social Media?
Raphael Gross, Direktor Deutsches Historisches Museum
"Insofern hat man doch das Gefühl, dass es ein Kampf ist – in dem Sinne wieder auf aufklärerische Fragen zurückzukommen – nämlich die Möglichkeit, nach Gründen zu fragen und nicht gleich schon zu urteilen. In dem Moment, wo die Meinung alleine auf persönlichen Gefühlen basieren und nicht auf der Frage "warum?" können Sie auch schwer nur noch diskutieren. Und da habe ich doch das Gefühl, dass die Aufklärung doch ein Modell ist, dass bis in die Gegenwart hinein, ich würde sogar sagen, ein Sehnsuchtsort ist, wo wir wieder hinwollen."
1784 beklagte Immanuel Kant das Gängelband, an dem Kinder und sinnbildlich eine ganze Gesellschaft hingen. Eines ist in der Ausstellung zu sehen. Sapere aude, habe Mut– auch 240 Jahre nach Kants Aufsatz ist dieser Satz kein Selbstläufer. Im Internet sind inzwischen wieder Gängelbänder zu kaufen – sie heißen nur anders.
Autor: Steffen Prell