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Der Senat will sparen und auch die Kultur soll betroffen sein. Genaue Zahlen rückt keiner raus. Die Kreativen in Berlin fürchten Schlimmes und haben diese Woche protestiert. Was droht, worum geht es genau? Wir begleiten die Schauspielerin Constanze Becker zur großen Demonstration.
Es ist ein anderer Arbeitstag für das Berliner Ensemble: Demonstrieren für die Kultur. Die ganze Theater-Belegschaft - vom Intendanten bis zur Beleuchterin - ist unterwegs zum Brandenburger Tor.
Constanze Becker Schauspielerin
"Es fühlt sich im Moment noch an, ein bisschen wie ein Betriebsausflug, einfach weil es so schön ist, wenn alle zusammen sich auf den Weg machen."
Auch Constanze Becker ist dabei - eine der renommiertesten Theater-Schauspielerinnen Deutschlands und seit 7 Jahren fest am Berliner Ensemble. Immer wieder war sie zum Theatertreffen eingeladen mit ihren Hauptrollen in griechischen Tragödien.
"Er hat als Verräter sich gezeigt."
Wie hier als Kindsmörderin "Medea" oder in der "Orestie"-Inszenierung als Klytämnestra.
Heute ist die Probe für ihr neues Stück auf den Nachmittag verschoben. Zuerst geht Constanze Becker auf die Straße.
Constanze Becker Schauspielerin
"Das hab ich noch nie erlebt. Es gab auch noch nie so eine Situation wirklich, die so existentiell bedrohend ist."
Am Brandenburger Tor trifft sie Hund Kafka und Ehemann Oliver Kraushaar, auch er Schauspieler am Berliner Ensemble. Unter dem Motto "Berlin ist Kultur" versammeln sich hier Kulturschaffende aus allen Bereichen - von Musikschulen und Bücher-Bussen genauso wie Prominenz aus dem Schauspiel.
Katharina Thalbach, Schauspielerin & Regisseurin
"Es ist ja selten, dass Künstler, die wir ja alle sehr individuelle Persönlichkeiten sind und auch gerne immer alleine so durchmarschieren, dass wir uns mal so zusammenfinden - aber das geht jetzt langsam ans Eingemachte!"
Das Eingemachte sind 10 Prozent weniger öffentliches Geld vom Berliner Senat für die Kultur. Eine Kürzung dieser Größenordnung soll schon ab Januar kommen.
Lars Eidinger, Schauspieler
"10 Prozent sparen heißt für uns tatsächlich: die Schaubühne dichtmachen. Ich glaub, das machen sich die Leute nicht so richtig bewusst."
Janina Benduski, Organisatorin #BerlinIstKultur
"Das können sich die meisten Menschen nicht vorstellen, aber diese Häuser kosten Betriebskosten, es gibt Verwaltungspersonal - das ist alles fest gebundenes Geld. Und das eigentliche künstlerische Programm wird mit ganz wenig Geld gemacht. Wenn man davon Geld wegnimmt, bricht das mehr oder weniger sofort zusammen."
Alexander Scheer, Schauspieler
"Mit den Auswirkungen haben wir erst in zwei Jahren zu kämpfen. Dann sind nämlich alle Buden hier insolvent. Und nicht nur die Großen, die Kleinen, die Mittleren - alle!"
Aufrütteln, bevor es zu spät ist - darum geht es auch Constanze Becker. Auf der Bühne liest sie einen Text von Heiner Müller.
Constanze Becker liest auf der Demo
"Wenn man einen Frosch ins heiße Wasser wirft, versucht der natürlich rauszukommen. Wenn man einen Frosch in lauwarmes Wasser setzt und die Temperatur allmählich erhöht, kocht der sich fröhlich zu Tode."
Keiner hier will enden wie der Frosch. Aber alle fühlen: Es wird heißer.
Muriel Nestler, Kostümkollektiv
"Wir sind vom Kostümkollektiv e.V. Das ist ein Verein, der die Kostüme der Freien Szene sammelt und als Fundus wieder zur Verfügung stellt."
Constanze Becker
"Und wie finanziert ihr euch? Oder geht das über Spenden?"
Muriel
"Unsere Haupteinnahmequelle war von ‘18 an eine Förderung aus dem Senatshaushalt Berlin - und der ist jetzt auf der Kippe."
Constanze Becker
"Darf ich Dich kurz fragen, wer Du bist und warum Du heute hier bist?"
Martina Nuber
"Ich bin scheinselbstständig seit 40 Jahren und dass wir weggekürzt werden - wir haben so gut wie keinen Vertrag, der ist sofort kündbar."
Constanze Becker
"Ich hätte das gar nicht gedacht, dass mich das so trifft. Auch wenn ich so sehe, [...] das sind eben Einzelpersonen, die um ihre Existenz kämpfen, wo nicht ein ganzer Betrieb dahintersteht."
Zeit, die aufgeschobene Probe nachzuholen. Hier entsteht gerade ein neues Stück unter der Regie der 30-jährigen Lucia Wunsch: "Der Lügenprinz", eine zeitgenössische Variation auf Ibsens Klassiker "Peer Gynt".
"Peer, du lügst"
"Nein, ich lüge nicht."
Lucia Wunsch, Regisseurin
"Vielleicht kriegt ihr das hin, dass ihr einmal die hier ganz aufmacht. Nur um das einmal auszuprobieren."
Möglich wird die Inszenierung durch ein Nachwuchs-Förderprogramm für junge Regie-Talente.
Lucia Wunsch, Regisseurin
"Ich sehe, was für ein Glücksfall das ist, dass ich das machen darf. Weil es ist wie gesagt im deutschsprachigen Raum das einzige Programm, das ermöglicht, dass wir als Anfänger:innen Inszenierungen machen dürfen. Deswegen ist es mehr wie ein Lottogewinn."
Genau solche Programme könnten mit den Kultur-Kürzungen auf der Kippe stehen.
Constanze Becker
"Ich finde das schon einen wahnsinnigen Druck. Ich merke auch, dass das immer stärker wird unter Schauspiel-Studentinnen und Studenten, die sofort unter dem Druck des Verkaufens und der eigenen Marke - was wir alles gar nicht hatten."
Wenn die Theater jetzt noch sparen müssen - bleibt dann noch Platz für den Nachwuchs und neue Perspektiven?
Sicher scheint ab 2025 nichts mehr an den Berliner Bühnen. "Der Lügenprinz" mit Constanze Becker hat noch vorher Premiere am Berliner Ensemble.
Autorin: Anne Kohlick