200. Todestag - E.T.A. Hoffmann - erster Dichter der wachsenden Großstadt Berlin
Von seiner Wohnung in der Taubenstraße schaute er auf das emsige Treiben auf dem Gendarmenmarkt und verbrachte viele Nächte im Weinlokal Lutter & Wegner. In seinen Märchen steigt E.T.A. Hoffmann mit seiner Himmelsleiter in immer fantastischere Welten und zugleich tief hinab in schwarze Abgründe der menschlichen Psyche. Tomas Fitzel über den Schriftsteller der deutschen Romantik.
Als E.T.A. Hoffmann seine letzte Erzählung "Des Vetters Eckfenster" im Frühjahr 1822 schrieb, war er schon an das Bett gefesselt. Sein Vermächtnis sollte eine Schule des Sehens werden. Das war seine Maxime, "dass Dichter das, was sie als Dichtung ins Leben tragen, auch wirklich geschaut haben müssen".
Von seiner Wohnung in der Taubenstraße blickte er auf das emsige Treiben des Gendarmenmarktes. Nur wenige Schritte entfernt lag sein wichtigster Inspirationsort: das Weinlokal Lutter & Wegner, wo er bei viel Wein, Punsch und perlendem Champagner mit Freunden die Nächte bis zum frühen Morgen fabulierend und diskutierend verbrachte. Er war fasziniert von der rasch wachsenden Großstadt Berlin und wurde ihr erster wirklicher Dichter. Ständig gibt es bei ihm ein Gewimmel von Menschen, es wird gerannt, geschubst und gestolpert.
Eine Oper und ein literarisches Werk von tausenden Seiten
Als er am 25. Juni 1822 starb, hatte er in nur gut sieben Jahren ein literarisches Werk von mehreren tausend Seiten geschaffen, dazu unzählige Zeichnungen, Kompositionen und mit "Undine" sogar eine Oper, die zu seiner Zeit ein enormer Erfolg war. Umgekehrt wurde er bei Jacques Offenbach dann selbst zur Operngestalt.
Eigentlich wurde er bei seiner Geburt am 24. Januar 1776 in Königsberg auf den Namen Ernst Theodor Wilhelm getauft. Doch den Wilhelm ersetzte er aus Verehrung für Mozart durch das A für Amadeus. Er war ein Multitalent und dazu in seinem bürgerlichen Leben ein sehr erfolgreicher Jurist, der als Richter am Berliner Kammergericht allerdings auch für die Verfolgung von Demokraten zuständig war. Dies war vielleicht der Kern seiner inneren Zerrissenheit, auch wenn er beharrlich versuchte, die politischen Prozesse mit all seinem literarischen Witz und Scharfsinn bis an den Rand der Lächerlichkeit zu bringen.
In dem Märchen "Meister Floh" wird unter dem Mikroskop "das seltsame Geflecht von Adern und Nerven, die sich zu einem Gedanken verdichten", erforscht. Diese Satire auf seine eigene Tätigkeit brachte ihm in seinem Todesjahr nicht nur Zensur, sondern auch ein Disziplinarverfahren ein. Literatur und Justiz, das verbindet ihn mit einem seiner Nachfolger: Franz Kafka.
Kein Märchenonkel und auch kein "Gespenster-Hoffmann"
"Der Sandmann", "Nussknacker und Mausekönig", "Der goldene Topf", "Lebens-Ansichten des Kater Murr", "Klein Zaches genannt Zinnober" oder "Prinzessin Brambilla" - das sind alles Märchentitel und so bezeichnet er seine Fantasie- und Nachtstücke auch selbst. Und doch war E.T.A. Hoffmann alles andere als ein kindlich naiver Märchenonkel und genauso wenig ein schauerromantischer "Gespenster-Hoffmann" – wobei er beides immer wieder auch sein konnte.
Doch zum einen verankerte er seine "Himmelsleiter in das fantastische Zauberreich" immer auch fest im Leben, denn nur so durchdringen sich die beiden Sphären von Wirklichkeit und Traum. Zum anderen sind seine Texte so fintenreich und voller doppelter, drei- und vierfacher Böden, dass es dem Leser dabei schnell schwindelt.
Hoffmann als rasant rauschhafter Schreiber
Mit einem Bein stand E.T.A. Hoffmann noch im 18. Jahrhundert bei Autoren wie Jean Paul und Lawrence Sterne, in der Art, wie er immer wieder satirisch Texte aufbricht und durcheinanderwirbelt oder plötzlich den geneigten Leser direkt anspricht, zum anderen ist er gerade damit der Moderne, vielleicht sogar Post-Moderne näher als seine Zeitgenossen, über deren romantische Seligkeit er sich auch gerne lustig machte. Ein Grund, warum E.T.A. Hoffmann solchen Einfluss für die Avantgarde, wie den Surrealismus, gerade in Frankreich hatte.
In hoher Geschwindigkeit wechselt er die Perspektiven und dies gehört auch zu seiner Schule des Sehens: nicht dem zu vertrauen, was wir glauben zu sehen oder auch zu lesen. In seinem Fantasiestück "Der Goldene Topf" verwandeln sich drei gold-grüne Schlänglein in Mädchen und Buchstaben in verschlungene Arabesken, Wörter und Namen verschwimmen, Belebtes wird zu Unbelebtem und umgekehrt.
Dem Leser geht es darin wie dem jungen Studenten Anselmus, der zu Beginn der Erzählung auf dem Markt in einen Apfelkorb rennt, stolpert und zu Fall kommt. Dabei kommt allerdings E.T.A. Hoffmann als rasant rauschhafter Schreiber selbst so manches Mal ins Stolpern, der sich in seinen eigenen Texten nicht mehr auskennt, so dass z.B. aus einem Degen wenige Zeilen später ein Gewehr werden kann.
Hinauf in phantastische Welten und hinab in Abgründe der menschlichen Psyche
Mit seiner Himmelsleiter steigt E.T.A. Hoffmann hoch hinauf in immer phantastischere Welten und zugleich tief hinab in die schwärzesten Abgründe der menschlichen Psyche und des Wahns, die er wie kaum ein anderer seiner Zeitgenossen kennt und erforscht. Nicht umsonst war er für Sigmund Freud eine wichtige Fundquelle für die Erforschung des Unheimlichen.
Doch E.T.A. Hoffmann lässt sich nicht festlegen auf eine Lesart und Interpretation, als Skeptiker ironisiert er immer sich auch selbst als Autor, dem man kein Vertrauen schenken sollte, ja der sogar ein "Scharlatan" sei. Gerade deswegen sollte man sich ihm heute wieder anvertrauen.
Tomas Fitzel, rbbKultur