Dr Heiko Philippin bei einer Kataraktoperation (Augen-OP) in Tansania, eine Assistenzärztin wird dabei von ihm ausgebildet (Quelle: Dr. Andrew Makupa)
Bild: Dr. Andrew Makupa

Interview | Vermeidbare Blindheit - 'Bei uns geht keiner blind nach Hause'

Weltweit sind 36 Millionen Menschen blind und 217 Millionen Menschen sehbehindert. Fast 90 Prozent dieser Menschen leben in Entwicklungsländern. In drei von vier Fällen könnten diese Sehbehinderungen vermieden oder sogar geheilt werden. rbb Praxis hat mit dem Augenarzt Heiko Philippin gesprochen. Der 48-Jährige arbeitet im Auftrag der Christoffel-Blindenmission (CBM) im "Kilimanjaro Christian Medical Centre" in Tansania.

Dr. Philippin, als Sie vor 12 Jahren nach Afrika gekommen sind, kannten Sie da die Krankheiten, mit denen Sie dort konfrontiert waren?

Ich hatte mich natürlich auf tropische Augenkrankheiten vorbereitet, aber ich war überrascht: Das Spektrum der Krankheiten ist relativ ähnlich wie in Deutschland. Der Unterschied ist, dass die meisten Menschen hier in Afrika viel später zum Arzt gehen. Die Krankheitsbilder, die ich hier sehe, sind viel weiter fortgeschritten.

Was sind die häufigsten Ursachen vermeidbarer Blindheit?

Am häufigsten ist der Graue Star, also die Katarakt. Die Linse trübt sich und die Betroffenen sehen immer weniger. Die Krankheit gibt es auch in Deutschland, hier in Afrika hat sie aber andere Auswirkungen: Wenn die Menschen dadurch bei der Feldarbeit eingeschränkt sind, dann ist das eine Gefahr für die ganze Familie, weil sie dann weniger Einkommen hat. An zweiter Stelle ist nach neueren Erkenntnissen das Fehlen einer Brille. Das hat man lange nicht in die Statistiken aufgenommen, aber es gibt eben gerade in Entwicklungsländern viele Leute, die einfach keinen Zugang zu Brillen haben und deshalb medizinisch blind sind.

Was heißt medizinisch blind?

Das heißt nicht, dass die Patienten nur noch Schwarz sehen, sondern dass sie aus drei Metern Entfernung ohne Sehhilfe nicht mehr sehen können, wie viele Finger jemand zeigt. Die Nummer drei der vermeidbaren Blindheitsursachen allerdings kann auch zu völliger Blindheit führen: der Grüne Star, also das Glaukom. Es wird meist durch einen zu hohen Augeninnendruck verursacht.

Wie behandeln Sie diese Krankheiten?

Der Graue Star ist heilbar. Das ist eine kurze Operation von etwa 15 Minuten. Die trübe Linse wird durch eine Kunstlinse ersetzt. Die Patienten sehen danach wieder normal. Unser Krankenhaus führt 2.000 bis 3.000 solcher Operationen pro Jahr durch. Was die anderen Ursachen betrifft, so ist das unterschiedlich. Bei Brillen ist es vor allem eine organisatorische Aufgabe. Die Behandlung des Grünen Stars hingegen ist relativ komplex, auch die des Trachoms. Das ist eine bakterielle Infektion, die von Fliegen übertragen wird. In trockenen Gebieten fliegen sie von einem Auge zum nächsten, weil sie die feuchte Oberfläche mögen. Dabei übertragen sie die Erkrankung, typischerweise von der Großmutter oder der Mutter auf die Kinder. Wenn das immer wieder und wieder passiert, entstehen im Laufe der Jahre chronische Entzündungen und Narbengewebe, das die Lidränder und Wimpern nach innen drehen kann. Durch das ständige scheuern der Wimpern auf der Hornhaut entstehen letztlich Narben, die dann eben nicht mehr durchsichtig sind. Und so erblinden die Menschen im Laufe der Jahre.

Was können Sie dagegen tun?

Das ist je nach Stadium verschieden. Man kann dem Trachom durch Hygiene vorbeugen. Wenn die Krankheit ausgebrochen ist, lässt sie sich mit einer einzigen Tablette gut behandeln. Im fortgeschrittenen Stadium allerdings müssen die Lidränder operativ nach außen gedreht werden. Damit es nicht soweit kommt, werden in Gegenden, wo das Trachom häufig ist, Tabletten an die Bevölkerung verteilt. In den letzten Jahren gab es durch das WHO-Programm "Vision 2020" große Fortschritte, vor allem bei den übertragbaren Augenkrankheiten wie Trachom und Flussblindheit.

Warum leben dann immer noch 90 Prozent aller Menschen mit Sehbehinderung in Entwicklungsländern?

Vor allem fehlt es noch an Augenärzten und Krankenhäusern, und teilweise auch an Wissen. Aber auch Hygiene ist ein Thema. Gerade wenn in der Regenzeit das Wasser lange steht oder Brunnen direkt neben Latrinen gebohrt werden, dann spielt das sicher auch eine Rolle. Für den Grauen und Grünen Star sowie die Schädigung der Netzhaut durch Diabetes ist aber eher entscheidend, dass die Menschen in Afrika immer älter werden und sich auch die Essgewohnheiten ändern.

Wie versuchen Sie, die Situation der Menschen zu verbessern?

Früher hat die Christoffel-Blindenmission eher Ärzte nach Afrika geschickt, die selbst operiert haben. Heute ist das Motto: Hilfe zur Selbsthilfe, also die Ausbildung einheimischer Ärzte. Trotzdem sind die absoluten Zahlen nach wie vor zu niedrig. In Deutschland gibt es 7000 Augenärzte, in Tansania etwa hundert – für 45 Millionen Menschen.

Wie ist die Situation auf dem Land?

Dort gibt es häufig gar keine medizinische Versorgung und die Anfahrtswege sind extrem lang. Zudem gehen viele Menschen immer noch davon aus, dass sie mit ihren Beschwerden auch noch später ins Krankenhaus kommen können, was jedoch in einigen Fällen zu spät ist. Aber da ist vielleicht das Kind krank oder der Großvater, und das hat für die Menschen erst einmal Priorität. Außerdem müssen viele für die Fahrt in die Klinik Geld sammeln, denn oft übersteigen die Anfahrtskosten die Behandlungskosten bei uns.

Wie viel kostet eine Behandlung in Ihrem Krankenhaus, etwa eine Katarakt-Operation?

Umgerechnet 40 Euro. Wenn aber jemand zu uns kommt, bei dem wir merken, dass er nicht zahlen kann, dann übernimmt das Krankenhaus oder die CBM die Kosten. Bei uns geht keiner blind nach Hause, nur weil er sich die Behandlung nicht leisten kann. Auch die 40 Euro decken nicht unsere Ausgaben, sondern die Behandlungen werden subventioniert vom Staat Tansania und der CBM.

Welche Fälle gehen Ihnen nach 12 Jahren in Afrika immer noch ans Herz?

Wenn ein Patient, etwa mit Grünem Star, sehr spät kommt, auf einem Auge schon nichts mehr sehen kann und man es nicht schafft, das andere Auge zu retten, dann geht mir das nahe. Das sind oft hart arbeitende Leute, die einfach keine Möglichkeit hatten, eher zu kommen oder vielleicht in einem kleineren Gesundheitszentrum falsche Informationen bekommen haben.

Was muss sich verbessern, damit in Zukunft weniger Menschen an vermeidbaren Krankheiten erblinden?

Es müssen noch mehr Einheimische die Möglichkeit bekommen, zu Augenärzten ausgebildet zu werden. Außerdem müssen wir die Armutsursachen konsequent bekämpfen und die Menschen besser über die Krankheiten informieren.

Danke für das Gespräch, Dr. Philippin.
Das Interview führte Florian Schumann.

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