Interview l Einsamkeit macht krank - Soziale Kontakte schützen das Gehirn
Wer einsam ist, fühlt sich häufig ziemlich mies; isoliert, ohne sich selbst befreien zu können. Das macht krank: Wer einsam ist, hat sogar ein größeres Risiko früher zu sterben. Für den Wissenschaftler und Psychiater Prof. Dr. Mazda Adli ist klar: Soziale Kontakte schützen vor vielen Krankheiten - zum Beispiel vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz.
Herr Prof. Adli, Einsamkeit ist ein sehr subjektives Empfinden. Gibt es eine Definition, ab wann ein Mensch einsam ist?
Gefühle sind immer subjektiv und so ist das auch bei der Einsamkeit.
Man kann es aber so formulieren: Einsamkeit entsteht dann, wenn die gewünschte Intensität von sozialer Einbindung in die Gemeinschaft nicht mit der realen Einbindung übereinstimmt.
Wenn man das Gefühl hat, dass es an Menschen mangelt, die einem entweder helfen, die einen mögen und mit denen man Zeit verbringen kann.
Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Das wird schnell verwechselt. Einsamkeit ist Stress für die Psyche, aber auch für den Körper. Dieser Stress entsteht aus dem Fehlen eines sozialen Miteinanders.
Alleinsein ist anders, es kann sogar ein großer Luxus sein. Wenn wir ganz alleine einen Spaziergang über Felder oder durch den Wald unternehmen, fühlen wir uns in der Regel nicht einsam, sondern genießen es wahrscheinlich eher.
Solange das Alleinsein selbst gewählt ist und jederzeit unterbrochen werden kann, sind wir nicht einsam.
Sie sprechen von Stress, der durch Einsamkeit ausgelöst wird. Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat dieser Stress?
Einsamkeit kann den Verlauf von vielen Krankheiten körperlicher wie seelischer Art negativ beeinflussen: Einsamkeit kann psychische Krankheiten, wie Depressionen, auslösen.
Wer einsam oder isoliert ist, hat zum Beispiel ein erhöhtes Risiko an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu versterben.
Es gibt überhaupt so etwas wie eine Einsamkeitssterblichkeit, das heißt Menschen, die einsam sind, haben eine kürzere Lebenserwartung.
Andersherum haben Menschen, die sozial gut eingebunden sind, bessere Gesundheitswerte, eine bessere Prognose im Krankheitsfall und eine längere Lebenserwartung.
Was passiert im Gehirn, wenn wir soziale Kontakte haben?
Ich sage es mal andersherum - was im Gehirn passiert, wenn wir keine sozialen Kontakte haben: Es gibt Untersuchungen, bei denen man soziale Isolation unter Laborbedingungen simuliert, in dem man Menschen in einem Online-Spiel eine Ausschlusserfahrung machen lässt. Zum Beispiel dadurch, dass sich andere Mitspieler zu Teams organisieren und diese die Versuchsperson nicht dazu gehören lassen. So kann man dem Phänomen Einsamkeit experimentell zumindest nahe kommen.
In solchen Studien hat man gesehen, dass bei Einsamkeit ähnliche Hirnregionen aktiviert werden, wie bei Schmerzen. Deshalb ist die Analogie auch passend, dass Einsamkeit so etwas wie ein Seelenschmerz ist.
Einsamkeit mit Schmerzen zu vergleichen ergibt Sinn: Einsamkeit kann man als biologisches Warnsignal des Organismus oder der Psyche verstehen. Ein Warnsignal, das uns anzeigt, das die soziale Unterstützung, die wir haben, unter einen kritischen Grenzwert gefallen ist, bei dem es Überlebensnachteile geben kann, weil wir nicht mehr in ausreichender Weise am Kooperationssystem mit anderen Menschen teilhaben.
Wir Menschen sind soziale Wesen - evolutionär gedacht sind wir Herdentiere. Wir sind auf Kooperation angewiesen. Für das Leben im Singular sind wir nicht gemacht.
Können Videoanrufe und Kontakte über digitale Medien die persönlichen Kontakte ersetzen?
Ein klares Jein. Man möchte sich die Zeit des Lockdowns gar nicht ohne diese technologischen Möglichkeiten vorstellen. Diese haben für ein Mindestmaß an sozialer Eingebundenheit gesorgt.
Natürlich ist es am Ende nicht das Gleiche. Ich glaube, jeder von uns hat die Erfahrung gemacht, dass der Video-Kontakt den individuellen, physischen Kontakt nicht ersetzen kann.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Demenz und Einsamkeit?
Es ist schon lange so, dass man Menschen mit beginnenden Demenzen und generell älteren Menschen empfiehlt, soziale Kontakt zu pflegen.
Soziale Kontakt sind etwas, dass das Gehirn wie fast nichts anderes schützt. Sie sind somit echte Präventionsarbeit am Gehirn.
Viele Menschen mit Demenz müssen ihre vertrauten sozialen Kontakt verlassen, weil sie gepflegt werden müssen. Wirkt sich das nachteilig aus?
Menschen mit Demenz werden ja häufig in Einrichtungen untergebracht, weil dort die Versorgung besser funktioniert. Es kommt darauf an, dass die Umgebung eines Demenzkranken reich an Stimulation ist. Ob das in einer Senioreneinrichtung oder zu Hause ist, ist egal.
Wie kann man die Einsamkeit überwinden?
Das Allerwichtigste ist, darüber zu sprechen. Das ist gar nicht so einfach. Ich erlebe jeden Tag bei den Patienten, wie schwer das ist. Auf dem Thema lastet ein ganz großes Tabu.
Das Sprechen ist der erste wichtige Schritt, um aus der Einsamkeit rauszukommen. Durch das Sprechen darüber, wird sie beherrschbarer.
Im Anschluss kann man sich auf die Suche nach Lösungen machen. Es gibt einen Spruch der Tuareg [Anm. d. Red.: indigenes nordafrikanisches Volk], den ich in diesen Zusammenhang gerne zitiere: "Einsamkeit ist nicht traurig, wenn sie beachtet wird."
Herr Prof. Dr. Adli, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will