Wie wirksam ist das Stressreduktionsprogramm MBSR? - Mit Achtsamkeit und Meditation gegen Stress
Achtsamkeit (Mindfulness) und Meditation helfen, besser mit Stress umzugehen. Das ist wissenschaftlich gut belegt. Wie das geht, lesen Sie hier.
Der Geist im Aufruhr mag uns manchmal wie ein Glas voll trüben Wassers erscheinen. Kommt er zur Ruhe, sinkt aller Sand zu Boden. Die Flüssigkeit wird klar. Klingt nach Ruhe und Stille, nach dem Gegenteil von Stress. Doch wie kommt man in diesen Zustand? Weltweit verbreitet ist zum Beispiel das Stressreduktionsprogramm MBSR - Mindfulness Based Stress Reduction. Frei übersetzt: Mit Achtsamkeit friedlich durch den täglichen Wahnsinn kommen. Die Methode lenkt die Aufmerksamkeit auf die Dinge, die gerade passieren. Statt Multitasking, digitales Rund-um-die-Uhr-Sofort-Reagieren, ständiges Planen und sich in ein besseres Morgen zu flüchten, geht es darum, im Hier und Jetzt zu sein, bewusst im Moment und gegenwärtig. Und das urteilsfrei, wohlwollend und geduldig.
Achtsamkeit lernen
Teilnehmer in MBSR-Kursen lernen über acht Wochen verschiedene Meditationen kennen, vom Body-Scan über Geh- und Atemmeditation, Yoga bis hin zur 40-minütigen Sitzmeditation. Der Body-Scan ist die Einsteigerübung, um den eigenen Körper systematisch wahrzunehmen. In den Präsenz- oder Onlinegruppen praktiziert man einmal wöchentlich zusammen und – Achtung wichtig– zudem täglich alleine zuhause. Wer am Ball bleibt, wird schon nach dieser Zeit feststellen, dass sich sein Geist zunehmend beruhigt.
Das kompakte 8-Wochen-Rundum-Lernpaket für ein achtsameres Leben klingt zunächst wie ein vorübergehender Trend verwöhnter Großstädter. Doch die Methode ist viel älter. Das Prinzip hat seinen Ursprung – damals noch im religiösen Kontext – im Buddhismus vor 2.500 Jahren. 1979 entwickelte der amerikanische Molekularbiologie-Professor Jon Kabat-Zinn auf dieser Basis das bis heute aktuelle MBSR. "Achtsamkeit ist nicht wertendes Gewahrsein des gegenwärtigen Moments", so Kabat-Zinns Leitspruch für Patientinnen und Patienten, die sich an seiner Stressklinik der Universität von Massachusetts üben.
Bis in die Mitte der 1990er Jahre galt die Achtsamkeit als spirituell und esoterisch. Anfang der 2000er Jahre geriet die säkularisierte Meditationstechnik in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung – und damit zunehmend in die Mitte der Gesellschaft. Ärztinnen und Psychologen setzen achtsamkeitsbasierte Ansätze mittlerweile weltweit bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen, für Schwangere und bei Krebspatienten ein. In der Berufswelt hat Achtsamkeit als Mentaltraining für Führungskräfte mittlerweile seinen festen Platz. In MBSR-Kursen geleitet von zertifizierten Trainerinnen und Trainern üben gesunde Erwachsene, die sich mehr innere Ruhe wünschen. Und in Zeiten der Pandemie gibt es mittlerweile sogar öffentliche Gelder für MBSR-Kurse, in denen Lehrerinnen und Lehrer achtsamkeitsbasierte Übungen für ihre gestressten Schüler und Schülerinnen erlernen (siehe Interview).
Wie wirkt Achtsamkeit gegen Stress?
Warum aber wirkt MBSR gegen Stress? "Weil es das Gehirn trainiert, nicht dem evolutionär bedingten Flucht- und Kampfimpuls nachzugehen, der sich reflexartig zeigt, sobald wir in eine schwierige Situation geraten", sagt Jochen Strauch, MBSR-Lehrer und Theaterregisseur aus Hamburg. "Meditieren heißt, zu beobachten, was den Geist bewegt – und die Wahl zu haben, es vorüberziehen zu lassen. Wie Wolken am Himmel."
Wer täglich praktiziert, lernt, selbst den schlimmsten Stress erst einmal nur wahrzunehmen und dann besonnen darauf zu reagieren. Die Meditations- und Atemübungen helfen, sich besser zu konzentrieren, Reaktionen des Körpers wahrzunehmen und zu steuern. Termindruck, taktlose Kolleginnen und Kollegen oder Kopfschmerzen erleben wir mit Achtsamkeit, wie sie sind – und ohne dass sie die eigenen Entscheidungen negativ beeinflussen. Die Technik ist einfach: Sitzen, den Geist mit all seinen Sinneseindrücken beobachten, den Atem und den Körper spüren – und wenn die Gedanken abdriften, zurückkommen zum Atem. Wer das regelmäßig praktiziert, schafft inneren Freiraum, der langfristig ermöglicht, überlegter den nächsten Schritt zu gehen oder bewusster auf einen Affront zu reagieren.
Es ist, wie es ist. Diese Kernformel der Achtsamkeit unterscheidet die Methode zudem von Entspannungsverfahren – mit denen MBSR gern in einen Topf geschmissen wird. Entspannungsverfahren haben das Ziel, einen bestimmten Zustand zu verändern – und dadurch Entlastung herbeizuführen. Achtsame hingegen wenden sich dem gegenwärtigen Moment voller Offenheit und Akzeptanz zu. "Wir verlassen unsere automatisierten Gedankenautobahnen, auf denen wir alle unbewusst durch unser Leben fahren. Wir akzeptieren, was ist, hören auf zu bewerten", sagt Strauch. Denn gerade Bewertungen lösen häufig Stress aus.
Wissenschaftlich belegt
Die Wirkung ist vielfach belegt: Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass schon acht Wochen MBSR-Training die Stressresistenz erhöhen. Es gibt zudem mindestens hundert Studien, die auf positive Effekte von Achtsamkeitsmeditation hinweisen, beispielsweise bei ADHS, Depression bis hin zu Süchten. Forscher aus den USA und Deutschland fanden zudem heraus, dass die häufig praktizierte Meditation jeweils spezifische Hirnareale "umbaut“. 2011 konnten sie erstmals direkt an Bildern aus der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI) zeigen, wie sich das Gehirn durch Achtsamkeit tatsächlich verändert. "Wir haben belegt, dass die graue Hirnsubstanz im Hippocampus schon nach einem achtwöchigen Achtsamkeitstraining an Dichte zugenommen hat", sagt die Psychologin Britta Hölzel, die selbst im Center des Achtsamkeits-Gründervaters Kabat-Zinn zur MBSR-Lehrerin ausgebildet wurde. Der Hippocampus steht für Lern- und Gedächtnisfunktionen. Stress baut die graue Substanz ab, also die Nervenzellen. Trotz der bestätigenden Hinweise aus der Hirnforschung warnt Hölzel davor, dass acht Wochen Training nur der Anfang sind. "Achtsamkeit ist ein Lebensweg", so die MBSR-Expertin und Buchautorin des Werkes "Achtsamkeit - Mitten im Leben". "Langfristig ändert sich nur etwas, wenn man sie ins Leben integriert."
Beitrag von Beate Wagner